Geplatzte Fusion Edeka/Tengelmann Gabriel und die Merkwürdigkeiten
Hat sich Sigmar Gabriel bei der Fusion Tengelmann/Edeka grobe Schnitzer geleistet, die ihn und sein Ministeramt beschädigen? Er selbst bestreitet das - doch in den Akten, die WDR, NDR und "Süddeutscher Zeitung" vorliegen, finden sich Merkwürdigkeiten.
Für Sigmar Gabriel waren es keine guten Wochen, es brannte an vielen Ecken. Doch selten brannte es so lichterloh in seinem Haus, dem Bundeswirtschaftsministerium, wie in dieser Woche: Das Oberlandesgericht in Düsseldorf urteilte eine von Gabriels kühnsten Entscheidungen seiner bisherigen Amtszeit mit harschen Worten ab und warf ihm schwere Fehler vor. Es ging um den Verkauf der 450 deutschen Kaiser's-Tengelmann-Märkte an die Edeka-Gruppe. Das Kartellamt hatte den Deal verboten - der Minister erlaubte sie per sogenannter Ministererlaubnis trotz Bedenken gegen eine zu hohe Marktkonzentration. Und in dieser Woche bekam er dafür das, was Kommentatoren eine schallende Ohrfeige nannten.
Der Vizekanzler, Wirtschaftsminister und SPD-Chef Gabriel ist jetzt schwer in Bedrängnis - juristisch wie politisch - weil manches, wie interne Vorgänge zeigen, kaum erklärbar ist. Die Akten zeigen: Tengelmann-Eigner Karl-Erivan Haub hatte bereits frühzeitig und vehement auf einen Termin bei Gabriel gedrängt, um ihn von den Vorteilen einer Fusion mit Edeka zu überzeugen. Seine Supermarktkette gehe davon aus, "dass Sie mit uns sprechen werden, wenn Sie Auflagen beabsichtigen sollten, so dass wir Ihnen auch die Folgen von Auflagen vor Augen führen können", schrieb er am 26. August 2015 an Gabriel.
Konkurrent Rewe wiederum legte ein Angebot vor, das einem SPD-Mann eigentlich hätte gefallen müssen: Arbeitsplätze sollten erhalten statt gestrichen werden. Gewerkschaften sollten mehr Einfluss bekommen. Haub aber, so zeigen auch die Stellungnahmen in den Akten, hatte Vorbehalte gegen Rewe.
Gespräche - ohne Protokoll
In dieser Gemengelage traf sich Gabriel dann am 1. Dezember 2015 tatsächlich nacheinander mit den Chefs von Edeka und Tengelmann - ohne Protokollführer, der hätte notieren können, was genau besprochen wurde. Dieser Umstand fällt auf und hat in den vergangenen Tagen schon für Schlagzeilen gesorgt: Ausgerechnet von einem der wichtigsten Gespräche in diesem Verfahren gibt es kein Protokoll. Und auch in den Akten findet sich dazu kein Wort: Ein Vermerk über den Mosa-Termin liege "nicht vor", gestand das Ministerium erst später ein. Merkwürdig: Seit Jahr und Tag wird im Ministerium fast alles dokumentiert und in seitenlangen Protokollen vorbereitet, was der Ressortchef macht oder wissen soll. Und nun heißt es aus dem Ministerium: "Ein Protokoll war nicht notwendig."
Bei diesem Termin und weiteren Gesprächen mit Edeka und Tengelmann im Dezember 2015 habe Gabriel mitgeteilt, dass eine Erlaubnis zum Zusammenschluss "nur unter klaren Auflagen" erfolgen könne. Die Sicherung von Arbeitnehmerrechten und auch Arbeitsplätzen sei für den Minister "ein wichtiger Gemeinwohlgrund und ein wichtiges Entscheidungskriterium" gewesen. Und im Übrigen würden sich die Inhalte des Treffens vom Dezember 2015 aus den Vorbereitungsunterlagen zu diesem Termin ergeben, so das Ministerium.
Die Angst vor dem Wähler
Dort beschäftigte man sich offenbar längst mit einer anderen Frage. Was wäre, wenn die Fusion nicht zustande käme? Wenn Tengelmann-Eigner Haub seine immer mal wieder dezent platzierte Drohung, das Filialnetz zu zerschlagen und einzelne Teile in die Insolvenz zu schicken, wahr machen würde? Wenn Kaiser’s Tengelmann tatsächlich Leute entlassen müsste, weil Gabriel seine Macht nicht nutzt? Gabriel, der Sozialdemokrat, hätte schlecht ausgesehen.
"Herr Minister Gabriel, wie viel sind Ihnen unsere Arbeitsplätze wert?", schrieb im September 2015 der Betriebsrat der Tengelmann-Fleischwerke Birkenhof an Gabriel. "Es wird Zeit, dass sich die SPD wieder an ihre Ursprünge und ihre Wählergruppe erinnert. Dann wird auch diese wieder erfolgreicher sein." Es ist diese Frage, die von Anfang an über dem Verfahren schwebte. Sollte Gabriel seinem Amtsvorgänger Philipp Rösler (FDP) folgen, der Schlecker in der Krise abblitzen ließ und das Schicksal der "Schlecker-Frauen" hinnahm? Wenn Gabriel in der Folge immer wieder auf die miserablen Löhne von Verkäuferinnen und Staplerfahrern hinwies, dann auch deshalb.
Seltsame Notizen
Eine handschriftliche Notiz, die Gabriel zur Vorbereitung auf die Gespräche mit Haub und Mosa am 1. Dezember angefertigt hatte, deutet zwar darauf hin, dass der Minister noch mit dem Gedanken spielte, seine Erlaubnis zu verweigern. Doch dort gibt es auch noch einen anderen Hinweis: "Rückfallposition: Edeka darf in diesen fünf Jahren maximal zehn Prozent des Personals abbauen." Seltsam scheint diese Notiz auch deshalb, weil in Unterlagen, die Edeka an das Ministerium schickte, durchaus bekundet wurde, man wolle alle Arbeitsplätze erhalten, perspektivisch sogar ausbauen.
Das OLG Düsseldorf hat die Gespräche mit den Tengelmann- und Edeka-Chefs als "Geheimgespräche" gerügt - Gabriel hingegen sagte, davon könne keine Rede sein. Auf einen Vermerk habe man deshalb verzichten können. Die bittere Ironie: Wegen des fehlenden Protokolls kann das Ministerium vermutlich nun nicht mehr zweifelsfrei nachweisen, worum es bei den Terminen im Detail ging. Selbst dann nicht, wenn Gabriel die allerbesten Motive gehabt hätte.
Dabei hätten Gabriel und seine Berater eigentlich wissen müssen, auf welch dünnem Eis sie sich bewegen. Denn als der Wirtschaftsminister prüfte, ob die Supermarktketten Edeka und Tengelmann entgegen dem klaren Votum des Bundeskartellamtes zusammengehen dürften, hätte ihnen ein Kurzgutachten des wissenschaftlichen Dienstes im Bundestag zumindest einen Hinweis geben können. Der hatte in der Causa vermerkt, eine politische Entscheidung des Ministers lasse sich gerichtlich im Prinzip nicht angreifen. Verfahrensfehler aber - seien aber sehr wohl überprüfbar.