IVECO und Nikola E-Lkw made in Ulm
Für 50 Millionen Euro bauen IVECO und Nikola in Ulm eine neue Produktionsstätte für elektrische Lkw. An quasi historischer Stätte will man die erste Serienproduktion in Europa starten.
Für IVECO-Chef Gerrit Marx ist die Eröffnung der neuen Lkw-Produktion in Ulm ein "hochemotionaler Moment". Nicht etwa, weil schon bald einer der modernsten Elektro-Lkw hier vom Band laufen soll. Es ist die Vergangenheit, die den Manager einholt. Denn eigentlich hat man hier in Ulm die Lkw-Produktion schon vor Jahren zu Grabe getragen: Nach der Euro- und Finanzkrise lief am 3. August 2012 der letzte Schwerlaster vom Band.
Gemeinsamer Lkw von US-Start Up und IVECO
Die Freude über den Neustart in Ulm ist groß. Zumal auch viele ehemalige Produktionsmitarbeiter wieder an ihre alte Arbeitsstätte zurückkehren, sagt IVECO-Chef Marx: "Für mich war es eine leichte Entscheidung zu sagen: Wir machen den Standort wieder zu einem Schwerlaster-Standort. Das ist eine echte Produktion mit einer Kapazität von 3000 Lastern pro Jahr im Drei-Schicht-Betrieb."
Statt Lkw mit klassischem Verbrenner will IVECO gemeinsam mit dem US-Unternehmen Nikola in Ulm einen der modernsten batterieelektrischen Lkw auf dem Markt produzieren. Schon in diesem Jahr könnten die ersten 30 "Nikola Tre" - so der Modellname - gebaut werden; zunächst allerdings nur für den Export in die USA.
Der Nikola Tre will vor allem mit seiner Reichweite überzeugen: Mit bis zu 560 Kilometern pro Batterieladung übertrifft der Neuling damit aus dem Stand etwa den kürzlich vorgestellten eActros von Mercedes (bis zu 400 Kilometer), den vollelektrischen Scania (bis zu 250 Kilometer) oder Volvos auf dem Markt erhältliche E-Trucks (bis zu 300 Kilometer). Innerhalb von zwei Stunden soll der Akku des Nikola Tre wieder auf 80 Prozent geladen sein. Das macht den Truck vor allem für kurze Strecken interessant.
Ist Batterieantrieb auch für Lkw die Zukunft?
Bis der Schwerlastverkehr in Deutschland aber flächendeckend nahezu lautlos durch die Landschaft stromert, wird es noch dauern: Nach Angaben des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) sind rund 3,4 Millionen Lkw in Deutschland zugelassen, die allermeisten (rund 3,2 Millionen) sind mit einem Dieselantrieb unterwegs. Nur rund 32.000 vollelektrische Lkw zählt das KBA. Das sind weniger als ein Prozent (0,94 Prozent) aller in Deutschland zugelassener Lkw. Zum Vergleich: Vollelektrische Autos sind zwar zahlenmäßig häufiger auf deutschen Straßen unterwegs (rund 309.000). Im Verhältnis zu allen Pkw macht das sogar nur einen Anteil von 0,64 Prozent.
"Ich rechne fest damit, dass sich elektrische Antriebe bei Lkw durchsetzen werden", sagt Anna-Lena Klingler vom Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart. "Aber ich rechne auch mit einem Technologie-Mix. Das heißt: Wir werden batterieelektrische Lkw ganz stark sehen, aber auch Brennstoffzellen-Fahrzeuge."
Mit Technologie-Mix zum Erfolg
Ein solcher Lkw soll ab Ende 2023 in Ulm gebaut werden. Statt Diesel oder Benzin tankt der Fahrer dann Wasserstoff und ist unabhängig von der Reichweite einer Batterie. "In der Brennstoffzelle werden aus Wasserstoff und Sauerstoff Strom erzeugt", beschreibt Ingenieurin Klingler den Prozess im Motorraum. "Und dieser Strom wird dann genutzt, um den Elektromotor anzutreiben. Das heißt, auch der Brennstoffzellen-Lkw ist ein Elektro-Lkw."
In Ulm glaubt man mit batteriebetriebenen- und Brennstoff-Lkw den richtigen Weg eingeschlagen zu haben. Gerade für längere Strecken könnte dann auch der Brennstoff-Lkw für die Branche interessant werden, glaubt IVECO-Chef Marx: "Wasserstoff kommt dann als Range-Extender im Einsatz. Der Diesel wird komplett ersetzt werden, 15 bis 20 Prozent Biomethan (als Kraftstoff-Variante, Anm. d. Redaktion) wird bleiben."
Für die Industrie sei dieses Projekt enorm wichtig, sagt Marx im Hinblick auf die strengen Klimaschutzziele: "Wir müssen 15 Prozent CO2 bis 2025 reduzieren, wir müssen 30 Prozent, wahrscheinlich eher 50 bis 55 Prozent, CO2 der neu zugelassenen Lkws bis 2030 reduzieren. Und das geht nur elektrisch."
Der elektrische Brennstoffzellen-Lkw also als ideales Fahrzeug für den Fernverkehr? Expertin Klingler vom Fraunhofer-Institut dämpft die Erwartungen, denn in Sachen Effizienz "schneidet der batteriebetriebene Elektromotor definitiv besser ab", denn Wasserstoff müsse ja zunächst mit Hilfe von Strom gewonnen werden, "das ist wirkungsgradverlustbehaftet", so Klingler. Klimaneutral ist eine Spedition dann auch nur unterwegs, wenn auch der Wasserstoff aus erneuerbaren Energien produziert wird.
Hohe Kosten und Materialmangel dämpfen die Euphorie
Eine ganz andere Frage ist, ob sich Spediteure die hochmodernen E-Lkw überhaupt leisten können. Der neue eActros von Mercedes etwa soll im Vergleich zu einem "normalen" Diesel-Lkw rund das Dreifache kosten. Wie teuer der Nikola Tre sein wird, ist noch unklar.
In Ulm hoffen die die rund 400 Mitarbeiter, bald mit der Arbeit am Lkw beginnen zu können. Denn ob die anvisierten 30 Fahrzeuge in diesem Jahr überhaupt noch die Produktionshallen verlassen, liegt nicht in den Händen des Lkw-Bauers. Das Joint Venture von IVECO und Nikola leidet, wie die gesamte Branche, unter einem verheerenden Halbleiter-Mangel.