Einzelhandel Das Phänomen Woolworth
Während viele Warenhäuser schließen müssen, eröffnet Woolworth immer neue Filialen. Die Kette expandiert, obwohl auch sie vor einigen Jahren pleite ging. Wie kann das sein?
"Da ist immer viel Betrieb. Ich sehe, dass die Bürgerinnen und Bürger bei uns in der Stadt das sehr gut annehmen." Martin Bick kann von seinem Bürofenster aus auf den Eingang des neuen Woolworth-Ladens in Unna schauen. Der Wirtschaftsförderer war Anfang November dabei, als die zweite Filiale in der knapp 60.000 Einwohner Stadt eröffnet wurde. "Woolworth ist für uns hier ein großer Gewinn," sagt Bick.
Unna ist seit einigen Jahren Standort der Woolworth-Zentrale Deutschland. Rund 450 Menschen arbeiten in der Verwaltung, dem Warenlager und dem Logistikzentrum. Von hier aus werden die mittlerweile 530 Filialen im ganzen Land beliefert und gesteuert. Allein in diesem Jahr hat Woolworth mehr als 50 neue Standorte eröffnet. Langfristiges Ziel ist es, 1000 Filialen in Deutschland zu betreiben. Und das zu einer Zeit, in der andere Warenhäuser Geschäfte schließen müssen, weil sie schlicht nicht mehr genug Umsatz generieren. Bekanntestes Beispiel ist gerade Galeria Karstadt Kaufhof.
"Preisorientierter Einkauf"
Vor allem in Mittelstädten mit weniger als 100.000 Einwohnern gibt es immer weniger große Kaufhäuser. "Genau in diese Versorgungslücke geht Woolworth mit einem gemischten Sortiment, mit Ladenkonzepten auf nicht zu großer Fläche, wo der Kunde sehr schnell das bekommt, was er woanders nicht mehr bekommt", sagt der Wirtschaftswissenschaftler Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein.
Was bei Woolworth in den Regalen liegt, reicht von Schreib- und Spielwaren über Damen-, Herren- und Kinderbekleidung, Kosmetik und Dekoartikel bis hin zu Haushaltswaren wie Töpfe und Nähgarn. Oft sind es No-Name-Produkte. Immer wieder gibt es aber auch Marken-Aktionswaren. Oberste Regel: Günstig muss es sein. "Die Kunden von Woolworth tendieren zu preisorientiertem Einkauf. Das Konzept scheint aufzugehen", so Heinemann.
Totgesagt und auferstanden
Dabei sah die Lage Anfang der 2000er-Jahre noch ganz anders aus. Der Mutterkonzern hatte in den USA bereits alle Kaufhäuser geschlossen, da geriet auch Woolworth Deutschland in wirtschaftliche Schieflage. 2009 meldete die Kaufhauskette Insolvenz an und musste die Hälfte der Läden dicht machen. Nach der Insolvenzanmeldung übernahm 2010 die H.H. Holding das Unternehmen und gründete die Woolworth GmbH. Das Konzept von Woolworth habe keine Zukunft, prophezeiten damals Handelsexperten. Doch Woolworth schaffte es, sich zu wandeln - weg vom Grabbeltisch- und Resterampe-Image - und fährt seitdem eine Expansionsstrategie.
Im Geschäftsjahr 2020/21 hatte Woolworth im Schnitt fast 7000 Mitarbeitende - mehr als 5000 von ihnen in Festanstellung. Und das Unternehmen sucht aktiv nach neuen Gewerbeflächen in Fußgängerzonen und Einkaufszentren, schaltet dafür Anzeigen und ist eine Kooperation mit der Plattform Immoscout24 eingegangen. "Woolworth will ganz klar die 1A-Lagen in der Innenstadt haben", beobachtet auch Wirtschaftsförderer Bick. Auf der eigenen Website macht das Unternehmen klar, wo die Reise hingehen soll: "Unser Ziel ist es, in einigen Jahren flächendeckend der größte deutsche Nahversorger zu sein."
Wachstum statt Gewinne
Die Expansion und die hohen Investitionskosten führen momentan dazu, dass das Unternehmen keine Gewinne macht. 2020/21 schlug bei Woolworth ein Verlust von 7,7 Millionen Euro zu Buche, bei einem Umsatz von 463 Millionen. Heinemann hält das nicht für problematisch und nennt die Drogeriekette dm als Beispiel: "Wachstum kostet Geld. Das ist etwas, was wir zum Beispiel auch bei dm in den letzten Jahren sehen. dm hat nicht viel verdient, aber dafür sehr viele Marktanteile erobert." Genauso sei das bei Woolworth der Fall.
Deutlich skeptischer ist Martin Fassnacht. Der Handelsmarketing-Experte von der Wirtschaftshochschule WHU sagt: "Auf die Leistung seit der Insolvenz kann das Unternehmen stolz sein. Aber jetzt haben sich die Zeiten fundamental geändert." Vor allem die drohende Rezession werde auch Woolworth-Kunden vom Kauf abhalten. "Die Menschen müssen sparen. Und wo sparen sie? Das ist stark bei Mode und auch bei Deko-Artikeln. Darauf kann man verzichten", sagt Fassnacht. Zudem habe Woolworth im Billigsegment starke Konkurrenz. Die Ketten Tedi und Kodi haben ähnliche Waren. Selbst Aldi und Lidl verkaufen günstige Kleidung. Verbindungen aber hat Woolworth sowohl zu Tedi - der Mitbewerber wird ebenfalls von der H.H. Holding betrieben -. als auch zu Aldi und Lidl, wenn gleich hier auch nur mittelbar: Seit Anfang 2022 lenkt der ehemalige Aldi- und Lidl-Manager Roman Heini als CEO die Geschicke der Warenhauskette.
Wirtschaftsförderer Bick in Unna kann aktuell jedenfalls noch nicht feststellen, dass die Kunden sich abwenden. "Die beiden Woolworth-Filialen sind echte Magneten in der Stadt", sagt er. Gerade jetzt in der Weihnachtszeit seien viele auf der Suche nach Schnäppchen wie Deko, kleinen Geschenken und weihnachtliche Verpackungen. Im Werbeprospekt von Woolworth heißt es: "Lasst uns froh und günstig sein."