Bulgarien profitiert von Krise Griechischer Boom in Petritsch
Die bulgarische Kleinstadt Petritsch liegt nahe der griechischen Grenze. Das ist angesichts der schweren Krise im Nachbarland ein großer Vorteil: Immer mehr Griechen und griechische Unternehmen fliehen vor dem heimischen Chaos ins stabilere Nachbarland. Das schafft dort viele Arbeitsplätze.
Von Rupert Waldmüller, ARD-Hörfunkstudio Südosteuropa
Das griechische Restaurant "Saki" liegt mitten im Zentrum der bulgarischen Kleinstadt Petritsch. Der Wirt Dionysios Papadatos ist Grieche und eigentlich Handwerker. Die Wirtschaftskrise in seinem Heimatland zwang ihn, seinen Job aufzugeben. Vor Arbeitslosigkeit und Armut floh er vor wenigen Monaten über die Grenze nach Bulgarien und versucht nun hier sein Glück - wie viele seiner Landsleute: "Die Griechen wollen eigentlich gar nicht unbedingt hierher nach Bulgarien kommen", sagt er. "Sie wollen einfach weg, egal wohin, Hauptsache weg aus Griechenland."
Auch die Firma BGN Electronics kommt eigentlich aus Griechenland. 50 Mitarbeiter produzieren in der modernen Produktionshalle vor den Toren der Stadt Petritsch Kabel und Platinen für große deutsche Kunden. Schon vor vier Jahren, als sich die Krise in seinem Heimatland langsam abzeichnete, zog der Unternehmer George Konstantopoulos mit seiner Firma von Thessaloniki nach Petritsch. Immer mehr griechische Geschäftsleute tun es ihm in letzter Zeit gleich. "Die Griechen haben kein Vertrauen mehr zum Staat. Jeden Tag kommt etwas Neues: neue Steuern, neue Steuern, neue Steuern", sagt er. "Man fürchtet sich vor allem. Man weiß nicht, was morgen auf die Leute zukommen wird. Die Leute haben kein Vertrauen. Ganz einfach."
Das stabilere Wirtschaftssystem lockt
Bulgarien lockt Unternehmen dagegen mit deutlich niedrigeren Steuern, günstigen Löhnen und - vor allem - einem wesentlich stabileren Wirtschaftssystem. Grund genug für viele griechische Firmen, ins Nachbarland zu wechseln. "Diese Thematik wird immer aktueller. Das kann jeder verstehen. Das ist ganz klar. Man kann nicht von heute auf morgen planen. Man muss ein bisschen Zukunft sehen können. Und das ist im Moment das Problem in Griechenland."
Vor allem in Regionen direkt an der Grenze zieht es die griechischen Unternehmen. In und um Petritsch sind überall griechische Firmenlogos zu sehen, Werbetafeln und Geschäftsinschriften sind zweisprachig, es gibt griechische Läden, Restaurants und Cafés. Ungefähr 100 griechische Firmen pro Jahr siedeln seit Beginn der Krise in die Kleinstadt mit ihren 31.000 Einwohnern über, sagt der stellvertretende Bürgermeister Christo Batew. In den Jahren vor der Krise war es lediglich eine Handvoll. Die Arbeitslosenquote in Petritsch ist mit sechs bis sieben Prozent mittlerweile nur noch halb so hoch wie im Landesdurchschnitt.
Immer mehr Griechen kommen auch als Touristen
"Wir profitieren tatsächlich von der Krise, nicht nur durch die Firmen, die hierherkommen und hier investieren, sondern auch durch die Touristen: Immer mehr Griechen kommen her, kaufen in den Geschäften ein und essen in unseren Restaurants", sagt Batew. Denn für die Griechen sei in Petritsch alles viel günstiger als in Griechenland.
Bulgarien wird vorübergehend zum Profiteur der Griechenland-Krise: Hunderte griechische Firmen sind in den vergangenen zwei Jahren in das Land gezogen. 40.000 bis 50.000 Arbeitsplätze hängen laut der griechisch-bulgarischen Handelsgesellschaft inzwischen an griechischen Unternehmen in Bulgarien. In den vergangenen zehn Jahren seien drei Milliarden Euro investiert worden - und wegen der Krise fließt auch immer mehr privates Kapital nach Bulgarien.
Schärfere Krise Griechenlands würde auch Bulgarien schwer treffen
Die Griechen wollen ihr Geld eben in Sicherheit bringen, sagt Georgy Ganev, Wirtschaftsexperte aus Sofia. Im vergangenen Jahr habe man solche Geldtransfers aus Griechenland nach Bulgarien beobachtet. Es kommen immer mehr Privatleute hierher, die einen Teil ihres Geldes in bulgarische Banken stecken. "Sie gehen dabei bewusst nicht zu den griechischen Banken, von denen es hier in Bulgarien viele gibt, sondern legen ihr Geld gezielt bei anderen Banken an", meint Ganev.
Dennoch warnt der Wissenschaftler vor zu großer Euphorie in Bulgarien angesichts des vermeintlichen Wirtschaftsaufschwungs durch die Krise im Nachbarland: "Ich möchte betonen, dass die griechische Krise oder gar ein griechischer Zusammenbruch uns viel mehr schaden als nützen würde, was die Arbeitsplätze angeht: Denn sehr viele - also Hunderttausende - Bulgaren arbeiten derzeit in Griechenland und würden bei einem Zusammenbruch der griechischen Wirtschaft ihre Jobs verlieren."
Der Abwanderungstrend verstärkt sich
Durch die Verschärfung der Krise in Griechenland in jüngster Zeit hat der Abwanderungstrend in Richtung Bulgarien unterdessen noch einmal zugelegt: In den vergangenen Wochen habe sich die Zahl der Anfragen abwanderungswilliger griechischer Unternehmen bei offiziellen bulgarischen Handelsvertretern verzehnfacht, sagte der bulgarische Wirtschaftsminister unlängst in einem Fernseh-Interview. Und im Gegensatz zu früher hätten viele der griechischen Unternehmen inzwischen Interesse an langfristigen Engagements in Bulgarien, heißt es von Seiten bulgarischer Wirtschaftsvertreter.
Für Dionysios Papadatos, den griechischen Restaurantbesitzer aus Petritsch, ist auf jeden Fall klar: Er bleibt erst mal in Bulgarien. Denn er hat jedes Vertrauen in die griechischen Politiker verloren, sagt er: "Bis die Situation in Griechenland besser geworden ist, bleibe ich hier, weil ich den griechischen Politikern nicht traue."