EuGH zu Urheberrechten Ist "Sampling" von Musik rechtmäßig?
Wenn ein Musiker sampelt, übernimmt er Fragmente aus fremden Songs. Ist das Kunstfreiheit oder ein Verstoß gegen das Urheberrecht? Darüber wird heute der EuGH entscheiden. Der Rechtsstreit im Überblick.
Worum geht es in dem Fall?
Es geht um das sogenannte Sampling. Darunter versteht man die Übernahme von Original-Elementen anderer Musikstücke in das eigene Stück. Gerade im Hip-Hop ist diese Auseinandersetzung mit älteren Originalen ein gängiges Stilmittel.
Auch Hip-Hop-Produzent Moses Pelham sampelt seit vielen Jahren: 1997 bediente er sich an einem Zwei-Sekunden-Ton-Fragment aus dem Kraftwerk-Titel "Metall auf Metall". Den Beat machte er zum prägenden Rhythmus-Element in Dauerschleife in dem Song "Nur mir" von Rapperin Sabrina Setlur.
Wieso wird über den Beat seit Jahren vor Gericht gestritten?
Pelham findet bis heute, dass er den Musikschnipsel einfach so in seinen Song übernehmen durfte. "Hip-Hop ist ohne Sampling nicht möglich. Es gibt keine Kunst im luftleeren Raum, es geht immer um die Auseinandersetzung mit anderer Kunst", sagt Pelham.
Ralf Hütter, Elektropop-Pionier von Kraftwerk, sieht das anders und verklagte Pelham. "Bei uns ist es üblich, dass man vorher fragt", sagt Hütter.
Ins Juristische übersetzt geht es um den Konflikt zwischen "freier Benutzung", bei der man aus dem Werk eines anderen ein neues, selbständiges Werk macht, und den Rechten, die man als Hersteller eines Tonträgers besitzt: sogenannte Urheber- und Leistungsschutzrechte sind das. "Der Urheber eines Tonträgers hat das ausschließliche Recht, den Tonträger zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen", heißt es dazu im Urheberrechtsgesetz. Auf dieses Recht beruft sich Hütter.
Warum läuft der Rechtsstreit schon seit mehr als 20 Jahren?
1998 fand die erste Verhandlung statt. Der Fall ging durch die Instanzen: Landgericht Hamburg, Oberlandesgericht, 2008 das erste Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH). Dann ging der Fall zurück ans Oberlandesgericht, dann ein zweites Mal zum BGH.
Im Mai 2016 schließlich entschied das Bundesverfassungsgericht - anders als die Gerichte zuvor - zugunsten von Pelham: Für die Kunst müsse das Urheberrecht auch mal zurücktreten, so die Botschaft aus Karlsruhe. Die Produzenten dürften keine "Verbotsmacht" haben, mit der sie die Schöpfung neuer Kunstwerke verhindern könnten. Ein Etappensieg für die Kunstfreiheit.
Die Urheberrechte und damit die Eigentumsinteressen der Musikproduzenten sahen die Richter gewahrt: Sampling führe nicht zu wirtschaftlichen Einbußen, der übernommene Tonschnipsel sei im Originalstück ja weiter vorhanden. Außerdem könnten Produzenten zu dreistes Sampling weiterhin verbieten lassen. Und: Der Gesetzgeber könnte eine Vergütungspflicht für die Verwendung fremder Musikschnipsel einführen.
Warum liegt der Fall jetzt beim EuGH?
Vom Bundesverfassungsgericht ging der Fall zurück zum BGH. Der sollte die Vorschriften des Urheberrechts so anwenden, dass die Leitlinien der Verfassungsrichter eingehalten werden. Doch der BGH zweifelt an, dass das Verfassungsgericht in der Sache das letzte Wort haben kann, denn es gibt eine EU-Richtlinie zum Urheberrecht, die etwas produzentenfreundlicher klingt als die Vorgaben des Verfassungsgerichts. Daneben gibt es die EU-Grundrechtecharta, sozusagen die europäische Version der Grundrechte, in der auch die Kunstfreiheit verankert ist.
Der BGH hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) deshalb mehrere Fragen zur Klärung des Falls vorgelegt. Wird die EU-Grundrechtecharta die deutsche Kunstfreiheit verdrängen?
Wie könnte der EuGH entscheiden?
Nach Einschätzung des zuständigen Generalanwalts - ein unabhängiger Gutachter am EuGH - müssen Musiker, die sampeln wollen, den Rechteinhaber immer um Erlaubnis bitten. Im Klartext bedeutet das, dass Sampling nur noch mit entsprechender Lizenz zulässig wäre. Aus Sicht des Generalanwalts keine übermäßige Einschränkung der europäischen Kunstfreiheit. Die EuGH-Richter sind an das Gutachten nicht gebunden, folgen ihm oft, aber keineswegs immer.
Der Fall berührt außerdem das Verhältnis zwischen dem EuGH und dem Bundesverfassungsgericht. Übergeordnet steht nämlich die Frage im Raum: Verstehen die Luxemburger Richter die Kunstfreiheit so anders als ihre Karlsruher Kollegen, dass es darüber zum Konflikt zwischen den Gerichten kommen könnte?
Wie geht es nach dem EuGH-Urteil weiter?
Der BGH muss den Fall abschließend entscheiden und dabei die Vorgaben der EuGH-Richter umsetzen. Wie es danach weitergeht, lässt sich noch nicht genau abschätzen. Sollte die Kunstfreiheit auf europäischer Ebene zu viele Federn lassen, könnte der Fall noch einmal das Bundesverfassungsgericht beschäftigen.
So oder so - die Grundsätze, die die Gerichte festlegen, gelten nicht nur für Pelham und Hütter. Sie betreffen die Hip-Hop- und Musikszene insgesamt.