Umstellung bei Energiequellen Woher Deutschland nun sein Gas bekommt
Deutschland bezieht viel weniger russisches Erdgas als noch vor einem halben Jahr. Ein anderes Land ist inzwischen größter Lieferant. Woher kommt mittlerweile das Gas - und wie wird es künftig sein?
Ob Norwegen, Katar, Israel oder die Niederlande - seit Wochen befinden sich deutsche Politiker, allen voran Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, und deutsche Energiemanager auf "Shopping-Tour". Sie suchen händeringend nach alternativen Energielieferanten, um den anhaltend hohen Gasbedarf zu decken und das russische Erdgas zu ersetzen. Die Bundesregierung will in der Energiekrise mehrere Milliarden Euro in die Hand nehmen, um die negativen Folgen der stark reduzierten russischen Gaslieferungen so weit wie möglich zu kompensieren.
Laut dem "Dritten Fortschrittsbericht Energiesicherheit" kamen Ende Juni noch 26 Prozent des von Deutschland importierten Erdgases aus Russland. Durch die mehrtägige Wartung von Nord Stream 1 und die neuerliche Gasdrosselung ist der Anteil inzwischen sogar auf unter zehn Prozent gefallen. Vor dem Ukraine-Krieg waren es noch mehr als 50 Prozent. Die weggefallenen russischen Mengen wurden zuletzt durch höhere Liefermengen aus Norwegen und den Niederlanden ausgeglichen.
Norwegen liefert viel mehr Gas als Russland
Nach neuesten Statistiken hat Norwegen mittlerweile Russland als größten deutschen Gasimporteur abgelöst. Im August kletterte der Anteil auf 38,3 Prozent. Das geht aus den Zahlen des Verbands der Europäischen Fernleitungsnetzbetreiber für Gas ENTSOG und der Vereinigung der Fernleitungsnetzbetreiber FNB hervor.
Seit dem Sommer hat Norwegen seine Lieferungen ausgeweitet. "Mittlerweile macht Norwegen einen Anteil von rund 26 Prozent der europäischen Gasnachfrage aus und füllt damit die Lücke an russischem Gas", sagt Energie-Analyst Andreas Schröder von ICIS. Auch nach Deutschland liefere Norwegen etwas mehr als zuvor. "Der Anteil an allen deutschen Gasimporten lag zuletzt im Juli bei etwa 40 Prozent", hat Schröder ermittelt. "Norwegen liefert nach Europa gegenwärtig so viel wie es die Produktionskapazitäten hergeben", erklärt Andreas Goldthau, Experte für Energiesicherheit an der Uni Erfurt.
Niederlande zweitgrößter deutschen Gaslieferant
Die drittwichtigste Gasquelle Deutschlands waren bislang die Niederlande. Laut ENTSOG steuerten sie im Juni 21,2 Prozent des hiesigen Gasbedarfs bei. Im August ist - aufgrund der reduzierten russischen Gasmengen in Nord Stream 1 - der Anteil weiter gestiegen auf 24,1 Prozent. Damit sind die Niederlande zum zweitwichtigsten Herkunftsland deutscher Gasimporte aufgestiegen.
Die Niederlande könnten theoretisch die Fördermengen in Groningen noch stärker erhöhen, sagt Experte Goldthau. Allerdings sei dies politisch (noch) nicht durchzusetzen, da es großen Widerstand in der Bevölkerung gebe. Das einst größte Gasfeld der Welt in Groningen nahe der deutsch-niederländischen Grenze sollte eigentlich ab dem Herbst dieses Jahres nicht weiter betrieben werden, weil es in der Region nach Bohrungen vermehrt zu kleinen Erdbeben und Schäden an Häusern gekommen ist. Wegen des Energienotstands hat die Regierung in Den Haag den Betrieb nun aber verlängert. Das Groninger Feld soll nun mindestens bis zum Oktober 2023 laufen.
Darüber hinaus bezieht Deutschland einen kleinen Teil seines Erdgases auch aus Belgien. Das über Grenzübergangspunkte importierte Erdgas kann aber oft nicht eindeutig einzelnen Herkunftsländern zugeordnet werden. Grund dafür ist die teilweise enge Vermaschung des europäischen Pipelinenetzes, wodurch sich die Erdgasarten unterschiedlicher Herkunft vermischen, heißt es vom Verband der deutschen Gas- und Wasserwirtschaft BDEW.
