Drägerwerk-Geräte gefragt Dank Corona aus der Krise
Beatmungsgeräten des Medizintechnikherstellers Drägerwerk retteten in der Corona-Pandemie zahlreiche Menschenleben. Die Lübecker Firma hat ihre Produktion ausgeweitet und ist für eine zweite Infektionswelle gerüstet. Die Aktie des Unternehmens ist wie ein Krisen-Barometer.
Kaum ein deutscher Unternehmer ist derzeit so gefragt wie Stefan Dräger. Beim Vorstandschef des Lübecker Familienunternehmens rufen viele Staats- und Regierungschefs an. Ob der niederländische König, Österreichs Kanzler Sebastian Kurz oder womöglich gar US-Präsident Donald Trump - sie alle haben sich bei Dräger gemeldet mit der Bitte, ob er ihnen nicht noch ein paar mehr Beatmungsgeräte liefern kann. Nicht immer kann Dräger die Wünsche erfüllen.
Denn das Medizintechnikunternehmen aus dem hohen Norden kommt angesichts der riesigen Nachfrage mit der Produktion nicht hinterher. Zeitweise hätte Drägerwerk zehn Mal mehr Beatmungsgeräte und hundert Mal mehr Atemschutzmasken produzieren können als möglich ist. "Wir tun, was wir können", sagt Dräger. Während andere Firmen Kurzarbeit einführten, lief die Herstellung bei Drägerwerk auf Hochtouren.
Produktion verdoppelt und neue Fabriken
Die Lübecker haben im Februar ihre Produktion verdoppelt und wollen sie in diesem Jahr vervierfachen. In Lübeck wurde für 70 Millionen Euro eine neue hochmoderne Fabrik in Betrieb genommen. Und für die Lieferung von Atemschutzmasken baut das Unternehmen Fabriken in Frankreich, Großbritannien und in den USA.
Drägerwerk hat in Sachen Atemschutz einen großen technologischen Vorsprung. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelten die Ingenieure die erste Atemschutzmaske. Sie kam vor allem in der Minenindustrie zum Einsatz. Auch bei Bergsteigern wurden die Produkte aus Lübeck verwendet. Inzwischen beliefert Drägerwerk vor allem Krankenhäuser und Institutionen mit seinen Geräten. Die Norddeutschen produzieren Narkosegeräte für Krankenhäuser, Gasmasken für die Bundeswehr und Alkoholtests für die Polizei.
Vorreiter bei Beatmungsgeräten
Verkaufsschlager ist derzeit Evita. Sie hat nichts mit dem Musical zu tun. Evita steht für "electronic ventilator", also elektronisches Beatmungsgerät. Die Maschine besteht aus 500 Einzelteilen. Das Gerät rettete in der Corona-Pandemie viele Menschen vor dem Ersticken. Neben Drägerwerk gibt es nur zwei andere Firmen, die ähnlich hochkomplexe Beatmungsgeräte herstellen: Die schwedische Getinge und die schweizerisch-amerikanische Firma Hamilton.
Dank des Corona-Booms steigerte Drägerwerk im ersten Halbjahr Umsatz und Gewinn kräftig. Die Erlöse kletterten währungsbereinigt um 17,1 Prozent auf rund 1,4 Milliarden Euro. Das Konzernergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) lag bei 101,6 Millionen Euro. Im ersten Halbjahr 2019 war das Ebit noch negativ gewesen. Im Gesamtjahr soll sich währungsbereinigt der Umsatz zwischen 14,0 und 22,0 Prozent erhöhen. Bei der Ebit-Marge wird ein Niveau von 7,0 bis 11,0 Prozent angepeilt.
Neben Beatmungsgeräten waren vor allem die Atemschutzmasken gefragt. Im ersten Quartal verdoppelte sich der Auftragseingang. Die Bundesregierung bestellte 10.000 Beatmungsgeräte - der größte Auftrag in der Firmengeschichte. Allerdings wurde nur ein Teil der Geräte abgenommen.
