BFH berät über "Cum-Ex"-Geschäfte Banken oder Fiskus - wer gewinnt?

Stand: 16.04.2014 15:55 Uhr

Legal? Skandal? Oder beides? Um Milliarden von Euro sollen Banken, Fonds und Händler den deutschen Staat gebracht haben. Dazu nutzten sie jahrelang eine Gesetzeslücke, dank derer sie sich nur einmal abgeführte Kapitalertragssteuern mehrfach erstatten ließen. Mit diesen zweifelhaften Aktiengeschäften befasste sich der Bundesfinanzhof. In Dutzenden Fällen soll es Schätzungen zufolge um mindestens 1,5 Milliarden Euro und angeblich sogar um mehr als zehn Milliarden Euro gehen. tagesschau.de beantwortet die wichtigsten Fragen.

Von Heinz-Roger Dohms, tagesschau.de

Um welche Art von Aktiendeals geht es?

"Cum-Ex"-Geschäfte sind hochkomplexe Aktiendeals, bei denen Banken sich die fällige Kapitalertragssteuer mehrmals erstatten lassen. Um zu verstehen, wie das geht, muss man aber erst einmal die Urform des "Cum-Ex"-Transaktionen verstehen - nämlich das sogenannte Dividendenstripping. 

Die meisten börsennotierten Unternehmen schütten einmal jährlich eine Dividende aus, um ihre Aktionäre an den Gewinnen teilhaben zu lassen. Angenommen, die Daimler-Aktie steht vor der Auszahlung (cum) bei 50 Euro und die Dividende beträgt 2,50 Euro - dann fällt die Aktie nach der Auszahlung (ex) normalerweise auf rund 47,50 Euro. Schließlich stammt das ausgeschüttete Geld ja aus der Substanz des Unternehmens. Das Unternehmen und damit die Aktie sind nach der Ausschüttung also entsprechend weniger wert.

Auf die Dividende wird nun eine Steuer fällig, nämlich die Kapitalertragssteuer. Bis vor einigen Jahren waren es vor allem Kleinanleger, die sich ein Hobby daraus machten, diese Steuer zu umgehen, indem sie ihre Aktien kurz vor der Ausschüttung verkauften und kurz darauf zurückerwarben. So verzichteten sie zwar auf die Dividende, konnten dafür aber einen Kursgewinn verbuchen, weil sie ja zu 50 Euro verkauften und zu 47,50 Euro zurückkauften. Mit der Einführung der Abgeltungssteuer 2009 wurde dieser Trick aber obsolet, da die Abgeltungssteuer für Kursgewinne genau so gilt wie für Dividenden.

Was unterscheidet die "Cum-Ex"-Deals vom Stripping?

Die "Cum-Ex"-Geschäfte der Banken sind um ein einiges komplizierter als das herkömmliche Dividenden-Stripping. Möglich waren die Deals bis Ende 2011. Dann schloss der Staat die entsprechende Gesetzeslücke.

Möglich machte die "Cum-Ex"-Transaktionen eine Besonderheit bei der Abwicklung von Aktiengeschäften. Werden Aktien nämlich kurz vor dem Dividendenstichtag verkauft, so geht das zivilrechtliche Eigentum erst mit Verzögerung auf den neuen Eigentümer über. So entsteht für bis zu 48 Stunden eine Situation, in der die Papiere zwei Eigentümer haben, nämlichen einen wirtschaftlichen (den Käufer) und einen rechtlichen (den Verkäufer).

Bei einem regulären Aktienverkauf entsteht trotzdem keine Verwirrung: Die Dividende steht dem Käufer zu. Er zahlt die entsprechende Kapitalertragssteuer (genauer gesagt: sie wird einbehalten) - und kann sie sich unter bestimmten Umständen zurückerstatten lassen. Im Depot des Verkäufers erscheint hingegen ein Sperrvermerk, der signalisiert: Ihm gehört das Papier nicht mehr und damit kassiert er auch die Dividende nicht.

