75 oder 100 Basispunkte? Bange Blicke in Richtung Fed
Vor dem Zinsentscheid der Notenbank Federal Reserve (Fed) sind die Anleger in New York in Deckung gegangen. Denn es steht eine weitere Zinsrunde im Kampf gegen die viel zu hohe Inflation bevor.
Am Tag vor einer erwarteten weiteren XXL-Zinserhöhung der Notenbank Federal Reserve (Fed) haben sich die Anleger bei nervösem Handel zurückgezogen.
Der Standardwerteindex Dow Jones fiel um 1,01 Prozent auf 30.706 Punkte. Vor allem gegen Ende der Sitzung grenzten die Märkte dabei ihre anfänglich höheren Verluste aber noch ein. Der breit gefasste S&P 500 gab 1,13 Prozent nach und die technologielastige Nasdaq büßte ähnlich stark 0,95 Prozent ein. Der Auswahlindex Nasdaq 100 ging bei 11.851 Zählern um 0,85 Prozent schwächer aus dem Handel.
Vor allem kurzfristig orientierte Anleger nutzten offenbar die Gelegenheit, um ein paar Gewinne mitzunehmen, sagte Analyst Pierre Veyret vom Brokerhaus ActivTrades. An der Börse gilt als sicher, dass die Notenbank Fed ihren Leitzins am Mittwoch zum dritten Mal in Folge um 0,75 Prozentpunkte anhebt. Einige Investoren halten sogar einen Schritt von einem vollen Prozentpunkt für möglich.
"Der Schlüssel sind die Hinweise des Fed-Chef Jerome Powell zu seinem nächsten möglichen Schritt", sagte Peter Cardillo, Chef-Volkswirt des Vermögensberaters Spartan. Die große Frage sei, ob die US-Notenbank ihr Zinserhöhungstempo in den kommenden Monaten beibehalten werde.
"Es war ein sehr volatiler Start in die Handelswoche, und mit Blick auf die kommenden Tage dürfte es auch so weitergehen", schrieb Craig Erlam, Marktstratege beim Broker Oanda. Gleich mehrere Zentralbanken reihten sich auf, um mit "riesigen" Zinsschritten der Inflation beizukommen. Anlegern stehe eine "turbulente Woche" bevor.
Der Ausverkauf am Rentenmarkt ging derweil weiter. Anleger trennten sich in Erwartung höherer Leitzinsen besonders von Kurzläufern. Dies trieb die Renditen der zweijährigen US-Bonds auf ein 15-Jahres-Hoch von 3,992 Prozent.
Da Anleger darauf setzten, dass die Notenbanken die Inflation wieder in den Griff bekämen, stiegen die Renditen länger laufender Papiere im Verhältnis langsamer, erläuterte Ulrich Stephan, Chef-Anlagestratege für Privat- und Firmenkunden bei der Deutschen Bank. Zuletzt lag die Rendite für zehnjährige Staatsanleihen bei 3,57 Prozent.
Zu den Verlierern am US-Aktienmarkt gehörte Ford mit einem hohen Kursminus von 12,3 Prozent. Der Autobauer warnte wegen der Inflation vor zusätzlichen Kosten für Zulieferteile von einer Milliarde Dollar. Außerdem kappte der Konzern wegen Lieferketten-Problemen seine Ziele für das laufende Quartal.
Eine Milliarde an inflationären Kosten seien besorgniserregend, kommentierten die Analysten der Bank Wells Fargo. Die Lage bei der Teile-Versorgung werde sich dagegen sicher bald entspannen. Im Sog von Ford büßten die Rivalen General Motors (GM) und Stellantis deutlich um 5,6 Prozent beziehungsweise 3,5 Prozent ein.
Der DAX konnte heute nur am Morgen von den guten Vorgaben aus Übersee profitieren, ehe er sich im Verlauf immer weiter abschwächte. Denn bei rekordhohen Inflationsraten sorgt die Aussicht auf kräftige Zinserhöhungen durch die großen westlichen Notenbanken weiter für viel Unruhe und einen unsteten Handelsverlauf.