Vor Corona gab es Sparprogramme
Das kleine Virus hat das Familienunternehmen aus der jahrelangen Flaute geholt. Drägerwerk litt vor Corona unter schleppenden Geschäften besonders in der Sicherheitstechnik. Seit 2017 schrumpften die Gewinne. Drägerwerk legte Sparprogramme auf, um den Konzern wieder zu sanieren. Bis Ende 2023 verzichten die Beschäftigten auf Lohnerhöhungen. Im Gegenzug verzichtet das Familienunternehmen auf betriebsbedingte Kündigungen.
Im Sog des Corona-Erfolgs erwachte auch die Vorzugsaktie aus ihrem Dornröschenschlaf. Sie stieg zeitweise fast bis auf 110 Euro, den höchsten Stand seit 2017. Inzwischen ist der SDax-Titel wieder zurückgefallen auf 74 Euro. Seit Jahresbeginn steht dennoch ein Plus von mehr als 50 Prozent.
Aktie als Spiegelbild der Corona-Krise
Der Aktienkurs spiegelt die Entwicklung der Corona-Krise wider. Als die Infektionszahlen immer rasanter stiegen und die Zahl der Intensivbetten in einigen Ländern Europas knapp wurden, war die Aktie gefragt. Seitdem sich die Lage wieder normalisiert hat, ging es auch mit der Aktie abwärts. Eine zweite Infektionswelle könnte dem Kurs neuen Schub bringen, so makaber das auch klingen mag.
Weitere Kursinformationen zu Drägerwerk VZ
Analysten sehen die Zukunftsperspektiven von Drägerwerk positiv. Die Mehrzahl der Fachleute raten nach der jüngsten Jahresprognose-Anhebung zum Kauf der Aktie und trauen ihr teilweise ein Plus von mindestens einem Fünftel auf ein Kursniveau von über 100 Euro zu. Laut Metzler-Analyst Alexander Neuberger dürfte die Virus-Pandemie in Europa zu einer Umkehr beim Trend jahrelang sinkender Investitionen in Krankenhäuser führen, wovon das Unternehmen profitieren sollte. Skeptischer ist DZ-Bank-Analyst Sven Kürten. Er geht davon aus, dass die coronabedingte Sonderkonjunktur für das Unternehmen schon im kommenden Jahr enden könnte.
Eine Wette auf die zweite Welle?
Sollte sich die Lage im "Corona-Winter" nicht weiter dramatisch zuspitzen, dürfte sich die Nachfrage nach Beatmungsgeräten und Atemschutzmasken weiter abschwächen. Dann könnte Drägerwerk bald wieder in die alten Probleme zurückfallen. Dann wären auch die die ausgebauten Produktionskapazitäten ein Problem.
Selbst wenn es zu einer zweiten Welle und neuen Notstands-Situationen in einzelnen Teilen der Welt kommt, ist nicht sicher, ob Drägerwerk weiter der große Corona-Profiteur bleibt. Denn die Konkurrenz nimmt zu. Große Autobauer wie GM und VW sind in die Produktion von Beatmungsgeräten eingestiegen.
Dunkles Kapitel der Geschichte
Mit der zunehmenden Bekanntheit der Drägerwerke rückt auch ein dunkles Kapitel der 131-jährigen Firmengeschichte wieder ins Interesse der Öffentlichkeit: die Nazi-Vergangenheit. Laut Medienberichten soll der Hersteller von Beatmungstechnik 1944 einen Menschenversuch an den 500 Insassen des KZ-Außenlagers Wandsbek gemacht haben. Es wurde getestet, welche Konzentration von CO2 sie aushalten. KZ-Überlebende berichten davon, dass sie fast erstickt wären und ohnmächtig wurden. Drägerwerk selbst rechtfertigt sich, dass die KZ-Insassen immer wieder vor den Schikanen der SS geschützt worden seien. Die Aufarbeitung der Vergangenheit scheint beim norddeutschen Familienunternehmen noch nicht abgeschlossen zu sein.