Anders ist dies jedoch bei einem sogenannten Leerverkauf - also wenn ein Investor eine Aktie verkauft, die er noch gar nicht besitzt. Leerverkäufe dienen normalerweise als (sinnvolles) Mittel zur Absicherung von Aktiengeschäften oder als (umstrittenes) Mittel zur Spekulation. Bei den "Cum-Ex"-Deals hingegen hatten sie einen ganz anderen Zweck - nämlich den Fiskus zu umgehen.

Wie genau, das soll mithilfe folgender Grafik erklärt werden.

In der Praxis war es übrigens offenbar so, dass sich Banken und Investoren die Kapitalertragssteuer durch das rasche Hin- und Herschieben von Aktien nicht nur doppelt erstatten ließen - sondern viel häufiger. "Das war durchaus sechs, sieben oder acht Mal möglich", sagt der Hamburger Ökonom und Steuerexperte Carl-Christian Freidank.

Warum hat der Staat nicht früher reagiert?

Es war die rot-grüne Unternehmenssteuerreform, die den Weg für die "Cum-Ex"-Deals zu Beginn des zurückliegenden Jahrzehnts unfreiwillig ebnete. Schon bald wurden Experten auf das entstandene Schlupfloch aufmerksam. Doch dichtgemacht wurde es nicht. Angeblich spielte dabei auch die Lobbymacht der Banken eine Rolle. Erst Jahre später nahm sich der damalige Finanzminister Peer Steinbrück des Problems an. Kritikern zufolge schloss er die Gesetzeslücke aber fatalerweise nur zum Teil - womit er die verbliebene Öffnung, wenn man so will, erst richtig legimierte. Wirklich dicht ist das Steuerschlupfloch dank einer neuerlichen Gesetzesreform erst seit Ende 2011.

Wie groß ist der Schaden?

Das ist noch unklar. Ein Zeitlang hieß es in diversen Medien unter Berufung auf Finanzbeamte, der Schaden könnte mehr als zehn Milliarden Euro betragen. Zurzeit laufen nach Informationen von NDR Info und "Süddeutscher Zeitung" Ermittlungen gegen mehrere Dutzend Banken und Fonds - dabei geht es insgesamt aber offenbar eher um eine Summe zwischen 1,5 Milliarden bis zwei Milliarden Euro.

Welche Banken sind involviert?

Noch sind nicht alle Namen bekannt. Klar aber ist, dass zumindest zwei staatliche Banken involviert waren, nämlich die HSH Nordbank und die Landesbank Baden-Württemberg. Die HSH hat mittlerweile 127 Millionen Euro an den Fiskus zurückgezahlt, die LBBW 150 Millionen Euro. Eine Schlüsselrolle in der Affäre spielt auch das Münchner Großinstitut Hypo-Vereinsbank. Das Schweizer Bankhaus Sarasin wiederum hatte sogar einen Fonds aufgelegt, mit dem wohlhabende Anleger von den "Cum-Ex"-Deals profitieren sollten. Zu den Investoren gehörten, wie der "Stern" enthüllte, auch Prominente wie der Finanzunternehmer Carsten Maschmeyer oder der Fußballtrainer Mirko Slomka.

Wie ist die Rechtslage?

Der Bundesfinanzhof hat in der Vergangenheit mehrmals zugunsten des Dividenden-Strippings entschieden. Auch in dem konkreten Fall hat er in einer Art vorläufigem Urteil Verständnis für die Position der Finanzindustrie durchscheinen lassen. Trotzdem gilt der Ausgang des Verfahrens als völlig offen. Der Druck auf das Gericht ist immens. Denn auf der einen Seite steht das Bundesfinanzministerium, das auf einen Erfolg für den Fiskus setzt - und auf der anderen Seite die Bankenindustrie, vertreten von den Starjuristen der großen Wirtschaftskanzleien.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 16. April 2014 um 11:30 Uhr.