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Marktbericht

DAX bricht ein Zinsschock an der Börse

Stand: 16.06.2022 18:27 Uhr

Weitere Zinserhöhungen europäischer Notenbanken haben Rezessionsängste geschürt und an den Märkten für deutliche Verluste gesorgt. Der DAX fiel mehr als drei Prozent in Richtung 13.000 Punkte.

Der DAX hat heute vor dem Hintergrund weiterer Zinserhöhungen europäischer Notenbanken schwach geschlossen. Der deutsche Leitindex verlor am Ende 3,33 Prozent auf 13.036 Punkte und damit über 400 Punkte. Die Marke von 13.000 Punkten konnte der Index beim Tagestief von 13.007 Punkten nur knapp verteidigen. Der DAX erreichte damit einen neuerlichen Tiefstand seit März. Der MDAX der mittelgroßen Werte verlor ebenfalls deutlich 3,77 Prozent auf 26.735 Punkte. Wegen des Fronleichnam-Feiertags in den südlichen Teilen des Bundesgebiets waren nicht alle heimischen Anleger am Markt.

Unter den Einzelwerten schlossen im DAX alle 40 Aktien im Minus. Schlusslicht war der Online-Modehändler Zalando, dessen Aktie erneut heftig um 12,44 Prozent auf 24,91 Euro unter die Räder kam. Sie fiel damit auf den tiefsten Stand seit Februar 2019. Eine gesenkte Prognose des britischen Konkurrenten Asos und ein enttäuschender Zwischenbericht von Boohoo sorgten für eine schlechte Branchenstimmung.

Auch die anderen Online-Aktien Delivery Hero und Hellofresh erlebten einen schwarzen Tag und setzten damit ihren jüngsten Negativlauf fort. Ansonsten gingen die Verluste quer durch alle Branchen.

Für Unruhe unter den Anlegern sorgten heute insbesondere die jüngsten drastischen Aktionen der Notenbanken. Aber auch die Drosselung der Gaslieferungen durch den russischen Staatskonzern Gazprom nach Deutschland und andere europäische Länder sorgte für weitere Verunsicherung.

Die Märkte mussten nicht nur verdauen, dass die US-Notenbank Federal Reserve gestern den Leitzins um 75 Basispunkte erhöhte - und damit so stark wie seit 1994 nicht mehr. Es war vor allem die überraschende Zinserhöhung der Schweizer Nationalbank (SNB), die Europas ohnehin fragilen Börsen heute schwer zusetzte. Die SNB hatte den Leitzins um 0,5 Prozentpunkte heraufgesetzt und dies als Maßnahme gegen inflationären Druck bezeichnet.

"Es gab zwar Spekulationen, dass die SNB von ihren deutlich negativen Zinsen abrücken könnte", sagte Rabobank-Anlagestrategin Jane Foley. "Der heutige Zinsschritt ist dennoch eine große Überraschung."

Hingegen war die Erhöhung des Leitzinses um 25 Basispunkte auf 1,25 Prozent durch die Bank of England erwartet worden. Es war bereits die fünfte Zinserhöhung in Folge, Anleger hatten sogar mit einem noch stärkeren Zinsschritt gerechnet.

Die Märkte interpretieren das als Warnsignal: Offenbar fürchten immer mehr Zentralbanken, die Kontrolle über die Inflationserwartungen zu verlieren, nachdem sie sehr lange gezögert haben, die hohen Inflationsraten überhaupt als bleibendes Problem zu identifizieren.

Update Wirtschaft vom 16.06.2022

Dorothee Holz, HR, tagesschau24

Nun also reagieren Fed, SNB und vermutlich auch bald die Europäische Zentralbank (EZB), auf die der Druck nach dem SNB-Entscheid weiterwächst. Die Entscheidung der SNB zeige, dass derzeit so ziemlich alle großen Zentralbanken am selben Strang ziehen, sagte Chris Scicluna von Daiwa Capital Markets.

Doch kommt die Straffung der Geldpolitik zu spät, um der Inflation noch Herr zu werden? Und was sind die Kollateralschäden? Werden die steigenden Zinsen die Konjunktur abwürgen und die USA und Europa in die Rezession stürzen?

Auf dem Rentenmarkt gingen die Kurse ebenfalls auf Talfahrt. Die Umlaufrendite stieg von 1,66 Prozent am Vortag auf 1,72 Prozent. Der Rentenindex Rex gab um 0,27 Prozent auf 130,47 Punkte nach. Diesen Index berechnet die Deutsche Börse auf Basis der Kassakurse ausgesuchter Anleihen. Die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe stieg auf 1,70 Prozent.

Bewegung gab es nach den Zinsentscheiden auch an den Devisenmärkten. Der Euro machte im Verlauf Boden gut und handelt derzeit bei 1,0528 Dollar. Die Europäische Zentralbank setzte den Referenzkurs auf 1,0400 (Mittwoch: 1,0431) Dollar fest. Auch das britische Pfund erholte sich zum Dollar, nachdem es zunächst zurückgefallen war.

Der Euro wurde zeitweise durch starke Sorgen um die Energieversorung belastet, nachdem der russische Energiekonzern Gazprom wie angekündigt in der Nacht zum Donnerstag seine Gaslieferungen nach Deutschland durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 weiter reduziert hat. Russland hat zudem auch die Lieferungen an Italien, Frankreich und Österreich gesenkt. Die europäischen Gaspreise stiegen wegen der Lieferverknappung um über 22 Prozent. Europa ist besonders stark von russischer Energie abhängig.

Der Schweizer Franken zog hingegen deutlich an. Gegen den Dollar wertet er um über 2,6 Prozent deutlich auf.

