Arbeitswelt im Wandel Kaum "German Angst" vor Automatisierung
Immer mehr Jobs werden künftig von Computern und Maschinen verrichtet - nicht nur in der Industrie, sondern auch in den Büros. Angst vor einem Verlust ihrer Jobs haben viele Deutsche trotzdem nicht.
Die zunehmende Automatisierung wird in Deutschland in den kommenden fünf Jahren bis zu acht Millionen Jobs vernichten, prognostizieren Arbeitsmarktexperten. Düstere Aussichten, doch nur wenigen deutschen Arbeitnehmern machen sie Angst. Wie eine weltweite Befragung von 210.000 Arbeitnehmern in 190 Ländern ergeben hat, fürchten nur 28 Prozent der deutschen Arbeiter und Angestellten, dass ihnen demnächst Computer oder Roboter ihren Arbeitsplatz wegnehmen könnten.
Beteiligt an der Befragung waren das Stellenportal Stepstone, der internationale Jobbörsenverband The Network und die Unternehmensberatung Boston Consulting Group. Ähnlich sorglos wie die Deutschen sind auch die anderen Europäer. Franzosen, Niederländer und Dänen sind sogar noch entspannter.
Asiaten sind besonders besorgt
Lediglich in der Banken- und Versicherungsbranche ist der Anteil der Angestellten, die wegen der Digitalisierung einen Jobverlust fürchten, höher. Kein Wunder, werden in diesen Branchen doch viele Arbeitsabläufe zunehmend automatisiert durchgeführt. "Beide Branchen stellen keine physischen Produkte her", sagt dazu BCG-Arbeitsmarktexperte Rainer Strack, einer der Studienautoren. "Alles, was sie haben, sind Menschen und IT."
Doch auch in diesen Branchen sind die Menschen in Europa sorgloser als in Asien. So fürchten im Inselstaat Singapur 61 Prozent der befragten Arbeitnehmer, dass die wachsende Digitalisierung ihren Arbeitsplatz bedroht. Auch in China, wo die Industrie eine große Rolle spielt, fürchten 48 Prozent der Arbeitnehmer wegen der wachsenden Automatisierung um ihren Job. In den USA sind es 44 Prozent.
Keine Vorbereitung auf den Wandel
Gehen die Deutschen also zu naiv mit dem Thema Automatisierung um? "Ja", sagt der BCG-Fachmann Strack. Er ist überzeugt, dass "Covid uns zehn Jahre in die digitale Zukunft katapultiert hat." Nach den Fabriken müssten sich auch immer mehr Büroangestellte darauf einstellen, dass sie durch den Einsatz von Computern ihren Arbeitsplatz verlieren werden.
Dennoch werden die Arbeitnehmer in Deutschland nach Einschätzung der Studienautoren von niemandem wirklich auf die Veränderungen vorbereitet. "Ein Beispiel wäre der Lkw-Fahrer, der irgendwann obsolet wird", sagt Strack. "Eigentlich müsste ich dem Lkw-Fahrer 50 neue Jobs nennen, für die er sich qualifizieren kann. Aber heute weiß der Lkw-Fahrer das gar nicht."
Immerhin erklären sich in der Umfrage gut die Hälfte der deutschen Arbeitnehmer (55 Prozent) bereit, sich umschulen zu lassen. Das ist zwar weniger als der weltweite Durchschnitt von 68 Prozent, aber mehr als der Anteil der Amerikaner. Von denen kann sich nur knapp die Hälfte vorstellen, einen neuen Beruf zu erlernen.
Fachkräftemangel beruhigt
Gut möglich, dass die Deutschen aus einem anderen Grund so gelassen mit den möglichen Gefahren durch die Automatisierung umgehen: der hohe Fachkräftebedarf. "In den nächsten zehn Jahren werden fünf Millionen Menschen aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden. Das wird erstmals eine Trendumkehr, die aber für viele auch eine Riesenchance ist," sagt Stepstone-Geschäftsführer Sebastian Dettmers, der an der Studie mitgewirkt hat.
Derweil blicken viele deutsche Unternehmen trotz der Corona-Krise optimistisch nach vorn, wie eine Umfrage unter gut 2800 Firmen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) ergeben hat. Danach will ein Drittel von ihnen in diesem Jahr mehr investieren als 2020, und knapp 30 Prozent wollen Jobs schaffen. Etwa 40 Prozent der befragten Betriebe planen im Vergleich zum Vorjahr mehr zu produzieren, nur 24 Prozent weniger. "Im Hier und Jetzt kämpfen die Unternehmen weiter mit den vielfältigen Beschränkungen", sagt IW-Konjunkturexperte Michael Grömling. "Allerdings sorgen die fortschreitenden Impfungen dafür, dass die Unternehmen überwiegend zuversichtlich auf die zweite Jahreshälfte schauen."
BA spricht von merklicher Belebung
Tatsächlich dürfte die Erholung der Industrie auch den Arbeitsmarkt beleben. So hat das vom Münchner ifo-Institut erhobene Beschäftigungsbarometer im April mit 98,3 Punkten den höchsten Wert seit Anfang 2020 erreicht. Ihre Kollegen vom Nürnberger IAB messen in ihrem am Dienstag veröffentlichten Arbeitsmarktbarometer sogar den höchsten Stand seit Mai 2019.
Auch die Bundesagentur für Arbeit (BA) spricht von einer "merklich belebten" Nachfrage nach Arbeitskräften im April. In nahezu allen Branchen seien neue Stellen geschaffen worden, so die Behörde. Der Stellenindex der Arbeitsagentur (BA-X) stieg um zwei auf 104 Punkte - schon im März hatte er um vier Punkte zugelegt.
Besonders positiv entwickelten sich das Baugewerbe, das Verarbeitende Gewerbe und die Informations- und Kommunikationsbranche. Demgegenüber wollen die Bereiche, die besonders vom Lockdown betroffen sind, derzeit deutlich weniger Menschen einstellen, etwa das Gastgewerbe.