Interview zur Finanzkrise in Spanien "Das ist auch eine Frage der Ehre"
Angesichts der in Spanien benötigten 62 Milliarden Euro drängt der Chef der Euro-Gruppe, Juncker, Madrid zu einem zügigen Antrag auf Hilfe. Nicolaus Heinen, Europa-Experte von "Deutsche Bank Research", erläutert im tagesschau.de-Interview, wie die wirtschaftliche Zukunft Spaniens aussieht.
tagesschau.de: Spaniens Banken brauchen frisches Geld. Nach den jüngsten Gutachten mindestens 62 Milliarden Euro. Ist das schon die ganze Wahrheit oder kommt da noch mehr?
Heinen: Es ist mit dem heutigen Stand die ganze Wahrheit. Aber ob es dabei bleiben wird, hängt davon ab, wie Spanien wachsen wird. Denn die Risiken hängen mit dem Immobiliensektor zusammen. Und der ist eins zu eins ans Wachstum der Volkswirtschaft gekoppelt. Wenn die wieder wächst, dann geht es den Haushalten auch wieder besser, dann können die Haushalte auch ihre Immobilienkredite wieder besser bedienen, dann müssten nicht mehr so viele Immobilien zwangsversteigert werden. Und dann bleiben auch die Immobilienpreise konstant. Das ist die Annahme, die zu den 62 Milliarden Euro führt.
tagesschau.de: Wie sind denn die Aussichten, dass Spanien wieder wächst?
Heinen: Kurzfristig nicht besonders gut. Wobei man auch hier unterscheiden muss. Wenn man auf die gesamtwirtschaftliche Wachstumsrate blickt, dann sehen wir für kommendes Jahr ein Schrumpfen um 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Allerdings ist da schon der enorme Konsolidierungseffekt im Immobiliensektor mit eingerechnet. Wenn wir uns die Realwirtschaft außerhalb des Immobiliensektors ansehen, dann sind die Wachstumschancen in der kurzen Frist nicht ganz so schlecht. Und auch auf mittlere und lange Sicht hat Spanien ein überzeugendes Wachstumsmodell. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass man die Arbeitsmärkte reformiert und dass man die jungen Leute von der Straße holt. Dann steigt die Arbeitskraft und dann geht's auch mit dem spanischen Wachstum wieder bergauf.
tagesschau.de: Trotzdem fragen sich viele: Warum zögert Spanien so lange und ist nicht längst unter den Euro-Rettungsschirm geschlüpft?
Heinen: Das ist auch eine Frage der Ehre. Vor allem für die neugewählte Regierung Rajoy, die versprochen hat, es besser zu machen als die Vorgängerregierung. Außerdem waren im Frühjahr die Wachstumsprognosen noch besser. Die wurden jetzt für das Jahr 2013 revidiert. Das kostete Vertrauen der Investoren. Und wo Investoren nicht mehr willens sind zu vertrauen, sind sie auch nicht mehr willens zu investieren. Die Märkte trocknen aus, und das sorgt für Probleme am Staatsanleihenmarkt. Mit der Hilfe für das spanische Finanzsystem soll nun die Lage ein wenig entschärft werden.
"Märkte sind nicht kurzfristig zufriedenzustellen"
tagesschau.de: Zurzeit scheint es so, als ob die Politik in der Finanzkrise nichts richtig machen könnte. Sind die Märkte überhaupt noch zufriedenzustellen?
Heinen: Ja, allerdings nicht kurzfristig. Die Märkte schauen auf eine Eurozone, in der 17 eigentlich noch recht souveräne Länder koexistieren. Und da sind die politischen Risiken eben noch sehr hoch. Das heißt, wie die Märkte reagieren, hat nichts mit Zufriedenheit oder Unzufriedenheit zu tun, sondern mit Vertrauen. Und das ist eben in Zeiten der Krise ein rares Gut. Mittelfristig wird es zu einer stärkeren Vergemeinschaftung der Staatsverschuldung kommen in Europa. Wenn die richtigen Anreize da sind - also nicht jeder auf Kosten der Gemeinschaft so viel ausgibt, wie er will - dann wird das auch wieder für Vertrauen auf den Kapitalmärkten sorgen. Nur, bis wir soweit sind, ist es ein schwieriger Prozess. Da können uns noch einige Turbulenzen ins Haus stehen