Renaissance der Atomkraft Mini-Reaktoren weltweit gefragt
Zehn Jahre nach der Explosion von Fukushima stecken einige Länder Milliarden in Kernkraftwerke im Kleinformat. Experten in Deutschland sehen die Konzepte kritisch und warnen vor Risiken.
Für Gegner ist es das "schwimmende Tschernobyl", für Anhänger dagegen ein Symbol einer neuen Zeitrechnung der Energieversorgung: die Akademik Lomonossow. Das russische Schiff, das nahe der Stadt Pewek am Nordpolarmeer vor Anker liegt, ist ein schwimmendes Atomkraftwerk. In den kommenden 40 Jahren soll es die abgelegene Region mit Strom versorgen.
Kernenergie auf dem Wasser: Das schwimmende AKW Akademik Lomonossow.
Was bei Umweltschützern und einigen Wissenschaftlern heftig umstritten ist, stellt für Befürworter der Kernkraft eine Art Renaissance dar. Mit seinen zwei Mini-Reaktoren sei das Schiff das erste SMR-Kraftwerk der Welt, schreibt die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA). SMR steht für Small Modular Reactors, die laut IAEA Ländern bei der Suche nach zuverlässigen und erschwinglichen Energiequellen helfen könnten, um Treibhausgasemissionen zu reduzieren.
Mini-Reaktoren im Baukastenprinzip
Anders als große Kernkraftwerke erzeugen die Mini-Reaktoren statt einer Leistung von mehr als 1000 Megawatt lediglich Strom von bis zu 300 Megawatt. In einer Art Baukastenprinzip werden die einzelnen Komponenten in Serie vorproduziert und dann vor Ort montiert - im Regelfall auf dem Land. Das kann sowohl eine kürzere Bauzeit als auch geringere Kosten bedeuten.
Experten zufolge kostet eine Anlage mit 300 Megawatt schätzungsweise rund eine Milliarde Euro. Zum Vergleich: Gerade erst wurde bekannt, dass die Ausgaben für das 3200 Megawatt-starke neue Atomkraftwerk Hinkley Point C in Großbritannien, das im Sommer 2026 ans Netz gehen soll, auf 27 Milliarden Euro gestiegen sind.
Befürworter halten die SMR-Anlagen für eine sinnvolle Ergänzung der erneuerbaren Energien. Wenn Wind-, Sonnen-, und Wasserkraft mal nicht genügend Strom produzieren, könnten diese vermeintlich sicheren Mini-Reaktoren einspringen. "Die einzigartigen Eigenschaften von SMRs in Bezug auf Effizienz, Flexibilität und Wirtschaftlichkeit können sie in die Lage versetzen, eine Schlüsselrolle bei der sauberen Energiewende zu spielen", sagte jüngst Stefano Monti, Leiter der IAEA-Abteilung für die Entwicklung von Kernkrafttechnologien.
US-Präsident will emissionsarme Übergangslösung
Weltweit wachse das Interesse an der SMR-Technik, so Monto. Nach Angaben der IAEA befinden sich derzeit 84 Reaktoren in 18 Ländern in der Entwicklung oder im Bau. Besonders in Russland, China, Japan und Argentinien sei der Prozess weit fortgeschritten.
Mit den Vereinigten Staaten, Kanada und Großbritannien mischen aber auch westliche Länder oben mit. Mithilfe staatlicher Unterstützung arbeitet etwa ein britisches Konsortium um den Industriekonzern Rolls-Royce an der Technik und will in Zukunft 16 solcher Anlagen auf der Insel bauen.
Insgesamt 18 - und damit die meisten Projekte - im Zusammenhang mit den Kleinreaktoren laufen in den USA. In seinem ambitionierten Klimaprogramm setzt der neue Präsident Joe Biden neben erneuerbarer Energieerzeugung auch auf kleine Atomkraftwerke - als emissionsarme Übergangslösung.
Nicht umsonst kommen zwei der größten Startups der Branche aus den Vereinigten Staaten. Das Unternehmen NuScale entwickelt eine Technik, bei der mehrere kleine Reaktoren in einem kühlenden Wasserbecken installiert werden. Nach eigenen Angaben soll das ausreichen, um selbst bei einem Ausfall der Sicherheitssysteme eine Katastrophe zu verhindern. Um einen Testbetrieb möglich zu machen, subventionierte das US-Energieministerium das Vorhaben im Oktober mit 1,4 Milliarden Dollar.
Ebenfalls Geld vom Staat bekommt die Nuklearfirma TerraPower, die 2006 von Multimilliardär Bill Gates gegründet wurde und Atommüll als Brennstoff nutzen will. "Wir meinen, ein Modell entwickelt zu haben, bei dem alle wichtigen Probleme gelöst sind", schrieb der Unternehmer zuletzt in seinem neuen Buch.
Risiken zu hoch?
Das sehen Fachleute in Deutschland anders. Am Mittwoch veröffentlichte das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) ein aktuelles Gutachten über Small Modular Reactors. Das beauftragte Freiburger Öko-Institut untersuchte dafür insgesamt 31 SMR-Konzepte. Das Fazit: Sie seien nicht ausgereift und brächten enorme Risiken mit sich.
Aufgrund der geringen elektrischen Leistung sei demnach "der Bau von mehreren tausend bis zehntausend SMR-Anlagen" nötig, um auf die Stromerzeugung der aktuell bestehenden rund 400 Großreaktoren zu kommen. Bei einer einzelnen Anlage sei zwar wenig nukleares Material enthalten, das bei einem Unfall freigesetzt werden könnte. Durch die Vervielfachung steige das Risiko aber wieder. Zudem seien bei vielen Anlagen reduzierte Sicherheitsanforderungen zu beobachten. Das Problem der Endlagerung sowie neue Herausforderungen beim Zugang zu atomwaffenfähigen Material seien ebenfalls nicht gelöst.
Darüber hinaus ist laut der Analyse auch die Wirtschaftlichkeit fraglich, da die Baukosten pro Megawatt Leistung höher seien als bei erneuerbaren Energien und Kostensenkungen nicht zu erwarten. Erst ab dreitausend Anlagen würde sich der Einstieg nach Ansicht der Experten lohnen.
Deutsche Umwelthilfe warnt
"Bei einigen Konzepten könnte es mit Blick auf einzelne Problemfelder Vorteile geben, aber es zeichnet sich kein System ab, das alle bestehenden Probleme in der Nukleartechnik überzeugend auf einen Schlag löst", so Christoph Pistner, Bereichsleiter Nukleartechnik und Anlagensicherheit beim Öko-Institut, gegenüber tagesschau.de. "Ich sehe nicht, dass die SMR-Anlagen eine realistische Option zur Energieversorgung sind."
Ähnlich argumentiert auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Die Mini-Reaktionen seien nicht in der Lage, die Schwierigkeiten der Atomtechnik zu meistern, kritisiert der Verein. Jeder neue Reaktor benötige Kühlwasser in großen Mengen und verknappe damit die weltweit geringer werdenden Wasservorräte noch schneller.
"Es entstünde eine Vielzahl kleiner dezentraler atomarer Anlagen, die noch schwerer zu überwachen und vor terroristischen Anschlägen zu schützen wären als bisher", so die DUH. Und auch die Menge des strahlenden atomaren Mülls könne dadurch dramatisch weiter anwachsen.