Vom Jahr 2024 an Bahn will Streckennetz generalsanieren
Die Bahn will das Streckennetz einer Generalsanierung unterziehen - mit weitreichenden Folgen. Die Kunden "werden durch ein Tal der Tränen gehen", so die Gewerkschaft EVG. Dabei wird das Pünktlichkeitsziel jetzt bereits verfehlt.
Die Deutsche Bahn hat eine Generalsanierung wichtiger Streckenabschnitte angekündigt. Ziel sei der Aufbau eines "Hochleistungsnetzes", sagte Vorstandschef Richard Lutz. Bahnkunden müssen sich deshalb auf längere Sperrungen für Baustellen und Umleitungen einstellen. Hintergrund ist das Ziel, den Bahnverkehr deutlich auszubauen, dabei aber den Sanierungsstau im Netz zu bekämpfen. "Wir müssen dieses Thema grundsätzlicher und radikaler angehen", sagte Lutz. "Lieber eine große statt vieler kleiner Sperrungen."
In hoch belasteten Bahn-Korridoren sollten deshalb ab 2024 Bauvorhaben gebündelt abgearbeitet werden. Konkrete Vorhaben nannte Lutz noch nicht. Eckpunkte sollen nach seinen Worten möglichst vor der Sommerpause vorgelegt werden. "Wir stehen vor einer Zäsur", sagte Lutz. "Wir müssen aus der überlasteten Infrastruktur ein Hochleistungsnetz machen."
Der Modernisierungsbedarf werde in den nächsten Jahren weiter steigen. "Es braucht ein grundsätzliches, ein radikales Umsteuern. Ein 'weiter so' ist definitiv keine Alternative", sagte Lutz. Die Sanierung werde für die Kunden schmerzhaft sein. Es werde größere Umleitungen geben.
"Wird Jahre dauern, bis es besser wird"
Auch der Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), Klaus-Dieter Hommel, stellte die Bahnkunden aufgrund der angekündigten Sanierung auf eine Leidenszeit ein: "Die Bahnverkehrsunternehmen und die Kunden werden durch ein Tal der Tränen gehen." Es werde Jahre dauern, bis es besser wird, sagte Hommel, der auch Vizechef des Bahn-Aufsichtsrats ist, der Nachrichtenagentur dpa. "Aber die Kunden werden das honorieren, weil die Situation auf der Straße auch nicht besser wird und sie umweltbewusst sind."
Hommel nannte die Ankündigung richtig und notwendig. Er fügte hinzu: "Die Überalterung und Kapazitätsprobleme sind selbst verursacht. Man hat die Instandhaltung sträflich vernachlässigt." Das betreffe nicht nur Nebenstrecken, sondern das 3500 Kilometer lange Kernnetz, das die Hauptlast des Bahnverkehrs trägt. "Das Kernnetz ist ein Sanierungsfall", sagte Hommel. Ziele wie die Verdoppelung der Fahrgastzahl und der einheitliche Fahrplantakt für Deutschland seien damit unrealistisch.
Pünktlichkeitsziel für 2022 wird verfehlt
Aber auch schon vor dem Start der Generalsanierung bereitet die Deutsche Bahn ihre Kunden wegen den wieder steigenden Passagier- und Frachtzahlen auf Verspätungen und Ausfälle vor. Die steigende Nachfrage treffen auf einen Rückstau bei den nötigen Investitionen ins Netz, sagte Lutz. "Wir haben ein kurzfristig kaum auflösbares Dilemma: gleichzeitig wachsen und modernisieren." Die Betriebslage sei kritisch, die Verspätungen nähmen zu. "Noch nie gab es auf dem deutschen Streckennetz so viele Baustellen wie heute."
Das Pünktlichkeitsziel von 80 Prozent im Fernverkehr werde man verfehlen und "signifikant davon weg sein", sagte Lutz. Bislang seien in diesem Jahr knapp über 70 Prozent der Fernzüge pünktlich gewesen. "Das ist nicht schön, das ist alles andere als erfreulich." Nach Bahn-Definition gelten Züge als pünktlich, die weniger als sechs Minuten nach Fahrplan ankommen. Im vergangenen Jahr waren 75 Prozent der ICE, Intercity und Eurocity pünktlich gewesen.
Die Passagiere und die Fracht kämen nach der Corona-Flaute schneller wieder als erwartet, sagte Lutz. Dies treffe auf eine überalterte Infrastruktur, die mit dem jetzigen Baustellen-Management nicht wirklich saniert und die nötige Erweiterung der Kapazität nicht erreicht werden könne.
Bahn verkaufte bislang 2,7 Millionen 9-Euro-Tickets
Um dennoch Menschen zum Bahnfahren zu motivieren, startet im Juni das vom Bund geförderte 9-Euro-Ticket. Mit dem Fahrschein können Fahrgäste im Juni, Juli und August jeweils einen Monat lang für neun Euro bundesweit den Nahverkehr nutzen. Allein die Deutsche Bahn verkaufte bislang 2,7 Millionen Stück dieser Tickets, sagte Lutz. "Das zeigt jedenfalls, dass das 9-Euro-Ticket kein Ladenhüter ist, sondern ein wirklicher Renner."
Mit der Aktion sollen Pendler angesichts hoher Energiepreise entlastet werden und neue Kunden für Busse und Bahnen gewonnen werden. Die Aktionsfahrscheine sind bei allen Nahverkehrsunternehmen erhältlich.