Auch am New Yorker Aktienmarkt geht es kräftig bergab. Der Leitindex Dow Jones bleibt wie schon zur Eröffnung rund 2,5 Prozent im Minus. An der Technologiebörse Nasdaq geht es sogar über vier Prozent in den Keller. Damit kehrt nach den Gewinnen des Vortages wieder Ernüchterung ein.

Thema des Tages sind auch in den USA die Zinserhöhungen der Notenbanken, wobei vor allem der Zinsschritt aus der Schweiz überraschend kam. Dies könnte die Sorgen hinsichtlich des globalen Wirtschaftswachstums weiter schüren und so wieder für einen Stimmungsumschwung sorgen, hieß es aus dem Markt. Derweil fiel die Leitzinserhöhung der Bank of England mit 0,25 Prozentpunkten erwartungsgemäß aus.

Aktien des Fast-Food-Riesen aus dem Dow Jones fallen rund 1,3 Prozent und grenzen damit ihre Anfangsverluste ein. Zuvor war bekannt geworden, dass der Konzern in Frankreich 1,25 Milliarden Euro an die Justiz zahlt und damit ein Verfahren wegen Steuerbetrugs beenden will.

Die sinkende Risikoaversion der Anleger und der steigende Dollar machen sich auch am Ölmarkt bemerkbar. Am späten Nachmittag kostet ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent rund 1,5 Prozent weniger bei 118,40 US-Dollar. Ein Fass der US-Leichtölsorte WTI kostet knapp 116 Dollar und damit 1,2 Prozent weniger. Die Ölpreise verringern damit ihre Verluste, die zuvor noch deutlicher ausgefallen waren.

Im DAX standen auch die Autowerte im Fokus. Im Mai fielen die Pkw-Neuzulassungen in der Europäischen Union um elf Prozent auf 791.000 Fahrzeuge, wie der Herstellerverband ACEA heute mitteilte. Das war der zehnte Minus-Monat in Folge. Allerdings fiel das Minus nicht ganz so groß aus wie im Vormonat (20,6 Prozent).

Im DAX gaben BASF, im MDAX Uniper-Papiere deutlich nach. Hauptgrund war die weitere Reduzierung der Gaslieferungen nach Deutschland durch den russischen Energiekonzern Gazprom. BASF sackten mit einem Minus von 6,86 Prozent auf 45,66 Euro auf den tiefsten Stand seit Ende Oktober 2020, Uniper rutschten mit minus 9,73 Prozent auf 18,92 Euro auf ein Tief seit Anfang März.

Uniper ist Deutschlands größter Importeur von russischem Erdgas, zudem muss der Konzern Milliarden auf das Gaspipeline-Projekt Nord Stream 2 abschreiben. Bei der BASF bedroht ein möglicher Stopp russischer Gaslieferungen die Produktion am Chemiestandort Ludwigshafen. Gazprom hatte die tägliche Höchstmenge von Gaslieferungen nach Deutschland zuletzt um rund 60 Prozent gedrosselt und den Schritt mit Verzögerungen bei Reparaturarbeiten durch den Energietechnikkonzern Siemens Energy begründet.

Nordex bekommt für seine verzögerte Vorlage von Quartalszahlen die Quittung. Die Aktien des Herstellers von Windkraftanlagen werden aus dem SDAX und TecDAX herausgenommen, wie die Deutsche Börse als Indexanbieter mitteilte. Dafür steigt das Spezialpharma-Unternehmen Medios wieder in den Index der kleineren Werte auf. Im TecDAX wird Nordex durch SMA Solar Technology ersetzt.

Der Großhändler Metro zieht bei seinem verlustreichen Geschäft in Belgien nach mehr als 50 Jahren die Reißleine. Die Tochter Makro Cash & Carry Belgien werde an ein Finanzvehikel verkauft, hinter dem die Sanierungsexperten der deutschen One Square Advisors stehen, teilte Metro mit. Metro hofft, dass sich sein operatives Ergebnis (Ebitda) mit dem Verkauf um 20 Millionen Euro im Jahr verbessert.

Die Wiesbadener Aareal Bank ist nun zu 84 Prozent in den Händen von Finanzinvestoren. Das Konsortium aus Advent International, Centerbridge und dem kanadischen Pensionsfonds CPPIB (Canada Pension Plan Investment Board) hat sich nach Ablauf der letzten Annahmefrist 83,8 Prozent der Anteile an dem Immobilienfinanzierer gesichert.

Youtube ist bei Kurzvideos nach eigenen Angaben mit dem Konkurrenten Tiktok gleichgezogen. Wie der Videodienst gestern mitteilte, nutzen mittlerweile mehr als 1,5 Milliarden Nutzer pro Monat das Angebot mit Videos mit einer Länge von maximal 60 Sekunden. "Shorts hat sich wirklich durchgesetzt", sagte Produktmanager Neal Mohan.

Die EU-Arzneimittelbehörde EMA hat das schnelle Prüfverfahren für einen auf Virusvarianten angepassten Corona-Impfstoff der Hersteller Pfizer und BioNTech eingeleitet. Der Impfstoff soll gezielter etwa vor der Omikron-Variante des Virus schützen. Bisher ist noch kein Impfstoff in der EU zugelassen, der auch auf Varianten des Corona-Virus zielt.

Ein Beratergremium der US-Arzneimittelbehörde FDA hat sich für den Einsatz von Coronavirus-Impfstoffen bei Kindern im Alter zwischen sechs Monaten und fünf Jahren ausgesprochen. Sowohl der Impfstoff der Hersteller BioNTech und Pfizer als auch das Präparat von Moderna könnten dafür zum Einsatz kommen, urteilte das Gremium jeweils einstimmig. Die FDA folgt meist der Einschätzung der Berater.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 16. Juni 2022 um 09:25 Uhr.