Am Ende schloss der deutsche Leitindex 1,03 Prozent schwächer bei 12.670 Punkten und damit in der Nähe seines Tagestiefs bei 12.638 Zählern. Das Tief lag damit fast genau 300 Punkte unter dem Tageshoch bei 12.936 Punkten. Die hohe Schwankungsbreite zeigt, wie nervös die Anleger derzeit sind.
Die Verluste gingen quer durch alle Branchen, lediglich die VW-Holding Porsche SE lag wegen des angekündigten Börsengangs der Sportwagen- und Konzerntochter Porsche AG deutlicher im Plus. Die Zeichnungsfrist für die Vorzugsaktien beginne heute, teilte das Unternehmen gestern Abend mit, nachdem der Wertpapierprospekt veröffentlicht worden war. Analyst Philippe Houchois vom Investmenthaus Jefferies schrieb in einer Studie von einem großen Interesse von Investoren an den auszugebenden Aktien.
Unter den Einzelwerten fiel auch der Energieversorger Uniper aus dem SDAX auf, der vor der Verstaatlichung durch den Bund steht. Eine Einigung sei auf der Zielgeraden, sagte eine mit der Angelegenheit vertraute Person am Dienstag der Nachrichtenagentur Reuters. Es laufe auf eine Komplettübernahme hinaus, bei der der finnische Mutterkonzern Fortum komplett aussteige.
Uniper ist der größte deutsche Gaskonzern. Das Unternehmen ist von den russischen Gaslieferkürzungen besonders stark betroffen. Der Konzern muss als Ersatz Gas am teuren Spotmarkt kaufen und macht dabei hohe Verluste. Allein im ersten Halbjahr fuhr Uniper einen Verlust von über zwölf Milliarden Euro ein. Nach einem Bericht des "Business Insider" könnte eine Übernahme von Uniper durch den Bund mehr als 30 Milliarden Euro kosten.
Inflationssorgen verstärkten sich dramatisch nach der Veröffentlichung der heimischen Erzeugerpreise. Diese stiegen im August vor allem wegen teurer Energie um durchschnittlich 45,8 Prozent. "Ein unfassbarer Preishammer", kommentierte LBBW-Volkswirt Jens-Oliver Niklasch das Plus von 45,8 Prozent. "Das alles verheißt nichts Gutes für die Inflation."
Dies sei "der höchste Anstieg gegenüber dem Vorjahresmonat seit Beginn der Erhebung im Jahr 1949", wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten mit einem Rückgang auf 37,1 Prozent gerechnet. Die Produzentenpreise gelten als Vorläufer für die Entwicklung der allgemeinen Inflation.
Nervös machte Börsianer auch der überraschend große Zinsschritt der schwedischen Notenbank um einen vollen Prozentpunkt. Die Bekämpfung der hohen Inflation durch Zinserhöhungen ist damit auch in Schweden in vollem Gang. Die schwedische Notenbank hob heute den Leitzins um einen ganzen Prozentpunkt auf 1,75 Prozent an. Es ist die dritte Zinsanhebung in diesem Jahr. Analysten hatten zwar mit einer weiteren Straffung der Geldpolitik gerechnet, mehrheitlich allerdings einen Schritt um 0,75 Prozentpunkte erwartet. Zuletzt war die Teuerung in Schweden auf knapp zehn Prozent gestiegen.
Gleichzeitig bereiteten sich Investoren auf einen erneuten XXL-Zinsschritt der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) am Mittwoch von mindestens 0,75 Prozentpunkten vor. "Die Fed hat keine andere Wahl, als ihre Zinserhöhungen vorerst fortzusetzen", sagte Naeem Aslam, Chef-Marktanalyst des Brokerhauses AvaTrade. "Sie sind sich dabei der Kosten für die Wirtschaft bewusst."
