Buchautor Köhler zu Bilanzzahlen "Facebook sucht nach wie vor ein Geschäftsmodell"
"Kein bisschen" überraschend findet Buchautor und Technologieexperte Thomas Köhler die enttäuschenden Facebook-Zahlen. Das Netzwerk suche nach wie vor ein tragfähiges Geschäftsmodell. Und das könne nur darin liegen, dass Facebook die Nutzer und ihre Daten zu Geld mache, sagt Köhler tagesschau.de.
tagesschau.de: Sind Sie über das schlechte Abschneiden von Facebook überrascht?
Thomas R. Köhler: Kein bisschen. Es war absehbar, auch wegen wegen der Belastungen durch den Börsengang. Und es ist absehbar, dass man nach wie vor nach einem tragfähigen Geschäftsmodell sucht. Letztendlich hat man nur das Anzeigengeschäft und einen kleinen Anteil an den Erlösen, die andere Unternehmen wie etwa der Spiele-Anbieter Zynga erzielen. Aber gerade gestern war zu hören, dass die Zahlen von Zynga auch schlecht waren.
tagesschau.de: Sehen sie eine Möglichkeit, wie Facebook mehr verdienen kann?
Köhler: Letztendlich nur so, dass sie die Nutzer zu Geld machen - das heißt die Daten, die sie erhoben haben und laufend erheben von inzwischen angeblich 950 Millionen Menschen weltweit. Das ist die einzige Chance, die Facebook hat. Und da wird man immer aufdringlicher: Ich erinnere nur an die zwangsweise Aufschaltung von Facebook-Email-Adressen und jetzt - gerade bekannt geworden - die Überwachung von Online-Chats.
tagesschau.de: Und da wächst der Druck der Anleger zunehmend?
Köhler: Letztendlich hat sich Marc Zuckerberg bisher immer aus der Affäre stehlen können. Er hat ja kurz vor dem Börsengang noch einen Zukauf von einer Milliarde Dollar getätigt. Auch das ist eine recht ungewöhnliche Angelegenheit. Und in irgendeiner Art und Weise wird er jetzt versuchen, neue Geschäftspotenziale zu erschließen, um dem Druck der Börse gerecht zu werden. Aber man darf nicht vergessen: Das Ziel, das Facebook ursprünglich hatte, nämlich die Anleger der ersten Stunde auszuzahlen, das hat das Unternehmen mit dem Börsengang schon längst erreicht.
tagesschau.de: Hat Facebook denn inzwischen eine ernst zu nehmende Konkurrenz?
Köhler: Google+ ist im Augenblick nur ein Netzwerk für "Techies". Wenn man sich die durchschnittliche Verweildauer von drei, vier Minuten anguckt und die mit facebook vergleicht, wo jeder Nutzer mehrere hundert Minuten im Monat im Netz ist, dann spielt Google+ keine Rolle. Es gibt sogar böse Stimmen, die sagen, Google+ ist so eine Art Geisterstadt im Social Web.
Soweit würde ich nicht gehen, aber weit und breit ist keine Alternative zu Facebook in Sicht. Das ist auch typisch für Geschäftsmodelle im Internet: Es gibt immer einen großen Sieger; denken Sie an Ebay. Daneben gibt es keine relevante Auktionsplattform. Und Facebook hat mit den genannten 950 Millionen Nutzern auch eine Art Monopol. Wenn jemand ins Netz geht, dann dahin, wo seine Freunde und Bekannten wahrscheinlicherweise sind. Und das ist ganz klar im Augenblick ausschließlich Facebook.
Das Interview führte Kerstin Petry, tagesschau24.