Kolumne Euroschau Draghi drängt Staaten zum Handeln
Aus Sicht von EZB-Präsident Draghi ist der Weg aus der Euro-Krise klar: Europa braucht Konjunkturprogramme und Steuersenkungen. Die Zentralbank sei am Ende ihrer Möglichkeiten. Jetzt müssten die Staaten ran.
Friedlich dämmern die Rocky Mountains in der Abendsonne, der Snake River schlängelt sich durch das Tal, aus den typischen Holz-Lodges steigt der Rauch und es riecht nach frisch gegrilltem Fisch und gebratenem Wild. Das ist Jackson Hole, ein idyllischer Touristenort im nordwestlichen US-Bundesstaat Wyoming, knapp 500 Kilometer nördlich von Salt Lake City.
Einmal im Jahr trifft sich hier auf Einladung der US-Notenbank die Elite der amerikanischen und internationalen Finanzwelt, um über die künftige Geldpolitik zu debattieren. Normalerweise steht bei diesen Treffen die Situation in den USA im Mittelpunkt. Doch beim diesjährigen Treffen vor wenigen Wochen stahl EZB-Präsident Mario Draghi seiner Gastgeberin, Fed-Chefin Janet Yellen, die Show.
Angesichts der Rekordarbeitslosigkeit in vielen Eurostaaten schilderte Draghi in seiner Rede die Konsequenzen dieser Entwicklung für den Euroraum: Die Gefahr lang anhaltender wirtschaftlicher Depression und sich verschärfender Deflation. Darunter versteht man eine Spirale sinkender Preise, bei der Verbraucher und Unternehmen Käufe und Investitionen in die Zukunft aufschieben. Dadurch wird die Wirtschaft immer stärker gelähmt. Abweichend von seinem Redetext und in Anlehnung an seine berühmte Rede in London vom Sommer 2012, mit der er den Euro rettete, sagte Draghi: Die EZB werde alles tun, um die Deflation im Euroraum zu bekämpfen.
Geld der Notenbank für die Banken
Mit dieser Aussage hat der Notenbank-Chef eine Erwartungshaltung an den Finanzmärkten ausgelöst, die für ihn nur schwer zu erfüllen ist. Vor allem Investoren in den angelsächsischen Ländern gehen davon aus, dass die EZB nun noch einmal in großem Stil die Geldschleusen öffnet, möglicherweise auch Staatsanleihen kauft. Auch eine weitere Zinssenkung wird nicht völlig ausgeschlossen. Denn die Inflationsrate ist auch im August gesunken, auf den tiefsten Stand seit fast fünf Jahren. Sie beträgt nur noch 0,3 Prozent.
Soweit wird der EZB-Rat dieses Mal voraussichtlich aber gar nicht gehen wollen. Schließlich hat erst vor wenigen Tagen das im Juni angekündigte neue Sonderprogramm mit dem sperrigen Kürzel TLTRO begonnen. Ursprünglich wollten die Währungshüter abwarten, wie dieses Programm ankommt und umgesetzt wird, bevor sie weitere Schritte beschließen. Mit dem TLTRO-Programm können sich die europäischen Banken in großem Stil sehr günstig Geld bei der Notenbank leihen. Allerdings müssen sie sicherstellen: Das Geld muss in Form von Krediten auch bei Verbrauchern und Unternehmen ankommen.
Banken wollen kaum TLTRO-Kredite
Schon jetzt ist aber klar: Die Nachfrage der Banken nach diesen Mitteln ist deutlich geringer als erwartet. Damit erreicht das Programm offenbar nicht den angedachten Zweck, die Kreditvergabe zu erleichtern. Schon wird darüber spekuliert, die EZB müsse nachbessern.
Während die Investoren an den Finanzmärkten also nach neuem, billigem Geld gieren, ist ein anderer Aspekt in Draghis Rede von Jackson Hole viel spannender: Denn der EZB-Präsident ruft hier die politisch Verantwortlichen in Europa auf, endlich geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um das quälende Problem der hohen Arbeitslosigkeit und mauen Wirtschaft in den Griff zu bekommen. Geradezu mit dem Zaunpfahl winkt Draghi den Staats- und Regierungschefs entgegen. Denn die EZB kommt ans Ende ihrer Möglichkeiten, sie hat lange genug Feuerwehr in der Eurokrise gespielt – jetzt ist die Politik am Zug.
Draghi liefert auch einen Vorschlag: Europa brauche Konjunkturprogramme, die von den Staaten finanziert und umgesetzt werden müssen. Steuersenkungen und andere Maßnahmen sollen den Konsum und damit auch die Inflation wieder antreiben. Dafür müsse man auch den Spielraum im Stabilitäts- und Wachstumspakt nutzen. Der solle zwar nicht ausgehebelt werden. Doch Draghi deutet an, hier und da vielleicht etwas großzügiger bei der Auslegung dieses Paktes zu sein, um eine höhere Verschuldung der betroffenen Länder zu ermöglichen.
Merkel nicht begeistert von Draghis Vorschlag
Der Aufschrei kam prompt: Die Bundeskanzlerin persönlich griff zum Telefonhörer und verlangte Klarheit. Die Sparmaßnahmen und Reformanstrengungen der südlichen Eurostaaten dürften auf keinen Fall aufgeweicht werden. Sie seien die Grundlage, damit Vertrauen in diese Länder zurückkehre.
Trotz aller berechtigten Sorgen, trotz aller Kritik: Draghis Schlussfolgerungen sind richtig. Sie sind vermutlich die sanfteste Lösung, um zumindest eine Chance zu haben, die Eurokrise langfristig zu lösen. Ohne eine wirtschaftliche Genesung wird die Gemeinschaftswährung auf wackeligen Füßen bleiben. Wenn man den Euro haben will - und an dieser Prämisse lässt gerade die Bundesregierung keinen Zweifel - muss man auch in den sauren Apfel beißen, dafür etwas zu bezahlen. Die Gemeinschaftswährung gibt es nicht zum Nulltarif.
Dieser Preis, dass die Währungsunion endlich ein stabiles Fundament bekommt, kann mehrere Formen haben: Entweder die Fahrt geht in Richtung politische Union mit einem gemeinsamen Budget und Finanzminister. Das wollen aber die meisten Bürgerinnen und Bürger des Euroraumes nicht - das Ergebnis der Europawahl hat dies deutlich gezeigt.
Oder man kreiert eine Transferunion, bei der schwache Staaten finanziell unterstützt werden. Auch dies wollen die starken Eurostaaten nicht. Dann bleibt doch nur die Lösung, die Eurozone von innen heraus zu gesunden, indem sie zumindest wirtschaftlich wieder auf die Beine kommt. Nur so kann sie zu einigermaßen normalen Verhältnissen zurückzukehren.
Konjunkturprogramme statt EZB-Feuerwehr
Wenn dies wiederum nur möglich ist, indem man Konjunkturprogramme auflegt und die dafür Haushaltsdisziplin und Reformanstrengungen weniger stark auslegt, dann muss Europa diesen Weg wohl gehen. Dies ist sicherlich besser, als wenn die EZB ständig Feuerwehr spielt, Notmaßnahmen durchführt und im schlimmsten Fall Staatsanleihen in großem Stil kauft und damit die Notenpresse heiß laufen lässt.
Draghis Rede in Jackson Hole könnte also noch weitreichende Konsequenzen haben. Das hätte man dem ruhigen Ort in den Rocky Mountains am sich dahin schlängelnden Snake River gar nicht zugetraut.