Bundesbank-Chef Weidmann Der ewige Mahner geht
Heute nimmt Bundesbank-Präsident Weidmann zum letzten Mal an einer EZB-Rats-Sitzung teil. Um den "Falken" wurde es zuletzt immer einsamer. Ende Dezember gibt er sein Amt auf.
Sie hatte keine Mühen und Kosten gescheut: Bis ins Detail hatte EZB-Präsidentin Christine Lagarde alles ausarbeiten lassen, als sie sich kurz nach Amtsantritt im Herbst 2019 zum ersten Mal mit dem EZB-Rat in einem Luxus-Hotel im Taunus traf. Für die illustre Runde gab es gutes Essen und teuren Wein. Ziel war es, die Stimmung in dem Gremium aufzuheitern. Denn unter ihrem Vorgänger Mario Draghi hatte es da so manchen Konflikt gegeben.
Charme-Offensive wirkt zunächst
Einer, den es besonders oft getroffen hatte, war Bundesbank-Präsident Jens Weidmann. Der Anführer der sogenannten Falken im EZB-Rat hatte immer wieder auf eine konservative Geldpolitik gedrängt, die vor allem Preisstabilität wahrt und sich aus allem anderen möglichst heraushält. Mit dieser Auffassung und offener Kritik war er mit Draghi immer wieder aneinander geraten. Der hatte ihm das nicht verziehen.
Die Idee des "Versöhnungs-Dinners" im Luxus-Hotel schien aufzugehen: Offene Schlagabtausche zwischen Lagarde und Weidmann gab es nicht mehr. Um den Bundesbank-Chef wurde es ruhiger. Die Pandemie tat ein Übriges. Doch dann klingelte Mitte Oktober plötzlich bei Lagarde das Telefon. Am anderen Ende "ihr Freund Jens". Der teilte ihr freundlich, aber bestimmt mit, Ende Dezember sei Schluss für ihn - als Bundesbank-Präsident und als EZB-Ratsmitglied. Zwischen Frankfurt und Berlin glühten die Drähte. Doch die Entscheidung war gefallen.
Spekulationen über die Rückzugsgründe
Nach gut einer Dekade verlässt Jens Weidmann die Bundesbank. In einem Schreiben an die rund 10.000 Mitarbeitenden führte er persönliche Gründe an. Er sei "zur Überzeugung gelangt, dass mehr als zehn Jahre ein gutes Zeitmaß sind, um ein neues Kapitel aufzuschlagen - für die Bundesbank, aber auch für mich persönlich."
Viel wurde seitdem über die wahren Hintergründe spekuliert. Mangelnde Unterstützung durch die neue Ampel-Koalition etwa, die sich vor allem bei den Grünen auch eine weniger strikte Geldpolitik vorstellen könnte. Dagegen spricht allerdings die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Ex-Finanzminister und jetzt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Weidmann während der großen Koalition.
EZB-Chefposten schien ausgemacht
Etwas näher an der Realität dürfte die These sein, dass Weidmann von seiner einstigen Mentorin, Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), enttäuscht ist. Ihre Entscheidung, Weidmann den Weg an die Spitze der Europäischen Zentralbank zu verbauen, hat den heute 53Jährigen schwer getroffen - sowohl persönlich als auch mit Blick auf die Bedeutung des Amtes.
Merkel, die ihren einstigen Wirtschaftsberater immer gefördert hatte und im Mai 2011 als jüngsten Bundesbank-Präsidenten ins Amt schickte, steckte im Sommer 2019 in einem Dilemma: Eigentlich war es ausgemachte Sache, dass ein Deutscher zum Amtsende des Italieners Draghi im November 2019 auf den Präsidenten-Stuhl der EZB nachrücken würde. Damit waren die Weichen für Weidmann gestellt.
Doch parallel dazu musste auch die Spitze der EU-Kommission neu besetzt werden. Als sich die Chance auftat, ihre Parteifreundin Ursula von der Leyen dorthin zu befördern, entschied sich Merkel für die Kollegin - und gegen Weidmann. Zwei neue Deutsche in europäischen Spitzenämtern zur selben Zeit, das konnte auch Berlin nicht durchdrücken - zumal der Elyseépalast in Paris heftig an dieser Lösung mitwirkte, um auf diese Weise der Französin Lagarde in den Frankfurter Eurotower zu verhelfen.
Draghis Vorwurf der Illoyalität
Weidmann fiel also durchs Raster; ein Umstand, den er nur schwer verwand. Immer wieder gab es schon damals Spekulationen, er wolle deshalb das Handtuch werfen. Weidmann blieb aus Loyalität und auch wegen der aufziehenden Corona-Krise. Doch ihm wurde immer klarer, dass er auch im EZB-Rat kaum noch Freunde hatte. Dafür hatte nicht zuletzt Draghi gesorgt, der es Weidmann nie verziehen hatte, dass der Bundesbank-Chef im Sommer 2012 als einziger im EZB-Rat gegen eine Maßnahme zur Rettung des Euro gestimmt hatte, die Draghi auf den Weg gebracht hatte: die Möglichkeit, direkt kurzfristige Staatspapiere von in Not geratenen Euro-Staaten zu kaufen.
Das Instrument wurde zwar nie benutzt, doch Draghi rächte sich für die fehlende Loyalität des Deutschen, die auch im EZB-Rat auf großes Missfallen gestoßen war. Im Sommer 2019, als seine Nachfolge-Debatte in vollem Gange war, stichelte Draghi auf der jährlichen EZB-Konferenz im portugiesischen Sintra: Es sei nicht hilfreich und trage zum Populismus bei, wenn nationale Notenbanken wichtige Entscheidungen des EZB-Rates nicht mittrügen. Den Namen Weidmann nannte Draghi nicht, doch jeder wusste, wer gemeint war.
