Gutachten der Immobilienweisen Weiterer Rückgang bei Neubauten erwartet
Explodierende Mieten und stockender Neubau: Im vergangenen Jahr wurden deutlich weniger Wohnungen gebaut, als die Bundesregierung geplant hatte. Ein Gutachten rechnet damit, dass sich dieser Trend bis mindestens 2024 fortsetzt.
Die sogenannten Immobilienweisen rechnen auch für das Jahr 2024 mit einem weiteren Rückgang beim Wohnungsneubau. In ihrem Frühjahrsgutachten für den Zentralen Immobilienausschuss (ZIA) verweisen die Experten auf höhere Finanzierungskosten durch gestiegene Zinsen und hohe Preissteigerungen bei Baustoffen.
"Die kostensteigernden Herausforderungen des Wohnungsbaus werden sich vorrangig ab 2024 durch ruckläufige Genehmigungs- und Neubauzahlen ausdrücken", heißt es im Gutachten der Wirtschafts- und Immobilienexperten. Neben Privatpersonen zögen sich zunehmend auch Projektentwickler aus dem Neubau zurück.
Herausforderungen beim Wohnungsbau erst 2024 sichtbar
Die Zahl der Baugenehmigungen hat den Autoren zufolge bereits in den letzten knapp fünf Jahren stagniert, beziehungsweise ist nur noch sehr langsam gestiegen. Im Jahr 2022 dürfte der Bau von nur 364.000 Wohnungen genehmigt worden sein, wird in dem Gutachten geschätzt.
"Die unbestreitbaren Herausforderungen, die sich der Wohnungsbau gegenübersieht, werden erst ab 2024 und danach sichtbar. Dass sich die Herausforderungen erst in ein oder zwei Jahren in den Fertigstellungen zeigen werden, sind einfache Time-Lag-Folgen", heißt es in dem Bericht.
Aufgrund des Zustroms von Ukrainerinnen und Ukrainern nach Deutschland ist demnach 2022 eine zusätzliche Wohnungsnachfrage von 200.000 entstanden - eine erhebliche Zahl laut der Autoren. In den nächsten Jahren werde unter Berücksichtigung bestimmter Faktoren wie der weiteren Zuwanderung aus der Ukraine die Wohnungsnachfrage steigen. Etwa um das Jahr 2025 dürfte sich die Entwicklung aber wieder umdrehen und die Zahl der Einwohner und Haushalte wieder sinken.
Preissteigerungen nicht nur mit Produktpreisen erklärbar
Der Anstieg der Baupreise sei dabei Folge steigender Preise für Vorleistungen und Produkte, die ihre Ursache wiederum in höheren Energiepreise und gestörten Lieferketten haben. Das erklärt aber nur einen Teil des Preisanstieges, schreiben die Autoren. Ein anderer Teil des Anstiegs ist durch besonders hohe Preissteigerungen zu erklären, welche die Bauunternehmen durchgesetzt haben, oder versuchen durchzusetzen. Das ifo-Institut schrieb hierzu in einem Bericht von 2022: "Dies lässt nur den Schluss zu, dass hier offenbar viele Unternehmen die Gunst der Stunde genutzt haben, über die Verteuerung der Vorleistungsbezüge hinaus ihre Preise anzuheben."
Das Wohnungsdefizit dürfte den Experten zufolge den höchsten Stand seit 20 Jahren erreicht haben. Daher bestünden "weiterhin langfristige Perspektiven im Bausektor". Flankierend seien beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren, Baulandausweisung, Nachverdichtung und bundeseinheitliche Bauvorschriften erforderlich, die serielles Bauen förderten.
Die Bauwirtschaft hatte im vorigen Jahr bereits gewarnt, es drohe ein dramatischer Rückgang im Wohnungsbau. 2022 seien etwa 280.000 Wohnungen fertiggestellt worden, während es im laufenden Jahr vielleicht noch etwa 245.000 würden. Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) hatte im Januar eingeräumt, dass das Neubauziel der Ampel-Koalition von 400.000 Wohnungen jährlich 2022 und auch 2023 verfehlt werde.
Mieten 2022 um 5,2 Prozent gestiegen
Im Frühjahrsgutachten ziehen die Immobilienweisen auch Bilanz zum Mietmarkt für Wohnungen im vergangenen Jahr. Demnach war der Anstieg der Mieten mit 5,2 Prozent deutlich stärker als in den Vorjahren. Zum Vergleich: 2021 legten die Mietpreise um 3,7 Prozent zu, im Coronajahr 2020 um 3,1 Prozent. Der stärkeren Anstieg der Angebotsmieten wird mit dem Krieg in der Ukraine begründet, aber auch damit, dass Haushalte aufgrund gestiegener Zinsen ihre Vorhaben vom Wohneigentum auf Eis gelegt haben und Mieter bleiben.
Auch die Kaufpreise haben 2022 angezogen. Im Vergleich zu 2021 sind die Preise für Eigentumswohnungen um 7,8 Prozent gestiegen.
Indexmieten nur "Nischenprodukt"?
Indes ist die an die Inflation gekoppelte Indexmiete ist einer Studie zufolge nur ein "Nischenprodukt" auf dem deutschen Wohnungsmarkt. Nur 2,2 Prozent der Mieterinnen und Mieter hierzulande haben eine Indexmiete nach Paragraf 557b des Bürgerlichen Gesetzbuches vereinbart, teilte das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) heute mit. Das zeigten eigene Berechnungen; Basis ist eine Befragung von rund 5300 Mieterinnen und Mietern im Herbst 2022.
Bei Indexmietverträgen ist die Miete an den Verbraucherpreisindex gekoppelt, im Gegenzug verzichten Vermieter auf alle sonstigen Anpassungen. Wegen der hohen Inflation sind die Verträge in die Kritik geraten. Der Deutsche Mieterbund forderte kürzlich ein Verbot bei Neuabschlüssen. Er gab an, dass in den sechs größten deutschen Städten bei jeder dritten Neuvermietung ein Indexmietvertrag abgeschlossen werde. IW-Immobilienexperte Ralph Henger rechnet aber nicht damit, dass Indexmieten marktbeherrschend werden. "Zu groß sind die Risiken und die möglichen Nachteile gegenüber einem Standardmietvertrag, für Mieter wie auch für Vermieter", sagte er.