Die Bank von England (BoE) werde am Donnerstag ebenfalls kräftig an der Zinsschraube drehen, fügte Aslam hinzu. Allerdings werde sich das Pfund Sterling dennoch kaum von seinem jüngsten 37-1/2-Jahres-Tief lösen können. Schließlich hätten die Zinserhöhungen der vergangenen Monate den Kursverfall auch nicht aufhalten können. Er halte sogar einen Kursrückgang auf 1,10 von derzeit 1,1425 Dollar für möglich.
Auch die Europäische Zentralbank (EZB) bringt sich im Vorfeld weiterer Zinsentscheidungen in Position. "Wir werden nicht zulassen, dass sich die aktuelle Phase hoher Inflation im Verhalten der Wirtschaftsakteure niederschlägt und zu einem dauerhaften Inflationsproblem auswächst", betonte EZB-Chefin Christine Lagarde am Abend in Frankfurt.
Das angemessene Tempo künftiger Erhöhungen werde "von Sitzung zu Sitzung" beschlossen werden. Die EZB-Chefin signalisierte, dass der Leitzins auch auf ein Niveau steigen könne, das die Wirtschaft bremst. Dies gelte für den Fall, dass es Hinweise geben sollte, dass letztlich das Vertrauen der Bürger in das Erreichen des mittelfristigen Inflationsziels verloren zu gehen drohe.
Die EZB hat im Juli die Zinswende eingeläutet und Anfang des Monats mit einer deutlichen Straffung ihrer Geldpolitik nachgelegt. Sie reagiert damit auf die hohe Inflation, die im August 9,1 Prozent erreichte. Der Leitzins liegt nach der jüngsten Anhebung um 0,75 Prozentpunkte inzwischen bei 1,25 Prozent. An den Börsen wird damit gerechnet, dass er bis zum nächsten Frühjahr auf über 2,5 Prozent steigen wird
Der Euro gab heute leicht nach. Im New Yorker Handel kostete die Gemeinschaftswährung zuletzt 0,9970 US-Dollar. Nur am Morgen hatte sie sich knapp über der Parität gehalten. Vor der erwarteten Leitzinserhöhung der US-Notenbank am Mittwoch blieben die Kursausschläge eher gering. Gestützt wird der Dollar auch durch die anhaltenden Spekulationen einer Zinserhöhungen um einen vollen Punkt. Die Europäische Zentralbank setzte den Referenzkurs auf 0,9986 (Montag: 0,9990) Dollar fest.
Der US-Häusermarkt hat sich derweil im August durchwachsen entwickelt. Während die Zahl der Neubauten kräftig anstieg, gingen die neuen Genehmigungen deutlich zurück. Die Baubeginne stiegen zum Vormonat um 12,2 Prozent, wie das Handelsministerium am frühen Nachmittag in Washington mitteilte. Analysten hatten im Schnitt mit einem geringfügigen Anstieg knapp über Stagnation gerechnet.
Die Zahl der Baugenehmigungen fiel hingegen um 10,0 Prozent. Hier war ein Rückgang um 4,6 Prozent erwartet worden. Die Baugenehmigungen laufen den Baubeginnen zeitlich voraus und geben einen Hinweis auf die zu erwartende Bautätigkeit. Der US-Immobilienmarkt leidet seit einiger Zeit unter steigenden Hypothekenzinsen, Materialknappheit und hohen Baukosten sowie Arbeitskräftemangel.
Im DAX litten HeidelbergCement nach einer negativen Einschätzung der Investmentbank Exane BNP Paribas und standen mit einem Minus von 4,5 Prozent am Indexende. Analyst Paul Roger prophezeit für 2023 massiven Gegenwind in Europa und den Schwellenländern und eine enttäuschende Ergebnisentwicklung außerhalb der Kontrolle des Managements. Der Zementhersteller ist der einzige Bauwert im DAX.
