EU-Indien-Gipfel in Neu-Delhi Vorsicht, Freihandel!
Schon heute sind sie aufeinander angewiesen: Für Indien ist die EU der wichtigste Handelspartner, die EU blickt hoffnungsvoll auf die Wachstumsmärkte Asiens. Seit Jahren laufen Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen. Aber auch bei diesem EU-Indien-Gipfel wurde nichts daraus. Beide Seiten lassen Vorsicht walten und fürchten Nachteile.
Von Sandra Petersmann, ARD-Hörfunkstudio Südasien
Es geht um viel. Sollte es irgendwann wirklich ein Abkommen geben, dann würde es gemessen an der Bevölkerung eine der größten Freihandelszonen der Welt schaffen. Indien und die Europäische Union stellen zusammen mit 1,8 Milliarden Menschen mehr als ein Viertel der Weltbevölkerung.
Kritik am kapitalistischen Modell
Doch in Indien, das sich erst Anfang der 90er-Jahre schrittweise wirtschaftlich geöffnet hatte, gibt es weiterhin große Vorbehalte gegen das kapitalistische Marktmodell der westlichen Industrienationen. Die bekannte Sozialaktivistin Aruna Roy gehört zu den lauten kritischen Stimmen. In dem westlichen Modell würde alles gleichgemacht und standardisiert, so ihr Vorwurf. "Wir trauen uns einfach nicht, andere Wege zu gehen. Wir wollen, dass weltweit alle die gleiche Coca-Cola trinken, dass jeder Laden die gleiche Pepsi verkauft. Das sorgt für eine Entzweiung der Gesellschaft, für Ausbeutung und Korruption. Die Liberalisierung der Märkte kommt bei den Ärmsten nicht an."
Aufeinander angewiesen
Die EU ist schon heute der wichtigste Handelspartner Indiens, und umgekehrt ist das kriselnde Europa dringend auf die Wachstumsmärkte in Asien angewiesen. Die Verhandlungen über ein gemeinsames Freihandelsabkommen laufen auch seit 2007. Doch ein Ende ist noch nicht in Sicht - auch nach diesem zwölften EU-Indien-Gipfel nicht. Dafür liegen zu viele Steine im Weg. Es gibt auf beiden Seiten noch zu viele Forderungen, die sich gegenseitig ausschließen.
Wechselseitige Befürchtungen
Die EU, allen voran Deutschland, fordert zum Beispiel, dass die hohen Einfuhrzölle für europäische Autos fallen. Aber die indische Seite befürchtet, dass eine Senkung der Zölle große Hersteller wie VW oder BMW dazu verleiten könnte, den indischen Markt mit fertigen Autos zu überschwemmen, anstatt in Fabriken in Indien zu produzieren. Die Europäer verlangen außerdem, dass sich ihre Banken, Versicherungsunternehmen und Supermärkte frei auf dem indischen Markt bewegen können - doch indische Anbieter fürchten sich vor der Konkurrenz.
Gleiches gilt für die Produkte der hoch subventionierten europäischen Landwirtschaft. Indien hat Sorge, dass eine weitere Marktöffnung heimische Bauern in den Ruin treiben könnte. Die große Mehrheit des Milliardenvolkes lebt nach wie vor auf dem Land. Es gibt kein soziales Netz, das die Bauern, Tagelöhner, Wanderarbeiter und Kleinunternehmer auffangen würde, wenn ihre lokalen Einkommensquellen wegbrechen.
"Vorteile auf lange Sicht"
Doch der junge Wirtschaftsexperte Sachin Joshi warnt seine Regierung vor zu viel Vorsicht. "Natürlich wird eine weitere Öffnung Teile der indischen Wirtschaft treffen. Unsere Bauern, Kleinunternehmer und Arbeiter zu schützen, muss immer ein Ziel bleiben. Aber ich glaube, dass auf lange Sicht die Vorteile überwiegen", mein Joshi. Ein Freihandelsabkommen würde technologischen Fortschritt bringen. "Es würde dem Land neue Managementsysteme bringen, es würde für neue Jobs und neue Partnerschaften sorgen. Es sorgt für Konkurrenz auf dem Markt, was unseren Standard heben wird. Und genau das brauche wir", sagt der Experte.
Unterschiedliche Vorstellungen
Die aufstrebende Wirtschaftsmacht Indien ihrerseits will in den Verhandlungen erreichen, dass die EU ihren Arbeitsmarkt für indische Fachkräfte öffnet. Das gilt vor allem für Experten aus dem Softwarebereich, die immer wieder Schwierigkeiten haben, ein Visum zu bekommen, wenn sie ihre europäischen Kunden vor Ort bedienen wollen.
Und auch an anderer Stelle finden Europa und Asiens drittgrößte Volkswirtschaft noch nicht zu einander: Indien will sich nach wie vor auf kein verbindliches Klimaschutz-Ziel verpflichten. Und auch an den Sanktionen gegen den Iran beteiligt sich das Land nicht. Für die Atommacht Indien ist das iranische Nuklearprogramm offenbar weniger bedrohlich als für Europa und Amerika. Indien bezieht zwölf Prozent seines Öls aus dem Iran.