Gruppe der "Falken" wird immer kleiner
Auch sonst wollten viele im EZB-Rat die ewigen Mahnungen von Weidmann nicht mehr hören. Der blieb unermüdlich zu warnen, dass die ultra-lockere Geldpolitik Vermögensblasen an Aktien- und Immobilienmärkten auslöse, die Grenze zur nicht verfassungskonformen Staats-Finanzierung durch die EZB weitgehend erreicht sei, die Zentralbank sich stärker auf die Inflations-Bekämpfung konzentrieren müsse. Doch die Gruppe der sogenannten Falken, die Weidmann anführte, wurde immer kleiner.
Die Tauben als Vertreter einer lockeren Geldpolitik wurden immer mächtiger, einige von Weidmanns Mitstreitern machten sich rar: Der neue Notenbank-Chef Finnlands, Olli Rehn, vertrat im Gegensatz zu seinem Vorgänger plötzlich ebenfalls Ansichten der Tauben, der den Falken nahestehende Zentralbank-Chef der Niederlande, Klaas Knot, unterstützte Weidmann zwar verbal, knickte am Ende aber doch häufig ein.
Die neue deutsche EZB-Direktorin Isabel Schnabel, Wirtschaftswissenschaftlerin und ohne Bezug zur Bundesbank, vertrat von Anfang an die Linie der Tauben. Wirklich verlassen konnte sich der Bundesbank-Chef am Ende nur noch auf den österreichischen Kollegen Robert Holzmann, der sich jetzt auch anschickt, Weidmanns Mahner-Rolle zu übernehmen.
Bundesbank mit immer weniger Einfluss
Auch ansonsten ist die Ära Weidmann ein Sinnbild dafür, wie die Bundesbank massiv an Einfluss innerhalb der EZB verloren hat. Besonders deutlich wurde das an der zermürbenden Debatte über die neue Strategie der EZB. Das seit dem Sommer geltende Ziel der Inflationsrate wurde auf genau zwei Prozent festgelegt - ein Bruch mit der Bundesbank-Tradition, die immer Werte nahe, aber unter zwei Prozent angestrebt hatte. Zwar gelang es Weidmann mit viel Wort-Akrobatik, das neue Ziel etwas zu verwässern. Doch faktisch war die unter Führung von Lagarde und ihrem Chefvolkswirt Philip R. Lane auf den Weg gebrachte Entscheidung eine Niederlage für die Bundesbank.
Ebenso wie das Streichen der monetären Analyse aus den Statements, die nach jeder Pressekonferenz seit Gründung der EZB veröffentlicht werden. Auf Drängen der Bundesbank, deren Vertreter traditionell sehr stark auf das Geldmengen-Wachstum achten, war diese monetäre Analyse zumindest formal immer der wirtschaftlichen Analyse gleichgestellt. Letztere untersucht Einflüsse aus dem realen Wirtschaftsgeschehen. Seit Inkrafttreten der neuen Strategie spielt die monetäre Analyse in der EZB keine signifikante Rolle mehr. Viele südliche Euro-Staaten konnten damit noch nie etwas anfangen.
Schon mehrere Deutsche warfen hin
Die Frustration der meisten deutschen Vertreter im EZB-Rat, die immer mehr auf verlorenen Posten stehen, ist nicht neu: schon Weidmanns Vorgänger Axel Weber warf deshalb hin und machte lieber Karriere bei der Schweizer Bank UBS. Der Beginn der lockeren Geldpolitik war dem angesehenen deutschen Chef-Volkswirt Jürgen Stark so zuwider, dass er 2012 auf dem Höhepunkt der Euro-Krise das Gremium verließ. Vor zwei Jahren hatte auch EZB-Direktoriums-Mitglied Sabine Lautenschläger die Nase voll von der Geldpolitik und verkündete ziemlich überraschend ihren Rücktritt.
Jetzt ist also Weidmann das nächste Opfer einer Entwicklung innerhalb der EZB, die mit dem Modell der Bundesbank nicht mehr viel zu tun hat - ein Modell, dass die deutschen Vertreter bei der Gründung der EZB favorisierten und durchsetzten, weil sie nur so der hiesigen Bevölkerung den damals eher ungeliebten Euro und die Abschaffung der D-Mark schmackhaft machen konnten.
EZB als Hilfsanker für Schuldnerstaaten
Heute steht die EZB nicht mehr in erster Linie für Inflationsbekämpfung, sondern vor allem als politischer Garant für die Währungsunion und als Hilfsanker für überschuldete Mitgliedsstaaten. Diese Positionierung aber widerspricht der Tradition der Bundesbank, weshalb sich deutsche Währungshüter nicht damit anfreunden können. Und genau diese Entwicklung dürfte auch der wahre Grund für Weidmanns Rücktritt sein.
So geht der ruhige, diplomatische, in der Sache aber kompromisslose Streiter für die vermeintlich gute Sache also von dannen. Mit nur 53 Jahren dürfte für den gelernten Volkswirt mit viel internationaler Erfahrung aber nicht Schluss sein: Nach einer "Abkühlungsphase" stehen die Welt der Wissenschaft und der Wirtschaft für Weidmann offen. Man wird sicherlich wieder von ihm hören.