Akten zu einer Klage gegen den VW-Konzern während einer Pressekonferenz auf einem Tisch
FAQ

Mehr Rechte für Verbraucher So funktioniert die Musterfeststellungsklage

Stand: 01.11.2018 18:12 Uhr

In den USA ist VW mit Sammelklagen konfrontiert. Seit heute können auch in Deutschland Verbraucher gebündelt ihre Rechte einklagen. Die wichtigsten Fragen zur neuen Musterfeststellungsklage.

Warum wurde die Musterfeststellungsklage eingeführt?

Die neue Klage soll es für Verbraucher einfacher machen, ihre Rechte durchzusetzen. Damit nicht jeder einzeln Schadensersatz einklagen muss, können Verbraucherverbände strittige Fragen in einem Musterprozess grundsätzlich klären lassen. Der Abgasskandal ist der erste Praxistest des neuen Gesetzes.

Wie funktioniert das genau?

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen will am Tag des Inkrafttretens des Gesetzes - also am 1. November - beim Oberlandesgericht Braunschweig eine Musterklage gegen VW einreichen. Für die Einleitung des Verfahrens müssen mindestens zehn Verbraucher mitmachen.

Anschließend können sich weitere Betroffene kostenlos beim Bundesamt für Justiz in ein Register eintragen lassen und sich damit der Klage anschließen. Innerhalb von zwei Monaten müssen insgesamt 50 Verbraucher zusammenkommen. Eintragen kann man sich bis zum letzten Tag vor der mündlichen Verhandlung. Einen Rückzieher kann man noch bis zum Ende des ersten Prozesstages machen.

Wer kann sich dieser Diesel-Musterklage anschließen?

Käufer von Fahrzeugen der Marken VW, Audi, Skoda und Seat mit Motoren des Typs EA 189 (Vierzylinder, Hubraum: 1,2 oder 1,6 oder 2,0 Liter), die ihr Auto nach dem 1. November 2008 gekauft haben. Die Dieselfahrer müssen außerdem von einem Pflichtrückruf betroffen gewesen sein und dürfen noch nicht selbst geklagt haben.

Was will die Verbraucherzentrale mit der Musterklage durchsetzen?

Der Verband will erreichen, dass das Gericht grundsätzlich feststellt, dass VW durch den Einsatz der manipulierten Abgas-Software Autokäufer vorsätzlich sittenwidrig geschädigt und betrogen hat - und deshalb Schadensersatz zahlen oder den Kaufpreis erstatten muss.

Was sind die Vorteile der Musterfeststellungsklage?

Wer mitmacht, hat keine Kosten. Das Prozesskostenrisiko trägt die Verbraucherzentrale. Wer sich ins Klageregister eingetragen hat, kann den Ausgang des Prozesses also abwarten und dann entscheiden, ob und wie er weitermachen will.

Was sind die Nachteile?

Der Musterprozess ist nur der erste Schritt. Verliert VW, ist noch nicht geklärt, wie viel Schadensersatz der Konzern jedem einzelnen Verbraucher zahlen muss. Die Betroffenen müssen aufgrund des Musterurteils individuell durchsetzen, wie hoch ihr eigener Schaden tatsächlich ist. Insgesamt kann es also einige Jahre dauern, bis Autokäufer Geld sehen.

Die Verbraucherzentrale setzt allerdings darauf, dass VW zu Zahlungen bereit sein könnte, ohne es auf weitere Prozesse ankommen zu lassen. Gewinnt VW den Prozess, dann haben alle Beteiligten Pech gehabt - auch wenn sie mit der Prozessführung im Musterverfahren nicht einverstanden waren.

Ist ein Vergleich während des Musterprozesses möglich?

Ja, ein solcher Vergleich würde dann für jeden gelten, der sich im Klageregister eingetragen hatte - es sei denn, man will das nicht und tritt aus dem Vergleich aus.

Wie sind bisherige Klagen von Kunden im Diesel-Skandal ausgegangen?

Nicht alle Autokäufer haben die Musterfeststellungsklage abgewartet. Nach Angaben von VW waren im September rund 23.800 Klagen gegen Händler oder Hersteller anhängig. Mehr als 6000 Urteile gab es demnach. Eine einheitliche Linie lässt sich noch nicht erkennen. Das liegt auch daran, dass es bisher wenige obergerichtliche Entscheidungen gibt.

Wieso gibt es bisher nur so wenige Urteile oberer Gerichte?

VW scheint die Strategie zu verfolgen, Entscheidungen auf Ebene der Oberlandesgerichte und des Bundesgerichtshofs möglichst zu verhindern. Sieht es für den Konzern schlecht aus, bietet er den Klägern einen Vergleich an und vereinbart Stillschweigen über die Einzelheiten. Schon auf Ebene der Oberlandesgerichte sind so einige Entscheidungen verhindert worden.

Hat es noch kein Fall zum Bundesgerichthof geschafft?

Doch - einen ersten Fall verhandeln die höchsten deutschen Zivilrichter am 9. Januar. Dabei geht es um die Klage gegen einen Skoda-Händler, ein Käufer will 5500 Euro zurück. Während des Verfahrens wurde das vom Hersteller angebotene Software-Update am Auto des Klägers durchgeführt.

Der Käufer ist der Ansicht, dass das Update zu anderen Nachteilen führen könnte - etwa zu einem höheren Kraftstoffverbrauch. Außerdem sei der Wiederverkaufswert seines Autos allein deshalb gesunken, weil es vom Abgasskandal betroffen ist.

Warum gibt es so etwas wie die Musterfeststellungsklage nicht längst?

Sammelklagen mit hohen Schadensersatzforderungen, wie sie in den USA üblich sind, sind für viele ein Schreckgespenst. Aus der Wirtschaft kamen Bedenken, dass nun auch in Deutschland große Kanzleien oder extra gegründete Vereine aus dem neuen Instrument ein Geschäftsmodell entwickeln könnten. Die Details der Neuregelung waren deshalb bis zuletzt zwischen den Koalitionspartnern umstritten.

Um eine ausufernde Klageindustrie zu vermeiden, können nun nur "qualifizierte Einrichtungen" klagen, die vorher festgelegt worden sind. Nicht vergessen werden darf außerdem: Millionensummen für kleine Schäden (wie in den USA: Schadensersatz als "Strafe") wird es in Deutschland auch mit der neuen Klage nicht geben. Da ist unser Rechtssystem einfach anders.

Gab es ähnliche Instrumente nicht auch schon vorher?

Ja, in bestimmten Fällen konnten Verbände auch vor der Einführung der Musterfeststellungsklage Verbraucherrechte vor Gericht durchsetzen. Dabei geht es etwa um unzulässige "Allgemeine Geschäftsbedingungen" oder andere Praktiken, die gegen Verbraucherschutzgesetze verstoßen. Dieses Klagerecht haben vor allem Mietervereine und die Verbraucherzentralen, aber etwa auch der ADAC und Anlegerschutzvereine.

Außerdem gibt es bereits im Aktienrecht ein Musterverfahren für Kapitalanleger. Seit Mitte September verhandelt das Oberlandesgericht Braunschweig über ein solches Verfahren, das Anleger gegen VW und Porsche wegen erlittener Kursverluste im Abgas-Skandal angestrengt haben.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 14. Juni 2018 um 22:38 Uhr.