Wohnungsbau unter Druck Zahl der Baugenehmigungen sinkt rasant
Es werden dringend neue Wohnungen gebraucht. Doch stattdessen wurden zuletzt deutlich weniger Neubauten genehmigt. Experten sprechen von "drastisch verschlechterten" Rahmenbedingungen - und befürchten noch weitere Einschnitte.
Angesichts gestiegener Zinsen und teurer Materialien stockt der Wohnungsbau in Deutschland. Im November wurde trotz des herrschenden Wohnungsmangels nur der Bau von 24.304 Wohnungen bewilligt - gut 16 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Das teilte das Statistische Bundesamt mit. Für den ohnehin stockenden Neubau in Deutschland ist das ein schlechtes Zeichen: Baugenehmigungen sind mit Blick auf den Wohnungsmangel in vielen Städten ein wichtiger Indikator.
Viele Bauherren halten sich aktuell mit Projekten zurück oder stornieren sie. Die Preise für den Neubau konventionell gefertigter Wohngebäude legten im November um fast 17 Prozent zu. Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) hatte eingeräumt, dass die Ampel-Koalition ihr Ziel von jährlich 400.000 neuen Wohnungen verfehlen wird. Mit der starken Zuwanderung, gerade von Flüchtlingen aus der Ukraine, steigt zudem die Nachfrage nach Wohnraum.
Im Zeitraum von Januar bis November 2022 wurden 321.757 Wohnungen genehmigt, ein Minus von 5,7 Prozent zum Vorjahreszeitraum. Besonders stark fiel dabei der Rückgang bei Einfamilienhäusern aus (minus 15,9 Prozent).
Wohnungsbaukredite teurer
Der Wohnungsneubau in Deutschland komme zunehmend unter Druck, stellt auch das ifo-Institut fest. Die Baubranche sitzt zwar noch auf dicken Auftragspolstern. Allerdings hagelte es zuletzt immer mehr Stornierungen. Die Bauindustrie blickt daher pessimistisch auf 2023 und erwartet einen realen Umsatzrückgang für das laufende Jahr von etwa sechs Prozent.
"Zu den Hauptgründen zählen die erheblich verteuerten Wohnungsbaukredite, stark gestiegene Baukosten sowie die Rückführung der Neubauförderung des Bundes", sagte Ludwig Dorffmeister, Branchenexperte beim Münchner Forschungsinstitut. "Für private Bauherren und Wohnungsunternehmen haben sich die Rahmenbedingungen drastisch verschlechtert." Das werde sich aber wegen der langen Realisierungszeiten vorerst nur bedingt auf die Bauaktivitäten niederschlagen.
Der Zentralverband des deutschen Baugewerbes (ZDB) erwartet, dass 2023 rund 245.000 Wohnungen fertig werden. Der Verband fordert unter anderem eine Senkung der Grunderwerbssteuer und eine Ausweitung der Sonderabschreibungen im sozialen Wohnungsneubau. Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB) geht davon aus, dass die Ziele der Bundesregierung für den Wohnungsbau in diesem Jahr bei weitem nicht erreicht werden. Realistisch sei es, dass rund 250.000 Wohnungen fertiggestellt würden, sagte HDB-Präsident Peter Hübner jüngst.
Erst am Beginn einer Talfahrt?
Ein Bündnis aus Mieterbund, Baugewerkschaft sowie Sozial- und Branchenverbänden hatte jüngst bereits vor einer Verschärfung des Wohnungsmangels gewarnt. Es fehlten rund 700.000 Wohnungen in Deutschland, hatte Mieterbund-Präsident Lukas Siebenkotten gesagt.
Auch der Bundesverband Freier Immobilien und Wohnungsunternehmen warnte, man stehe erst am Beginn einer rasanten Talfahrt: Die Baugenehmigung sei der Blick in die Vergangenheit, "die Anträge wurden viele Monate zuvor gestellt, weit vor der jetzigen Krise". Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion für Wohnen und Bauwesen, Ulrich Lange, kritisierte, mit dem erneuten Rückgang der Baugenehmigungen rückten die Ziele der Bundesregierung in weite Ferne.
Sanierungen vor Neubau
Laut einer Studie des ifo-Instituts mit europäischen Forschungspartnern ist die schwächelnde Bautätigkeit kein speziell deutsches Problem. "Insbesondere der Wohnungsbau in Deutschland, aber auch in vielen Ländern Europas erfährt derzeit spürbaren Gegenwind", erklärten die Experten. Bis 2024 dürfte die Bautätigkeit in Europa um insgesamt fast drei Prozent abnehmen und erst 2025 wieder leicht zulegen.
Wie in Deutschland erwarten die Experten auch im Ausland einen Fokus auf Sanierungen statt auf Neubau: In den meisten europäischen Ländern werde der "Energiepreisschock" voraussichtlich dazu führen, "dass mehr in die Wohnungsbestände investiert wird", erklärte ifo-Experte Dorffmeister.