Neuer Markt Das Erbe der Dotcom-Blase
Vor 20 Jahren erreichte die Internet-Blase ihre maximale Ausdehnung. Ganz Deutschland war im Börsenfieber - bis die Blase platzte. Aber es blieb nicht nur eine Wüste zurück. Der Internet-Hype bereitete auch den Boden für die digitale Wirtschaft, wie wir sie heute kennen.
Am 10. März 2000 erreichte der "Neue Markt" in Gestalt des Nemax 50 seinen Rekordstand mit 9.631,53 Punkten. Der Nemax All Share notierte am selben Tag bei 8.559,32 Zählern. Der Börsenwert der knapp 300 Firmen, die mittlerweile im Nemax All Share gelistet waren, stieg auf bis zu 235 Milliarden Euro. Auch bei den eher soliden Standardwerten grassierte das Spekulationsfieber. Der deutsche Leitindex Dax hatte bereits am 7. März einen historischen Höchststand von 8.136 Punkten erreicht.
Sogenannte Dotcom-Unternehmen boomten. Gefragt waren Geschäftsmodelle, die das ungeheure Potenzial des Internets nutzbar machen wollten. Es entstand ausgerechnet im tendenziell risikoscheuen Deutschland so etwas wie eine Start-up-Kultur. Wer eine Idee hatte, die irgendwas mit New Media oder Internet zu tun hatte, gründete ein Unternehmen.
"Diesmal ist alles anders"
Denn die New Economy sollte die Art revolutionieren, wie Wirtschaft funktioniert. Dauerhaftes Wachstum, Globalisierung, moderne Telekommunikation, permanente Innovation, Abschied von Konjunkturzyklen, ungeheure Produktivitätsgewinne. Nun sollte es nur noch aufwärts gehen. Rezession? Das gab es in grauer Vorzeit. Der Zeitgeist: Fortschrittsglaube und Optimismus.
Der Börsenbetreiber Deutschen Börse startete am 10. März 1997 den "Neuen Markt“ (Nemax). Vorbild war die US-Technologiebörse Nasdaq, die damals längst von Rekord zu Rekord eilte. Bertrandt und Mobilcom hießen die ersten beiden Nemax-Unternehmen.
Warnungen wurden ignoriert. Als sich zeigte, dass die sich die utopischen Gewinnerwartungen in Luft auflösen würden, dass die Firmen kaum materiellen Gegenwert boten, als die ersten Pleiten und massiven Betrugsfälle auftraten und die US-Notenbank auch noch den Leitzins anhob, ging es so rasend rückwärts, wie es zuvor nach oben gegangen war.
Die Dotcom-Blase platzte. Von den 235 Milliarden Börsenwert waren im September 2002 noch weniger als 30 Milliarden übrig, der Nemax stürzte ins Bodenlose. Bis Oktober 2002 kollabierte der Nemax 50 förmlich bis auf 318 Punkte oder um fast 97 Prozent. Auch an den Weltbörsen ging es scharf nach unten. Das Vorbild Nasdaq sackte bis Oktober 2002 um fast 80 Prozent.
Börsengang jetzt, Gewinne später
Gleichwohl hielt sich gesamtwirtschaftlich gesehen der Schaden in Grenzen: "Die volkswirtschaftlichen Folgewirkungen blieben geringer als jene der Finanzkrise 2007/08. Die US-Wirtschaft entging damals einer Rezession, auch gab es keine Banken- und Finanzkrise", schreibt Benjardin Gärtner, der Leiter des Portfoliomanagements Aktien bei Union Investment, in einer Analyse zum Thema. Aber da hierzulande vor allem unerfahrene Kleinanleger unter der Kapitalvernichtung litten, hatte viele Deutsche erst einmal genug vom Aktienmarkt.
Auch heutzutage gibt es immer wieder Warnungen vor einer Blase im Technologie-Segment. Vor allem im vergangenen Jahr, als gleich eine ganze Reihe von Tech-Unternehmen wie Lyft, Uber oder Slack für Milliarden an die Börse gingen, aber noch keine Gewinne erwirtschafteten, mehrten sich kritische Stimmen. Die Bewertungen seien viel zu hoch, man beobachte das Entstehen einer neuen Dotcom-Blase.
Allerdings dominieren die Tech-IPOs den gesamten Markt lange nicht so, wie es noch vor 20 Jahren der Fall war. "Mit den damaligen Exzessen ist die heutige Situation nicht vergleichbar", meint Union-Investment-Experte Gärtner. "Der Markt differenziert zwischen Unternehmen mit einem wachstums- und gewinnstarken Geschäftsmodell sowie reinen Hoffnungswerten mit viel heißer Luft", so Gärtner. Das sei ein gutes Zeichen.
Die Gewinne sprudeln
Die Dotcom-Blase mag also geplatzt sein, aber die Idee einer auf Internet und Technologie basierten Ökonomie lebt weiter, Internet-Technologie und digitale Wirtschaft sind längst Teil unseres Alltags. Konzerne wie Facebook, Amazon, Microsoft, Apple oder Google gehören zu den global dominierenden Unternehmen. Das spiegelt sich auch in der Kursentwicklung wider. Bei den Bewertungen handelt es sich laut Gärtner nicht um Luftschlösser. "Die Unternehmen profitieren von Netzwerkeffekten und wachsenden Märkten, was ihre Cash Flows steigen und die Gewinne sprudeln lässt."
Von solide sprudelnden Gewinnen und rasantem Wachstum kann man wirklich sprechen: Allein im jeweils abgelaufenen Quartal strichen die fünf genannten US-Konzerne zusammen rund 55 Milliarden Dollar Nettogewinn ein, Apple trug 22,2 Milliarden Dollar dazu bei. Da möchte man eigentlich eher von einer Gewinn-Blase sprechen.