Zukünftig soll das Unternehmen unter dem Namen "Heidelberg Materials" auftreten. Mit dem heute vorgestellten neuen Markenauftritt will der Konzern verdeutlichen, dass er nicht nur Zement produziert und zunehmend auf CO2-freie, klimafreundliche Baumaterialien setzt. Auf Konzernebene sollten die Marke und das neue Logo mit einem stilisierten "h" in zwei Grün-Tönen auf weißem Grund sofort eingeführt werden, von 2023 an sollen deutsche und ausländische Töchter entsprechend umbenannt werden.
Am offiziellen Firmennamen ändert sich zunächst nichts: "Die Muttergesellschaft von Heidelberg Materials bleibt unverändert die HeidelbergCement AG", heißt es im Kleingedruckten der Mitteilung. Den Namen trägt das Unternehmen offiziell seit 20 Jahren: Damals war die Heidelberger Zement AG umbenannt worden. Das 1874 gegründete Unternehmen hat zahlreiche Namenswechsel hinter sich. Vor 1978 hieß es Portland-Zementwerke Heidelberg AG.
Auch Vonovia im DAX, TAG im MDAX und Grand City im SDAX verbuchten heute größere Verluste. Vor der Zinsanhebung in den USA reagierten die Titel bereits auf die Verteuerung von Hypothekenzinsen, die die Branche in den kommenden Jahren belasten dürfte.
Dank guter Geschäfte in seinem Klebstoffbereich hat der Konsumgüterkonzern Henkel seine Umsatzprognose für das laufende Jahr erneut erhöht. 2022 soll das organische Wachstum bei 5,5 Prozent bis 7,5 Prozent liegen. Zuvor hatte Henkel 4,5 bis 6,5 Prozent in Aussicht gestellt. Das Klebstoffgeschäft habe auch im dritten Quartal sein starkes organisches Umsatzwachstum fortgesetzt, hieß es. Hier erwartet Henkel nun für 2022 ein Plus von zehn bis zwölf Prozent.
Der Reisekonzern geht zuversichtlich in die Wintersaison. Es sei zwar noch früh, aber "wir gehen davon aus, dass sich unser Winterprogramm dem normalisierten Vor-Pandemie-Niveau annähern wird", so das Unternehmen. Aktuell liegen die Buchungen für den Winter 2022/23 auf 78 Prozent des Niveaus des Winters 2018/19. Für das vierte Quartal geht der Vorstand deshalb davon aus, zum fünften Mal in Folge ein positives Quartalsergebnis zu erzielen.
Die Ständige Impfkommission (Stiko) hat die neuen, an die Omikron-Varianten angepassten Corona-Impfstoffe als Auffrischungsimpfung empfohlen. Vorrangiges Ziel bleibe "die Verhinderung schwerer Covid-19-Verläufe", erklärte die Stiko heute in Berlin.
Entscheidender als die Wahl des konkreten Impfstoffs ist nach Ansicht der Impfexperten aber, dass sich die Menschen überhaupt impfen und sich insbesondere boostern lassen. Auch die bisher gängigen mRNA-Impfstoffe, meistens die der Hersteller Biontech und Moderna, können demnach weiterhin eingesetzt werden, weil sie unverändert vor schweren Krankheitsverläufen schützen - auch durch Omikron-Varianten. Menschen, die erst kürzlich Auffrischungsimpfungen erhielten, sollen daher keine gesonderte neue Impfdosis mit einem der angepassten Impfstoffe erhalten.
Der US-Getränkekonzern PepsiCo hat seine Produktion in Russland fast sechs Monate nach Kriegsausbruch in der Ukraine nun eingestellt. Die Herstellung von Konzentraten für PepsiCola, Mirinda, 7Up und Mountain Dew sei in Russland beendet worden, so der Konzern laut Reuters. Untersuchungen der Nachrichtenagentur in Supermärkten, Einzelhändlern und Fitnessstudios hatten im Sommer ergeben, dass entgegen den Versprechungen Dosen und Flaschen von Pepsi noch im Verkauf waren. Der Westen hat Speisen und Getränke nicht als Teil umfassender Maßnahmen aufgenommen, die darauf abzielen, Russland für seine Aktionen in der Ukraine zu sanktionieren.