Tsipras im Europaparlament Kritik, Selbstkritik und ein Schritt nach vorn
Der Druck der Gläubiger auf Griechenland wächst, doch Ministerpräsident Tsipras bleibt dabei: Die Bevölkerung könne keine neuen Belastungen hinnehmen. Eine Einigung mit den Eurostaaten hält er dennoch für möglich. Eine Voraussetzung dafür hat er nun erfüllt.
Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras hat die Programmpolitik der Euro-Partner in seinem Land erneut kritisiert. "Ich kann Ihnen versichern, dass sich das griechische Volk bemüht hat, sich den Anforderungen anzupassen, aber jetzt sind wir am Ende der Belastbarkeit angelangt", sagte Tsipras vor dem EU-Parlament in Straßburg.
Nirgendwo seien die Sparprogramme so lang und streng gewesen wie in Griechenland. "Ich denke es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, dass mein Heimatland zum Versuchslabor für die Sparpolitik in den letzten fünfeinhalb Jahren geworden ist", so Tsipras.
Gleichzeitig erklärte der griechische Ministerpräsident, er habe einen neuen Antrag für Rettungsmilliarden beim Eurorettungsschirm ESM gestellt. Ziel eines neuen Hilfsprogramms müsse sein, die Belastungen für die Bevölkerung gerechter zu verteilen. "Arbeitnehmer und Rentner können keine zusätzlichen Lasten akzeptieren", sagte Tsipras. Die bisherigen Programme seien zur Rettung der Banken verwendet worden. "Sie kamen nicht beim Volk an", sagte er. "Mit keiner Reform wurde die Funktionsfähigkeit der Staatsmaschine verbessert."
Der Antrag für ein neues Rettungspaket ist eine Voraussetzung für eine mögliche Einigung auf dem EU-Gipfel am Sonntag, nachdem das jüngste Hilfsprogramm am 30. Juni ausgelaufen war.
Griechenland will sofort mit Reformen beginnen
Im Gegenzug für Hilfen aus dem ESM will sich Griechenland zu sofortigen Steuer- und Rentenreformen verpflichten. Die Regierung in Athen schlage vor, "gleich zu Beginn der kommenden Woche eine Reihe von Reformmaßnahmen" in diesen Bereichen zu realisieren, hieß es in einem Brief des griechischen Finanzministers Euklides Tsakalotos an den Fonds. Darin bittet Athen offiziell um Hilfen mit einer Laufzeit von drei Jahren.
Griechenland bekräftigt frühere Versprechen, "seine finanziellen Verpflichtungen gegenüber allen Gläubigern vollständig und pünktlich zu begleichen", heißt es in dem Schreiben. Spätestens nach Ablauf dieses dritten Hilfsprogramms will Griechenland in der Lage sein, sich wieder zu erträglichen Zinsen über den freien Kapitalmarkt dauerhaft selbst finanzieren zu können.
Ministerpräsident Tsipras räumte zudem ein, dass viele Probleme in Griechenland hausgemacht seien. Die notwendigen Reformen müssten in seinem Land zwar durchgeführt werden, sie seien in den vergangenen Jahren aber nicht gerecht über die Gesellschaft verteilt gewesen. Griechenland befinde sich in der Krise, weil in seinem Land Korruption, Vetternwirtschaft und Klientelismus geherrscht habe. "Wir sind fest entschlossen, keine Konfrontation mit Europa zu betreiben, sondern mit dem Establishment in unserem Land."
Er wolle gegen Oligarchen und Interessenskartelle vorgehen. Zudem gab Tsipras zu, dass die griechische Steuereintreibung zusammengebrochen sei.
Trotz der prekären Situation im Land und der erneuten Kritik an den Sparvorgaben zeigte sich Tsipras optimistisch, die Forderungen der internationalen Gläubiger fristgerecht zu erfüllen. "Ich bin zuversichtlich, dass wir in den kommenden zwei oder drei Tagen in der Lage sein werden, den Verpflichtungen im besten Interesse Griechenlands und auch der Eurozone nachzukommen", sagte Tsipras. Die Staats- und Regierungschefs der Eurozone hatten Athen am Dienstagabend eine "letzte Frist" bis Sonntag gegeben.
Eurogruppe prüft den Antrag
Unterdessen teilte ein Sprecher von Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem mit, dass die Finanzminister der Eurozone heute noch nicht über den neuen Antrag der griechischen Regierung beraten werden. Stattdessen solle der Vorschlag erst von der Euro-Arbeitsgruppe bewertet werden.
EU-Ratspräsident Donald Tusk warnte vor einem drohenden Staatsbankrott und einer Insolvenz des Bankensystems in Griechenland. Um dieses Szenario zu verhindern, müssten sich die EU-Staaten rasch einigen, sagte Tusk ebenfalls vor dem Europaparlament in Straßburg.
Drastische Worte wählte auch die französische Zentralbank. Sie warnte vor einem "Chaos" in Griechenland, sollte es zu keiner Einigung mit den Gläubigern kommen. "Die griechische Wirtschaft steht am Rande einer Katastrophe", sagte Zentralbankchef Christian Noyer dem Radiosender Europe 1. "Es braucht unbedingt eine Vereinbarung bis kommenden Sonntag, das ist die letzte Frist", so Noyer. In Griechenland drohten "Aufruhr" und "Chaos".