Wall Street New York
Marktbericht

Trotz angespannter Märkte US-Anleger wieder etwas mutiger

Stand: 23.06.2022 22:22 Uhr

Zwar stabilisierten sich die US-Börsen heute, trotzdem bleibt das Marktumfeld angespannt. Rezessionsängste sind keinesfalls vom Tisch. Darunter litt heute insbesondere der DAX kräftig.

Die US-Märkte stabilisierten sich heute und legten allesamt zu. Händlern zufolge hielten die Anleger Ausschau nach Schnäppchen, um sich nach der jüngsten Marktschwäche mit Aktien zu relativ niedrigen Kursen einzudecken. Das Kaufinteresse sei jedoch nach wie vor etwas gedämpft, da die Sorgen wegen einer möglichen Rezession die Märkte weiterhin belasten.

Vor allem an der Nasdaq ging es stärker bergauf, der Auswahlindex Nasdaq 100 stieg um 1,47 Prozent auf 11.697 Zähler. Der Leitindex Dow Jones konnte indes nicht mithalten und wechselte des öfteren das Vorzeichen. Im späten Geschäft legte er aber auch noch etwas zu in Richtung Tageshoch bei 30.715 Punkten. Am Ende stand ein Plus von 0,64 Prozent auf 30.677 Punkte. Der marktbreite S&P-500-Index, der sowohl Standard- als auch Tech-Aktien enthält, schloss bei 3795 Punkten um 0,95 Prozent höher.

Die Lage bleibt damit fragil. Am Mittwoch hatte US-Notenbankchef Jerome Powell die Möglichkeit einer Rezession eingeräumt. Eine solche zu vermeiden sei "sehr herausfordernd".

"Powell hat das R-Wort benutzt", so Marktanalyst Jeffrey Halley vom Broker Oanda in Anspielung auf das gefürchtete Wort Rezession in der jüngsten Rede des US-Notenbankpräsidenten vor einem Senatsausschuss. Mit der gleichzeitigen Bestätigung, dass die hohe Inflation auf ein erträglicheres Maß gebracht werden müsse, befänden sich die Anleger stimmungsmäßig im "Niemandsland".

Die US-Notenbank wird laut ihrem Chef mit aller Kraft daran arbeiten, die auf ein 40-Jahres-Hoch gekletterte Inflation zu senken. Das Engagement der Notenbank sei bedingungslos, sagte Powell bei seiner halbjährigen Anhörung im US-Kongress. Powell hatte bereits am Mittwoch im Bankenausschuss des US-Senats Rede und Antwort gestanden.

"Wir müssen wirklich Preisstabilität wieder herstellen", sagte er im Finanzdienstleistungsausschuss des US-Repräsentantenhauses, der zweiten Kammer des US-Kongresses. "Denn ohne diese werden wir nicht in der Lage sein, eine anhaltende Phase mit Vollbeschäftigung zu haben, in der die Vorteile sehr breit verteilt sind", sagte er. Auch zuvor schon hatte er stets die Entschlossenheit der Notenbank bekräftigt, die Inflation im Land energisch zu bekämpfen.

Der DAX hat heute deutlich schwächer geschlossen und ist dabei unter die Marke von 13.000 Punkten gefallen. Das Minus lag bei Handelsschluss bei 1,76 Prozent auf 12.912 Punkte. Bereits gestern hatte der deutsche Leitindex 1,1 Prozent auf 13.144 Punkte verloren. Der MDAX, der Index der mittelgroßen Werte, verlor mit 2,74 Prozent auf 26.499 Punkte sogar noch stärker.

Schwache deutsche und europäische Konjunkturdaten befeuerten Rezessionsängste der Anleger. Der Einkaufsmanagerindex für die Privatwirtschaft - Industrie und Dienstleister zusammen - sank im Juni auf ein Sechs-Monats-Tief, wie S&P Global mitteilte.

Die Daten zeigten, "dass die deutsche Wirtschaft praktisch den gesamten Schwung verloren hat, den sie durch die Lockerung der Corona-Beschränkungen gewonnen hatte", sagte S&P-Global-Ökonom Phil Smith. Der Einkaufsmanagerindex für die gesamte Wirtschaft in der Eurozone sank sogar auf den tiefsten Stand seit 16 Monaten.

Auch der von Wirtschaftsminister Robert Habeck ausgerufenen Gas-Notstand sorgte für eine gedrückte Stimmung. Mit so viel Pessimismus im Gepäck weiteten sich die Verluste hierzulande am Nachmittag trotz einer erholten Wall Street aus. "Den Anlegern wird gerade auf eindrucksvolle Art und Weise vor Augen geführt, dass die deutsche Wirtschaft im Falle einer vollständigen Unterbrechung der Gasverbindungen zu Russland in ernste Schwierigkeiten geraten könnte", sagte Analyst Timo Emden von Emden Research.

Bundesbank-Präsident Joachim Nagel hat derweil davor gewarnt, dass sich die derzeit hohe Inflation festsetzt. "Als Mitglieder des EZB-Rates müssen wir dafür sorgen, dass sich die erhöhte Inflation mittelfristig nicht festsetzt", sagte Nagel bei einer Veranstaltung in Eltville am Rhein laut Redetext.

