13 Monate auf der Flucht Die letzte Höhle des Baulöwen
„Ja, ich bin es.“ Mit diesen Worten endet am 18. Mai 1995 in Florida die spektakuläre Flucht von Dr. Utz Jürgen Schneider, dem größten Immobilienbetrüger der deutschen Nachkriegsgeschichte.
Braungebrannt, in Freizeithemd und Bermudashorts, sitzt Jürgen Schneider in einem Mietwagen in Miami, als er von einem Beamten des Bundeskriminalamtes mit den Worten „Herr Doktor Schneider“ angesprochen wird. Widerstandslos lässt er sich festnehmen, sein Markenzeichen, ein perfekt sitzendes Toupet, trägt er längst nicht mehr.
Vom Glanz vergangener Jahre ist nach 13 Monaten auf der Flucht wenig übriggeblieben. Eine Mietwohnung in den „Alexander Towers“ direkt am Strand in Hallandale, 24 Kilometer nördlich von Miami, ist der letzte Unterschlupf des einstigen Schlossherrn aus Königstein in Hessen.
Aufstieg eines Immobilienkönigs
In den achtziger Jahren machen erste Erfolge in der Immobilienbranche Jürgen Schneider zum Liebling der Banken, allen voran der Deutschen Bank. Sein Geschäftsmodell, historische Gebäude in Toplagen zu erwerben und nach einer luxuriösen Sanierung teuer zu vermieten oder zu verkaufen, scheint zu funktionieren.
Zum Beweis seines Erfolges kauft Schneider 1987 die schlossähnliche Villa Andreae in Königstein bei Frankfurt und restauriert sie im großen Stil. Hier hält der Immobilienkönig Hof. Im Speisesaal empfängt er Kreditgeber, die in Erwartung fabelhafter Renditen und Provisionen bereitwillig seine Luftschlösser finanzieren - ohne genauer hinzuschauen.
Innerhalb von zehn Jahren steigt Schneider zu Deutschlands größtem privaten Immobilienbesitzer auf. Seine Betonschätze: das alte Hotel Rose in Wiesbaden, in dem heute die Hessische Staatskanzlei und der Ministerpräsident sitzen, der Fürstenhof, die Zeilgalerie „Les Facettes“ und die Schiller-Passage in Frankfurt. Eine besondere Bau-Beziehung entwickelt er nach dem Mauerfall zu Leipzig. Dort kauft er über 70 Gebäude, darunter die Mädler-Passage mit dem berühmten Auerbachs Keller.
Das System Schneider: größer, höher, teurer
Doch zu aufwändig, zu prunkvoll sind seine Sanierungen, als dass nennenswerte Gewinne erwirtschaftet werden können. Deshalb braucht Schneider Geld, viel Geld. Für den Kauf, den luxuriösen Umbau sowie für die Kredite, die er bedienen muss. Sein Betrugssystem ist gewieft: Rechnungen, Mietverträge, Baupläne, Angaben über Mietflächen, Anzahl der Mieter und Mieteinnahmen - er rechnet alles größer, höher, teurer. Über 50 Banken geben ihm üppige Kredite.
Eine weitere Masche: Über Strohmänner und Treuhandfirmen, die Teil seines Firmengeflechtes sind, verkauft er seine eigenen Immobilien an sich selbst und treibt so deren scheinbaren Wert nach oben. Dadurch kann er sie mit neuen Krediten höher beleihen. Sein System wird immer komplexer und zunehmend verstrickt sich Schneider darin. Der Konkursverwalter und die Ermittler des BKA brauchen Monate, um das Geflecht zu entwirren.
Ein gigantischer Scherbenhaufen
Der auf Hoffnungen gebaute Immobilienboom nach der Wiedervereinigung bleibt aus und Anfang 1994 gibt es in den Frankfurter Banken-Türmen erste Zweifel an Schneiders Erfolgsgeschichten. Am 4. April informiert Schneider die Deutsche Bank über eine mögliche Zahlungsunfähigkeit. Als das Amtsgericht in Königstein das Insolvenzverfahren eröffnet, sind er und seine Frau Claudia bereits über alle Berge.
Der Scherbenhaufen, den der Kreditejongleur hinterlässt, ist gigantisch. Die Forderungen belaufen sich auf mehr als sechs Milliarden D-Mark, davon allein Bankschulden in Höhe von über fünf Milliarden D-Mark. Nachdem diverse Schneider-Immobilien verkauft werden, bleiben die Gläubiger auf Forderungen von rund 2,4 Milliarden D-Mark (1,23 Mrd. Euro) sitzen. Unter den Opfern zahlreiche Handwerksbetriebe, die Mitarbeiter entlassen oder Insolvenz anmelden müssen.
Pleiten, Pech und Peanuts
Die Deutsche Bank, die um Schadensbegrenzung bemüht ist, will den betroffenen Handwerkern helfen und die offenen Rechnungen von rund 50 Millionen Mark begleichen. Das Vorhaben ist edel, doch die vom damaligen Deutsche-Bank-Chef Hilmar Kopper auf einer Pressekonferenz gewählte Formulierung eine kommunikative Katastrophe. „Peanuts“ wird zum Synonym für die Überheblichkeit der Banken und 1994 „Unwort des Jahres“.
Die Banken haben es ihm leicht gemacht
Am 23. Dezember 1997 wird Jürgen Schneider wegen Betrugs, Kreditbetrugs und Urkundenfälschung zu einer Haftstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt - in Anbetracht der riesigen Schadenshöhe ein relativ mildes Urteil. Milde, weil Richter Heinrich Gehrke eine Mitschuld der Banken an der Milliardenpleite feststellt.
Heute lebt der 86-jährige Schneider zurückgezogen. Eine Interview-Anfrage lehnt er mit der Begründung ab, dass er froh und dankbar sei, dass es mittlerweile still um ihn geworden ist.