Kolumne Euroschau Spanien-Krise stellt EZB vor Zerreißprobe
Noch schaut Europa vornehmlich auf Griechenland - doch die wahre Gefahr für den Währungs- und Wirtschaftsraum lauert in einem anderem Mittelmeerland: Fällt Spanien, dann wäre das wohl auch das Ende des Euros, meint Klaus-Rainer Jackisch. Bisherige Hilfsmaßnahmen haben nur wenig gefruchtet.
Von Klaus-Rainer Jackisch, HR
"Se vende" - Schilder mit dieser Aufschrift sieht man derzeit überall in Spanien. Nicht nur im tiefsten Andalusien, sondern auch im hippen Marbella an der Costa del Sol oder in den Nobelorten Mallorcas. "Se vende" heißt "zu verkaufen" und ist zum Ausdruck der spanischen Immobilien- und Wirtschaftskrise geworden. Sie hat sich in den letzten Wochen so dramatisch zugespritzt, dass in der Europäischen Zentralbank (EZB) die roten Warnlampen blinken. Denn jeder weiß: Wenn Spanien fällt, ist der Euro kaum noch zu retten.
Mit hohen Erwartungen schauen Investoren daher auf die Ratssitzung der EZB in dieser Woche. Sie findet ausgerechnet in Barcelona, der heimlichen Hauptstadt des Landes, statt. Das ist zwar eher Zufall, denn das Treffen in Spanien steht schon seit mehr als einem Jahr fest. Aber es wirft unbeabsichtigt ein Schlaglicht auf die Dramatik in dem Land.
Von der Hoffnung blieben nur Ruinen
Die dortige Immobilienkrise wurde ausgelöst durch einen exzessiven Boom des auf der iberischen Halbinsel traditionell starken Bausektors. Sie war verbunden mit massiver Spekulation auf hohe Erlöse. Doch die Käufer blieben aus. Nun stehen überall leere Häuser und riesige Bauruinen - direkt an den schönsten Stränden.
Für die Eurozone ist das in zweierlei Hinsicht Gift: Zum einen hat das Problem die spanischen Banken in eine massive Schieflage versetzt. Sie sitzen auf faulen Krediten. Faktisch stehen viele Institute kurz vor dem Zusammenbruch. Die spanische Nationalbank beziffert deren Kapitalbedarf wegen drohender Zahlungsausfälle auf rund 54 Milliarden Euro. In Bankenkreisen taxiert man die Summe sogar auf 100 Milliarden Euro.
Zum anderen lähmt der Zusammenbruch des Bausektors die ohnehin angeschlagene Wirtschaft. Die Arbeitslosenquote ist im ersten Quartal auf über 24 Prozent angestiegen. Die Jugendarbeitslosigkeit erreicht in einigen Regionen schockierende 45 Prozent. Das gibt es sonst nirgendwo in der Eurozone. Die Nachfrage ist eingebrochen. Das Wachstum sinkt. Gerade rutschte das Land wieder in die Rezession. Die Verschuldung steigt. Das Haushaltsdefizit betrug im vergangenen Jahr 8,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Es ist damit fast dreimal so hoch wie erlaubt.
Spanien als Spielball der Spekulanten
An den Anleihemärkten zocken die Investoren. Die Zinsen, die Spanien für frisches Geld zahlen muss, stiegen auf rund sechs Prozent. Und die Ratingagentur Standard & Poors schüttete noch ein bisschen Öl ins Feuer: Sie stufte die Kreditwürdigkeit des Landes deutlich herab. Selbst Spaniens Außenminister José Manuel Garcia-Margallo spricht von einer Krise "gewaltigen Ausmaßes". Die jüngsten Zahlen seien "furchtbar".
Die EZB weiß nur zu gut, dass die viertgrößte Volkswirtschaft der Eurozone immer mehr zu einem Pulverfass für das gesamte Währungsprojekt wird. Doch ihre Hilfsaktionen sind bislang nur von mäßigem Erfolg gekrönt. Die Flutung der Geldmärkte mit mehr als einer Billion Euro mag zwar die Aktienmärkte beruhigt haben. Doch den spanischen Banken hat der Geldsegen nicht wirklich geholfen. Das Misstrauen ist genauso groß wie vorher. Viele Institute sitzen bald auf dem Trockenen.
Neue Hilfen von der EZB?
Deshalb fordert EZB-Präsident Mario Draghi jetzt eine neue Bankenhilfe: Die Geldhäuser sollen direkten Zugang zum Rettungsschirm ESM erhalten. Einige Staaten laufen Sturm - vor allem Deutschland, denn diese Maßnahme verstößt gegen die festgelegten Regelungen des Rettungsschirmes und wäre daher schon wieder ein Vertragsbruch. Hinzu kommen Sorgen, dass notwendige Reformen des Bankensektors untergraben werden.
Auch der Wirtschaft in Spanien hat der Geldsegen der EZB nicht wirklich geholfen. Kredite werden weiterhin nur sehr schleppend vergeben. Die Folge: keine neuen Investitionen, keine neuen Unternehmen, keine neue Ideen - ein Teufelskreislauf. Draghi will deshalb nun einen Wachstumspakt. Er soll den Fiskalpakt, der rigides Sparen vorsieht, ergänzen. Doch auch hier tut sich Deutschland schwer. In Berlin gibt es Sorgen, dass Wachstum erneut auf Pump finanziert wird, Sparanstrengungen hinten anstehen. Damit würden die Fundamente für die nächste Stufe in der Schuldenkrise gelegt.
Guter Rat ist teuer - in jedem Fall
Was also tun? Noch mehr Geld in die Märkte pumpen? Der Erfolg dürfte mäßig sein. Das umstrittene Ankaufprogramm für Staatsanleihen revitalisieren? Das verstößt im Kern gegen die Verträge und stellt den EZB-Rat vor die Zerreißprobe. Die Zinsen senken? Das ist nicht ungefährlich, denn es könnte die Preise antreiben. Einen Wachstumspakt auflegen? Das ist nicht Aufgabe der EZB, sondern der Politik.
So steht die EZB vor einem Dilemma: Die Erwartungen an sie in Barcelona sind extrem hoch. Aber ihr Spielraum ist nicht besonders groß. Für den Zentralbankrat wird die Sitzung zum Drahtseilakt. Und für das Gastgeberland erst recht. Denn allen ist eben klar: Fällt Spanien, ist der Euro kaum zu retten.