"Derzeit dürfen Zentralbanken aus meiner Sicht nicht zu spät und zu wenig reagieren." Andernfalls könnten noch stärkere Zinserhöhungen notwendig werden, um die Inflation in den Griff zu bekommen. Dies würde viel höhere volkswirtschaftliche Kosten verursachen.

Die Ölpreise sind heute wieder gefallen und rangieren in der Nähe ihrer tiefsten Stände seit gut einem Monat. So verbilligte sich die US-Rohölsorte WTI um zwei Prozent auf 104 Dollar je Barrel (159 Liter). Der Preis für Kupfer steuerte zuletzt mit einem Minus von bis zu 4,8 Prozent auf den größten Tagesverlust seit dem seit dem Börsen-Crash vom März 2020 zu. Trotzdem konnten die Aktienmärkte nicht profitieren.

An den Rohstoffmärkten drehe sich alles um eine drohende Rezession, sagte Analystin Susannah Streeter vom Brokerhaus Hargreaves Landsdown. Hintergrund sind die Folgen des Ukraine-Kriegs und die hohe Inflation. "Die Einsicht, dass eine Rezession unvermeidlich sein könnte, wenn die Zentralbanken die Inflation wieder in den Griff bekommen wollen, hat sich weit verbreitet", meint Craig Erlam, Experte beim Broker OANDA.

Der Euro leidet nach den schwachen Einkaufsmanagerindizes aus Europa ebenfalls unter Rezessionsängsten und gibt gegen den Dollar nach. Am späten Nachmittag kostet die europäische Gemeinschaftswährung 1,0507 Dollar. Am Morgen hatte er noch bei 1,0581 Dollar notiert. Die Europäische Zentralbank setzte den Referenzkurs auf 1,0493 (Mittwoch: 1,0521) Dollar fest.

"Das Dilemma für die EZB wird damit immer größer", kommentierte Christoph Weil, Volkswirt bei der Commerzbank. Die in die Höhe geschossene Inflationsrate spreche eigentlich für eine massive Straffung der Geldpolitik. "Doch dies würde die Wirtschaft noch stärker bremsen." Die EZB will erst im Juli mit ihren Zinserhöhungen beginnen und agiert damit deutlich vorsichtiger als andere Notenbanken.

Unter den Einzelwerten standen vor allem Banken unter Druck. Als schwächster DAX-Wert verlor die Deutsche Bank satte 12,2 Prozent und sackte auf den tiefsten Stand seit Anfang März. Im MDAX rutschten Papiere der Commerzbank um 11,8 Prozent ab. Auf der Branche lastet die Sorge, dass die Menschen und Unternehmen im Fall einer Rezession Schwierigkeiten bekommen, Kredite zurückzuzahlen. Auch auf europäischem Parkett schnitten die Geldhäuser mit am schlechtesten ab.

Der Modehändler Zalando streicht infolge einer abflauenden Kauflust der Kunden seine Jahresziele zusammen. 2022 dürfte der Umsatz im besten Fall nur um drei Prozent auf 10,7 Milliarden Euro steigen, teilte das im DAX notierte Unternehmen am Abend nach Börsenschluss mit.

Allerdings könnte der Erlös auch bei 10,4 Milliarden Euro stagnieren, nachdem der Vorstand Anfang Mai noch von einem Wachstum von bis zu 19 Prozent ausgegangen war. Damals hatte der Vorstand bereits die Prognose an das untere Ende des ursprünglichen Ausblicks angepasst. Die derzeitigen Herausforderungen könnten nun aber länger anhalten und intensiver ausfallen als gedacht, hieß es nun. Das um Sondereffekte bereinigte Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) soll 2022 jetzt bei 180 bis 260 Millionen Euro liegen, nach bislang angepeilten 430 bis 510 Millionen Euro. Die Aktien fielen im nachbörslichen Handel deutlich.

Die grassierende Rezessionsfurcht hat Folgen für konjunkturabhängige Titel wie Minen- und Stahlwerte. Der Branchenindex Stoxx Europe 600 Basic Resources knickte heute ein auf einen weiteren Tiefststand seit Ende 2021. In Deutschland verloren Thyssenkrupp und Aurubis deutlich stärker als der Gesamtmarkt.

Zu den größten Verlierern im DAX gehört derzeit die BASF-Aktie. Sie schloss heute erneut 4,54 Prozent leichter auf 41,43 Euro und nähert sich damit den Tiefständen aus der Corona-Krise 2020 bei etwas über 39 Euro. Anfang des Jahres wurden noch mehr als 65 Euro für die Aktie des weltgrößten Chemieunternehmens aus Ludwigshafen bezahlt.

BASF stellt sich nach Ausrufung der zweiten Alarmstufe das Notfallplans Gas auf deutlich höhere Preise ein. Das Unternehmen erwarte, dass die Gaspreise "massiv steigen, weil die Versorger verstärkt Gas kaufen", sagte eine Sprecherin heute.

