Großbritannien nach dem Gipfel Das Wohl der Londoner Finanzwelt fest im Blick
War das Nein der Briten beim EU-Gipfel ein erster Schritt zum Austritt aus der EU? Die Regierung in London versucht zu beruhigen, betont aber zugleich, dass sie bei allen Entscheidungen vor allem das Wohlergeben des britischen Finanzsektors im Blick hat. Doch in den Medien gibt es durchaus kritische Töne.
Von Barbara Wesel, RBB-Hörfunkkorrespondentin London
Auch wenn sie nun als die katastrophalen Störenfriede in der EU dastehen, keiner schlägt die Briten beim Humor. BBC-Moderator Simon McCoy etwa wundert sich über die Haltung seines Landes in Nacht von Donnerstag auf Freitag: "Ist Premier Cameron nicht wie ein Mann, der zu einer Swinger-Party geht, wo die Frauen getauscht werden, aber ohne seine Frau überhaupt mitzunehmen?" Andere sprechen über Rettungsboote, wo einer mit der Pistole beim Kapitän die Sitzordnung ändern will.
Harte Sprüche gelten als normal
Der Morgen danach bringt auch in Großbritannien selbst konsternierte Gesichter hervor. Dass Premier David Cameron sich vor dem Gipfeltreffen mit harten Sprüche über die Wahrung des nationalen britischen Interesses profilieren würde, gilt als normal - das gehört hier seit jeher zur Begleitmusik.
Und schließlich weiß jeder, dass er über 80 Europa-Gegner in den Reihen seiner konservativen Parlamentsfraktion im Nacken hat; Leute wie den Abgeordneten Douglas Carswell, der unbedingt ein Referendum über Großbritannien in der EU abhalten will. "Die Mehrheit im Land ist für ein Referendum, um einen neuen Vertrag mit Europa zu verhandeln, eine Neuordnung, eine grundlegende Veränderung in der Dynamik zwischen Großbritannien und dem Rest der EU", so Carswell.
Cameron fürchtet Referendum
Dieses Referendum fürchtet Premier Cameron wie der Teufel das Weihwasser, weil er glaubt, dass dabei eine Mehrheit für den britischen Austritt zustande kommen könnte. Den will er aber auch nicht. Der Premier kennt durchaus die Vorteile, die sein Land von der EU-Mitgliedschaft hat. Was er aber will, ist selbst quasi die Regeln umschreiben, nach denen er mitspielt - und da geht es vor allem um den Finanzdistrikt in London.
"Wenn man eine Liste der ganz wichtigen Entscheidungsgründe für Großbritannien macht, dann steht die Gesundheit unseres Finanzsektors ganz weit oben", erklärt Außenminister William Hague am Tag danach. Seine Aufgabe heute scheint, Schockreaktionen in lauwarmem Wasser aufzulösen, nach der Devise: Es hat nicht soviel zu bedeuten, wenn die Briten bei den neuen Vereinbarungen nicht dabei sind. Es gebe verschiedene Gruppen in der EU die in Bereichen zusammen arbeiten, wie etwa Schengen, sagt er. "Das ist nichts Neues, dass einige etwas vereinbaren und andere beiseite stehen."
"Ich glaube, es würde viel schwerer für uns"
Nur dass es diesmal nicht um ein Grenzkontrollabkommen oder Arbeitszeitregeln geht, sondern um die Zukunft der Europäischen Union an sich. Und die Frage ist schlicht: Ist das der Anfang vom Ende, kommt als Nächstes der Austritt von Großbritannien aus der EU? Wenn auch einige hier diese Idee schon bejubeln, warnen andere vor den Konsequenzen - so etwa Simon Tillford vom Centre for European Reform: "Ich glaube, es würde viel schwerer für uns. Wir sind eine Handelsnation und ein großer Teil der Investitionen hier hängt von der Mitgliedschaft in der EU ab. Ich denke nicht, dass die Lichter ausgehen würden, aber es gäbe weit reichende wirtschaftliche Folgen - und wir reden noch nicht über die politischen. Wir hätten faktisch keinen Einfluss mehr auf die Spielregeln in unserem Teil der Welt", warnt Tillford.
BBC-Politik-Kommentator Nick Robinson geht noch einen Schritt weiter. "Wo werden wir im nächsten Jahr stehen?", fragt er und liefert die Antwort direkt hinerher: "In einem ziemlich gespannten Verhältnis mit dem neuen Club!" Und das Problem dabei sei, dass Europa nie durch Regeln und Institutionen allein funktioniert habe. "Es geht um eine geteilte Vision, Kultur und das Geschichtsverständnis - und da sind wir jetzt raus".