Volkskrankheit Depression Wenn die Arbeit trübsinnig macht
Wachsender Druck im Arbeitsumfeld kann in Depressionen münden. Laut Stiftung Deutsche Depressionshilfe ist inzwischen jeder fünfte Beschäftigte in Deutschland betroffen.
Sie gilt längst als Volkskrankheit, und doch fällt es schwer, offen darüber zu reden: die Depression. Vor allem in der Arbeitswelt ist sie weit verbreitet. Laut der Stiftung Deutsche Depressionshilfe ist jeder fünfte Berufstätige schon einmal an einer Depression erkrankt, und immerhin 15 Prozent aller Beschäftigten haben bereits einen Suizid beziehungsweise Suizidversuch eines Kollegen erlebt.
Schnelle Hilfe auch im Interesse der Arbeitgeber
Gäbe es mehr Wissen und Fähigkeiten im Umgang mit Depressionen im beruflichen Umfeld, dann könnte den Betroffenen schneller geholfen werden, zum Beispiel durch eine professionelle Behandlung. "Dadurch können neben großem Leid auch Kosten vermieden werden", sagt Ulrich Hegerl von der Stiftung Deutsche Depressionshilfe. "Unternehmen sollten deshalb dringend Basiswissen und auch Handlungskompetenz zu Depression und Suizidprävention aufbauen."
Das wäre auch im unternehmerischem Interesse. Wenn jemand antriebslos vor dem PC sitzt, sich auffallend zurückzieht, nicht mehr in die Kantine geht, das Gespräch meidet, vielleicht auch öfter mal ausfällt oder voller Selbstvorwürfe ist, dann könnte eine Depression vorliegen - und dann wird womöglich das gesamte Umfeld ausgebremst. Doch nach wie vor ist die Krankheit mit einem Stigma behaftet; in der Regel müssen Betroffene sich überwinden, bis sie der Chefin oder dem Chef davon erzählen.
Beim aktuellen Deutschland-Barometer Depression wurden rund 5000 Betroffene gefragt, wie sich die Situation in der Arbeitswelt darstellt. Da zeigt sich, dass die Mehrheit nicht darüber spricht - lediglich ein Drittel hat sich getraut, sich zu offenbaren. Die darauf folgenden Reaktionen wurden dann als positiv empfunden.
Vom Betroffenen zum Depressionsbegleiter
Eine neue Möglichkeit, auch im Berufsleben mehr Unterstützung zu bekommen, sind die sogenannten Peer-Beratungen. Hier bieten Kollegen, die bereits Depressionserfahrung hatten, ihre Unterstützung an: vertraulich, am Telefon oder auch außerhalb. Der heutige IT-Projektleiter Frank Rennemann hatte vor zehn Jahren auch mit einer heftigen Depression zu kämpfen. Es fing an mit den Symptomen eines Herzinfarkts. Nach sechs Wochen Krankschreibung kam er wieder zur Arbeit, doch es wurde schnell klar: Er war mitnichten gesund. Er sah alles negativ und geriet in Konflikte; doch auf die Idee, dass er eine Depression haben könnte, kam er nicht. Es waren zwei Kollegen, die ihm unabhängig voneinander widerspiegelten, wie es um ihm steht.
Es folgten Klinikaufenthalt, Therapie - nach sechs Monaten kam er wieder zur Arbeit und beschloss, mit seiner Krankheit offen umzugehen. Die Folge: Auch andere Kollegen überwanden sich und erzählten Rennemann, dass sie bereits wegen Depressionen krankgeschrieben waren. Erst als er sich dazu bekannt hatte, trauten sie sich auch.
Rennemann ist nun neben seinem Hauptjob als IT-Experte ein sogenannter Depressionsbegleiter. Er bietet Erstgespräche oder einfache Beratungen an und hat die Nummern und Namen von Psychotherapeutinnen und -therapeuten parat. Gerade das, die Kontaktaufnahme zu Therapeuten, falle Erkrankten extrem schwer, weiß Rennemann. Er ist überzeugt davon, dass er diesen Schritt erleichern kann, denn für viele Betroffene ist es wegen seiner Erfahrungen einfacher, sich an ihn zu wenden. Die vielerorts zu beobachtende Arbeitsverdichtung fördere depressive Erkrankungen eher, glaubt Rennemann.
Die Arbeit ist längst nicht immer die Ursache
Tatsächlich wird die Arbeit oftmals als Ursache der Depressionen ausgemacht - Stichwort "Burnout"-Syndrom. Laut Depressionsbarometer sind Belastungen am Arbeitsplatz sowie Konflikte im Job beziehungsweise mit Kollegen mit Abstand die Hauptgründe. Deshalb glaubt auch eine große Mehrheit, dass Urlaub oder viel Schlaf helfen können. Doch das Gegenteil ist oft der Fall. Wer im Urlaub ist, leidet vielleicht noch mehr, denn die Krankheit fährt mit und die Struktur der Arbeit fehlt zudem. Auch langer Schlaf verschlechtert den Zustand der Betroffenen meist. Schlafentzug hingegen wirkt zum Teil heilend bei der Behandlung von Depressionen.
Viel öfter als angenommen haben Depressionen biologische Ursachen und sind zum Teil auch genetisch bedingt. Es liegt also längst nicht immer an der Arbeit; dort zeigt sich die Krankheit nur am stärksten. "Während der Depression nehmen Betroffene alles wie durch eine dunkle Brille wahr und fühlen sich völlig erschöpft und durch die Arbeit überfordert. Häufig wird dann die Überforderung fälschlicherweise als Ursache und nicht als Folge der Depression angesehen", so Experte Hegerl von der Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Fakt ist: Egal, was die Ursachen der Krankheit sind - je offener, je professioneller der Umgang mit einer Depression auch im beruflichen Alltag ist, desto schneller kann allen geholfen werden.