BASF gilt als größter industrieller Gasverbraucher in Deutschland und hat bereits einen "Sonderalarmplan Erdgas" für ihren weltweit größten Standort in Ludwigshafen ausgearbeitet. Darin ist detailliert aufgeführt, wie BASF auf Gaskürzungen oder Druckschwankungen reagieren wird. Einzelheiten dazu nennt der Konzern nicht. BASF hatte nur erklärt, dass Ludwigshafen mit reduzierter Last weiterbetrieben werden könne, wenn die Versorgung nicht unter etwa 50 Prozent des maximalen Gasbedarfs sinke.

Der weltgrößte Flugzeugbauer Airbus will bei der Entwicklung einer Wasserstoff-Infrastruktur an Flughäfen auch mit dem Gase-Konzern Linde zusammenarbeiten. Beide Gesellschaften hätten eine entsprechende Absichtserklärung unterzeichnet, teilte Airbus am Donnerstag auf der Luftfahrtmesse ILA in Berlin mit. Die Kooperation umfasse die Zusammenarbeit bei der Versorgung mit Wasserstoff von der Produktion über die Speicherung am Flughafen bis zur Betankung der Flugzeuge.

Siemens Energy und der französische Gasehersteller Air Liquide wollen derweil Elektrolyseure für Wasserstoff aus erneuerbaren Energien bauen. Bis 2025 soll eine jährliche Produktionskapazität von 3 Gigawatt erreicht werden, wie die beiden Unternehmen am Donnerstag mitteilten. Das entspricht der Leistung von 200 bis 300 großen Windrädern auf See. Der Start der Produktion ist für die zweite Jahreshälfte 2023 geplant. Bereits im Februar hatten die beiden Unternehmen angekündigt, bei der Entwicklung von Elektrolyseuren im industriellen Maßstab zusammenarbeiten zu wollen.

BMW hat eine neue Autofabrik im nordchinesischen Shenyang eingeweiht. Produktionsvorstand Milan Nedeljkovic sagte am Donnerstag, das Werk Lydia sei "vollständig auf E-Mobilität ausgerichtet", könne aber auch andere Modelle produzieren. Die Produktion des BMW i3 - einer vollelektrischen mittelgroßen Sportlimousine für den chinesischen Markt - läuft bereits. Zusammen mit den benachbarten Werken Tiexi und Dadong soll die Produktionskapazität von BMW in Shenyang damit auf 830.000 Fahrzeuge jährlich steigen.

BMW-China-Chef Jochen Goller sagte, dass man sich auf weiteres Wachstum auf dem weltweit größten Elektroautomarkt vorbereite und von den langfristigen Perspektiven Chinas überzeugt sei. Bis 2025 solle jeder vierte in China verkaufte BMW vollelektrisch fahren.

Volkswagen reduziert wegen Lieferengpässen in seinem Werk in Brasilien die Arbeitsstunden und Löhne. Die Gewerkschaft habe dem Vorschlag des deutschen Automobilherstellers zugestimmt, die Arbeitszeit ab Juli um 24 Prozent und die Löhne um zwölf Prozent zu kürzen, um Schließungen zu verhindern, sagte Gewerkschaftsvertreter Wellington Damasceno. Die Vereinbarung trete ab dem 7. Juli unbefristet in Kraft, wenn die Beschäftigten von einer 10-tägigen Betriebsschließung zurückkehren sollen. Die Maßnahme werde monatlich überprüft und das Ende hänge von der Normalisierung der Versorgung mit Autoteilen ab.

Wegen der Engpässe an Flughäfen durch Personalmangel sagt MDAX-Konzern Lufthansa noch mehr Flüge ab. Über die 900 Streichungen im Juli hinaus werde die Airline weitere 2200 von insgesamt rund 80.000 Flügen im Sommer an den Drehkreuzen Frankfurt und München aus dem System nehmen, erklärte die Lufthansa am Abend. Dies betreffe vor allem innerdeutsche und europäische Flüge, jedoch nicht die zur Ferienzeit gut ausgelasteten klassischen Urlaubsziele. Annulliert werden Verbindungen nicht nur an den Wochenenden, wie im Juli, sondern auch während der Woche. "Darüber hinaus kann es auch zu Zeitenänderungen bei Flügen kommen", hieß es weiter.

Die neuen Tesla-Fabriken in Grünheide und Texas verlieren laut Konzernchef Elon Musk im Moment Milliarden. Grund sei ein Mangel an Batterien und Lieferkettenprobleme wegen der Lage in den chinesischen Häfen. In Texas rolle derzeit nur eine verschwindend geringe Anzahl von Autos vom Band.

Russische Hacker greifen nach Erkenntnissen von Microsoft in großem Stil westliche Verbündete der Ukraine an. Sie nähmen insbesondere Regierungscomputer in Nato-Ländern ins Visier, warnte der Software-Konzern. Ziel Nummer eins seien die USA, aber insgesamt hätten Microsofts Experten Attacken russischer Hacker auf 128 Organisationen in 42 Ländern außerhalb der Ukraine festgestellt.