Wirtschaftsverbände treffen Scholz "Die Bürokratie erwürgt uns inzwischen"
Bei der Münchner Handwerksmesse trifft Kanzler Scholz heute Vertreter der vier führenden Wirtschaftsverbände. Ihr Gesprächsbedarf ist groß: Sie fordern Erleichterungen, beklagen Fachkräftemangel und zu viel Bürokratie.
Zunächst einmal die gute Nachricht: Trotz der zeitweise dramatisch gestiegenen Energiepreise ist die deutsche Wirtschaft von einer Rezession verschont geblieben - auch dank der Krisenmaßnahmen der Politik. Stichwort: LNG-Gas. Das würdigen auch die Vertreter der Wirtschaftsverbände. Doch zugleich blicken sie bang in die Zukunft.
Viele bisherige Standortvorteile seien gefährdet, beklagt zum Beispiel die Deutsche Industrie- und Handelskammer: nicht nur bei der günstigen Energieversorgung, sondern auch hinsichtlich verlässlicher und transparenter Behörden, guter Bildung, ausreichender Fachkräfte sowie der Verkehrsinfrastruktur. Gegensteuern sei daher angesagt, vor allem in vier Bereichen.
Erstens: Die Kosten müssten runter. "Da wir beschäftigungsintensiv sind im Handwerk, drückt uns natürlich das Thema Kosten der Solidar- und Sozialsysteme", sagt Holger Schwannecke vom Zentralverband des Deutschen Handwerks. Die Sozialversicherungsbeiträge, die auch dank der guten Beschäftigungslage lange stabil waren, sind wieder über 40 Prozent gestiegen.
Laufende Kosten hoch
Die Kosten für Kranken- und Pflegeversicherung könnten das Problem verschärfen. Aber auch die Energiepreise belasten weiter, viele Unternehmen haben von den Strom- und Gaspreisbremsen wegen hoher Auflagen nichts.
Zweiter Bereich, in dem Handlungsbedarf bestehe: Es werden dringend Fachkräfte gesucht. Das sei für viele Unternehmen existenziell, warnt Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. "Sie werden verschwinden und pleitegehen", prognostiziert er, wenn "sie eben nicht die Personen hätten, die sie brauchen, um Zukunftsinvestitionen in digitale Produkte, in neue Technologien gestalten zu können."
Die Wirtschaft erhofft sich daher Erleichterungen bei der Zuwanderung von Fachkräften - aber nicht nur in Gesetzesform. Selbst das beste Fachkräfteeinwanderungsgesetz bringe nichts, so der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) Peter Adrian, wenn potenzielle Arbeitskräfte in ihrem Heimatland sechs Monate auf einen Termin im deutschen Konsulat warten müssten.
Warten auf den Arbeitsstart
Dritter Punkt: weniger Bürokratie. Der Frust sei groß, wenn Unternehmer erführen, dass Mitarbeiter "zum Teil eben noch auf Papier behördliche Anforderungen erfüllen müssen", bevor sie im Dienst am Kunden eingesetzt werden könnten, sagt Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Deutsche Industrie- und Handelskammer. Das sei gerade dann der Fall, wenn es ohnehin schon zu wenig Fachkräfte gebe.
Ständig neue Dokumentationspflichten und Vorgaben - oft auch aus Brüssel - machten den Unternehmen das Leben schwer. Stichwort: Lieferkettengesetz. "Die Bürokratie erwürgt uns inzwischen", sagt Handwerkspräsident Dittrich. Die versprochene Beschleunigung von Genehmigungs- und Planungsverfahren komme nicht voran.
"Bitte keine Vorgaben im Detail"
Vierter Kritikpunkt: Eingriffe des Staates. "Es ist die Frage, wie kann man es einfacher machen kann", sagt Holger Lösch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie. "Wie kann man die Anreize an der richtigen Stelle in der richtigen Höhe setzen, damit die Dinge auch passieren?" Um diese Frage gehe es. Lösch befürwortet Rahmenbedingungen - aber bitte keine Vorgaben im Detail.
Gerade, wenn es um den Weg hin zur Klimaneutralität geht. DIHK-Präsident Adrian wird noch deutlicher: Er beobachtet den Versuch einer überkomplexen staatlichen Detailsteuerung. Ähnlich wie die FDP plädiert die Wirtschaft daher für Technologieoffenheit und wehrt sich gegen Verbote einzelner Technologien - sei es im Verkehr oder beim Wohnen.