Kolumne Euroschau Target 2 - Ein Gespenst geht um in Europa
Hunderte Milliarden Euro hat die EZB ins Bankensystem gepumpt. So sei eine nahezu ungeprüfte, unkontrollierte Finanzierung schlecht geführter Banken entstanden, meint Ingo Nathusius. Nicht über "Target 2" müsse diskutiert werden, sondern über das ganze Elend der Versuche, Griechenland & Co. zu retten.
Von Ingo Nathusius, HR
Seit Monaten tobt in der Publizistik, unter Volkswirten und Zentralbankern eine kryptische Diskussion. Da gebe es ein obskures System namens "Target 2", über das unwürdige Pleitestaaten die Bundesbank in den Ruin zu reißen drohten, meinen die einen. Andere erklären umfangreich, dass "Target 2" zwar böse aussieht, aber eigentlich ein ganz harmloses Monster ist - ein riesiges Verrechnungskonto, das niemandem was tut.
Die Diskussion ist irre. Sie führt geradewegs an dem vorbei, worüber im Eurosystem diskutiert werden muss. Es geht nicht um "Target 2". Sondern es geht darum, was "Target 2" abbildet: das ganze Elend der EZB-Versuche, Griechenland & Co. zu retten.
Pleite-Banken bekamen reichlich frisches Geld
Die Europäische Zentralbank hat nicht nur einfach mit EU und Internationalem Währungsfonds ("Troika") den heillos überschuldeten Staatshaushalt der Griechen entlastet. Allen Beteiligten war und ist außerdem klar, dass ein modernes Land nicht ohne Banken leben kann. Darum hat die EZB gleich noch heillos maroden griechischen Geschäftsbanken aus der Patsche geholfen. Die wurden nicht etwa saniert. Sie bekamen kein neues Geschäftsmodell verpasst. Die griechischen Banken sind auch nicht in die Hände unbelasteter Insolvenzverwalter gegeben worden. Nichts dergleichen! Das alte Management, die alten Eigentümer, die alten Geschäfte der Pleite-Banken blieben erhalten. Die EZB hat ihnen nur reichlich frisches Geld zur Verfügung gestellt, jede Menge guter Euros. Erst gab es Sonderkredite für Banken. Dann wurde die Laufzeit immer weiter gestreckt und der Zins immer niedriger.
Früher konnten sich Banken untereinander Geld beschaffen. Die eine hatte was übrig, die andere brauchte schnell mal die ein oder andere Milliarde. Flugs ward ein "Interbankenkredit" vereinbart. Doch schwache Banken bekommen seit Jahren kaum noch Geld von Kollegen. Die EZB sprang mit ihren Sonderkrediten ein.
Eine Privatbank auf Kreta kann sich so beispielsweise für Jahre gegen einen Zins von einem Prozent Millionen bei der EZB pumpen. Als Sicherheit werden mittlerweile einzelne Kredite an Kreter und Kreterinnen akzeptiert - vorausgesetzt, die griechische Nationalbank bestätigt den Wert des Pfandes. Es ist klar, was die griechische Nationalbank tun wird - aus alter nationaler Tradition und unter dem neuen Druck, das Bankenwesen ihrer Volkswirtschaft zu retten.
Ungeprüfte Finanzierung schlecht geführter Banken
So ist eine weitgehend ungeprüfte und unkontrollierte Finanzierung schlecht geführter Banken einer im Kern maroden Volkswirtschaft entstanden. Das ist der eigentliche Skandal. Bundesbankpräsident Jens Weidmann hat den Kampf dagegen aufgenommen. Er fordert, für EZB-Geld nur noch vernünftige, werthaltige Sicherheiten zu akzeptieren. Es mag zwar sein, dass dann die eine oder andere griechische Bank pleite geht. Das ist aber viel besser, als wenn diese Pleite-Banken weitermachen wie bisher - und mit billigem EZB-Geld auch noch zusätzliche faule Geschäfte ihrer angeschlagenen Stammkundschaft finanzieren.
Ach ja - "Target 2". Es ist das Verrechnungssystem der nationalen Notenbanken in Euro-Land. Ein Beispiel: Der Zeitungsverleger Jackopolous in Falassarna/Kreta möchte das Geschäft ankurbeln und bestellt in Deutschland eine neue Druckmaschine für 150.000 Euro. Das Ding kommt. Jackopolous freut sich, geht zu seiner Bank und überweist 150.000 Euro von seinem Konto an die Bank der Heidelberger Druckmaschinen AG im fernen Deutschland. Die Bank meldet der griechischen Notenbank in Athen: "150.000 Euro an Heidelberger Bank". Die Athener Notenbank meldet das gleiche der EZB. Die EZB sagt es der Bundesbank und die Bundesbank packt 150.000 Euro auf das Konto, das die Heidelberger Bank bei ihr führt.
Es fehlt der Ausgleich
Alle könnten zufrieden sein. Nur: Wie ist das Geld wirklich von Falassarna nach Heidelberg gekommen? Die griechische Privatbank hat das gute, echte Geld des wackeren Verlegers natürlich nicht nach Athen geschafft. Sie hat es behalten und macht damit weitere Geschäfte. Dank der sagenhaft billigen Refinanzierungsangebote der EZB hat sich die griechische Privatbank mit Millionen und Abermillionen eingedeckt. Die liegen auf dem Konto der Privatbank, das die Athener Notenbank führt. Davon werden 150.000 Euro abgebucht. Die EZB führt ihrerseits je ein Konto der griechischen Notenbank und der deutschen Bundesbank. Sie bucht die 150.000 Euro hüben ab und drüben drauf. Und die solcherart bereicherte Bundesbank bucht das Geld auf das Konto, das die Heidelberger Bank bei ihr führt. Wenn jetzt noch der richtige Verwendungszweck aufgeschrieben wurde, wird Jackopolus' Schuld bei Heideldruck gestrichen.
Diese Verrechnerei nennt man "Target 2". Im Ergebnis hat die Bundesbank gegen die EZB eine Forderung von 150.000 Euro und die Notenbank Griechenlands Schulden von 150.000 Euro. Und weil es nicht allein beim Maschinengeschäft zwischen Jockopolous und der Heidelberger Druckmaschinen AG bleibt, haben sich diese Beträge auf inzwischen rund 550 Milliarden bei der Bundesbank summiert. Gesunde Geschäftsbanken leihen ihren angeschlagenen Kollegen kaum noch Geld auf normalem Wege. Es fehlt der Ausgleich. Also steigen und steigen die offenen "Target 2"- Verrechnungen.
Bundesbank beschäftigt sich mit der offiziellen Unmöglichkeit
Problematisch wird das in zwei Fällen. Erstens: Die Sicherheiten, mit denen Griechenland & Co für das billige Geld bürgen, werden sauer. Dann kommt es zu Zahlungsausfällen, für die die 17 nationalen Notenbanken anteilig haften - die Bundesbank mit 27 Prozent. Das zweite Problem-Szenario: Griechenland steigt aus der Euro-Zone aus. Das wird nur geschehen, wenn das Land wirtschaftlich noch mehr an Boden verliert. Dann dürfte auch ein Großteil der "Target-2"-Forderungen verloren sein. Die übrigen nationalen Notenbanken haften, siehe oben.
Bemerkenswert: Offiziell hält die Deutsche Bundesbank das zweite Szenario für praktisch unmöglich. Im gerade veröffentlichten Geschäftsbericht für 2011 befasst sie sich aber an zwei Stellen ausführlich und detailliert mit dieser offiziellen Unmöglichkeit.
Mitarbeit: Oliver Feldforth