Nur fünf Prozent des deutschen Gases wird hier produziert
Aus Deutschland selbst kommt kaum noch Gas. Die heimische Gasproduktion wurde deutlich heruntergefahren - wegen zu Ende gehender Vorräte und immer aufwändigerer Genehmigungsverfahren. Waren es 2001 noch 21 Prozent, sind es jetzt es nur noch gut fünf Prozent des Gasverbrauchs in Deutschland, die hierzulande gefördert werden. Derzeit wird diskutiert, ob und wie der Anteil erhöht werden kann. So gibt es Pläne, in der Nordsee ein neues Feld anzuzapfen. Die Ampelkoalition in Berlin hat sich aber gegen eine weitere Exploration der Nordsee ausgesprochen. Der von manchen Experten empfohlene verstärkte Einsatz von Fracking stößt in der Politik ebenfalls auf Widerstand.
Mittelfristig liegt das größte Potenzial für neue Gasquellen im LNG, dem unter hohen Druck tiefgekühlten per Schiff transportierten Flüssigerdgas. Bisher importiert Deutschland vor allem LNG aus den USA. "Die USA sind in diesem Jahr zum weltweit größten LNG-Exporteur geworden, und sie haben insbesondere nach Europa geliefert", sagt Energie-Experte Hans-Werner Schiffer.
Hoffnungsträger LNG
Künftig sollen die LNG-Lieferungen deutlich diversifiziert werden. Es gibt Gespräche mit Katar, Australien, Algerien und Nigeria. Auch aus Kanada könnte Deutschland perspektivisch LNG beziehen. Hier ist aber keine schnelle Lösung zu erwarten, weil es bisher noch keine LNG-Exportterminals an der kanadischen Ostküste gibt. Kurzfristig ließe sich aber mit Hilfe der anderen Lieferländer etwa ein Drittel der russischen Gasmenge durch LNG ersetzen, schätzen Experten. Das Flüssiggas soll über die Häfen in Niederlande und Belgien ankommen und dann ins Erdgasnetz eingespeist werden. Über das europäische Leitungsnetz kommt es dann nach Deutschland. "Die deutschen Gasimporte aus Belgien und Niederlande sind schon jetzt zu einem Großteil regasifiziertes LNG aus den Seehäfen Rotterdam und Zeebrugge", sagt Energie-Analyst Schröder. Belgien und Niederlande machen, so Schröder, derzeit etwa 20 Prozent der deutschen Gasimporte aus.
Noch hat Deutschland keine eigenen LNG-Terminals. Das soll sich aber bald ändern. Bereits im bevorstehenden Winter sollen zwei schwimmende LNG-Terminals in Wilhelmshaven und Brunsbüttel einsatzbereit sein. Weitere Anladestellen sollen folgen.
Aserbaidschan als neuer Gaslieferant?
Mit Hochdruck arbeitet auch die EU an neuen Gaslieferanten. So haben die Brüsseler Vertreter Gespräche mit den USA, Katar, Norwegen, Algerien und Israel geführt. Aserbaidschan hat zugesagt, seine Liefermengen um 50 Prozent auszuweiten.
Sollte es im nächsten Winter zur Gaskrise in Europa kommen, können sich die EU-Länder gegenseitig unterstützen. Die SOS-Verordnung sieht mögliche bilaterale Solidaritätsabkommen vor. Bisher aber sind kaum solche Abkommen geschlossen worden. Deutschland hat lediglich mit dem energieautarken Dänemark und mit Österreich Vereinbarungen unterzeichnet. Angesichts der Erfahrungen aus der Corona-Krise ist es indes fraglich, ob sich die EU-Staaten in der Krise wirklich gegenseitig helfen oder ob jeder seine eigene Versorgung sichert.
Andere EU-Länder noch unabhängiger von russischem Gas
Tatsächlich haben sich schon jetzt einige EU-Länder schneller unabhängig gemacht von russischem Gas als Deutschland. Italien zum Beispiel hat mit Algerien, Katar und Aserbaidschan Abkommen über Gaslieferungen geschlossen. Dadurch sank der Anteil russischer Gasimporte auf 21 Prozent des italienischen Energiebedarfs.
Noch besser stehen Spanien und Portugal da, sie sind weitgehend unabhängig von russischem Gas und liefern sogar Gas an andere EU-Länder. Im europäischen LNG-Markt spielt Spanien eine zunehmend wichtige Rolle. Auf der iberischen Halbinsel befinden sich sechs LNG-Terminals. Frankreich hat ebenfalls vorgesorgt. Die "grande nation" verfügt über drei LNG-Terminals. Bisher importiert Frankreich den Großteil seines Erdgases aus Norwegen - über eine direkte Nordsee-Pipeline nach Dunkerque. Dänemark und Schweden können sich größtenteils autark selbst mit Energie versorgen.