Interview

Interview zur Bankenrettung "Es geht nicht darum, Schuldenstaaten zu retten"

Stand: 14.10.2011 08:39 Uhr

Ein Schuldenschnitt für Griechenland wird kommen, meint Bankenexperte Schiereck im tagesschau.de-Interview. Doch dabei seien "uns die Griechen relativ egal". In Wahrheit gehe es den Staaten um die Rettung der Banken. Und bei einem Schuldenschnitt müssten die Institute allesamt neues Kapital vom Staat erhalten - ob sie wollten oder nicht.

tagesschau.de: EU-Kommissionspräsident Barroso hat einen europäisch koordinierten Rettungsplan vorgeschlagen, um die Banken gegen Ausfälle zu wappnen. Kommt der Schuldenschnitt Griechenlands?

Dirk Schiereck: Nachdem sowohl Herr Barroso als auch Herr Trichet von systemischen Risiken großen Ausmaßes gesprochen haben, muss man davon ausgehen, dass große Verluste auf die Banken zurollen. Ich glaube, die Entscheidung für den Schuldenschnitt Griechenlands ist gefallen. Die Frage ist, wann er kommt und in welchem Umfang. Und dann werden sicherlich nicht alle, aber sehr viele Banken deutlich mehr Eigenkapital benötigen.

Zur Person

Professor Dr. Dirk Schiereck ist seit 2008 Inhaber des Lehrstuhls für Unternehmensfinanzierung an der Technischen Universität Darmstadt. Seine aktuellen Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem im Bereich des strategischen Bankmanagements.

tagesschau.de: Welche Banken wären das?

Schiereck: Im Blick sind natürlich in erster Linie die französischen Banken, aber auch die italienischen und spanischen Finanzhäuser sind gerade wieder von den großen Ratingagenturen herabgestuft worden. Das ist ein Hinweis, welche Geldinstitute man im Auge haben sollte.

tagesschau.de: Sie haben jetzt nur von ausländischen Banken gesprochen, wie steht es denn um die deutschen Institute?

Schiereck: Wir wissen noch nicht genau, welche Banken aktuell betroffen sind. Aber es gibt eine sehr starke Vernetzung der Banken untereinander. Das heißt, eine Schieflage bei einer großen französischen Bank wie der BNP Paribas oder der Société Générale hätte Auswirkungen auf die deutschen Banken. Der Schuldenschnitt Griechenlands ist für unser allergrößtes Institut, die Deutsche Bank, relativ unkritisch. Das wird zwar einige Hundert Millionen Euro kosten, aber bei einem absehbaren Jahresergebnis von acht Milliarden Euro kann man das ganz gut wegdrücken. Für die Commerzbank dürfte das schon schwieriger aussehen. Bei Banken, wo die Situation nicht ganz so transparent ist, weiß man das nicht so genau.

tagesschau.de: Barrosos Rettungsplan sieht vor, dass die Finanzhäuser ihre Eigenkapitalquoten von derzeit fünf Prozent auf möglicherweise neun Prozent erhöhen sollen. Kann das die Lösung sein?

Schiereck: Natürlich kann man eine beliebig höhere Quote als die heutige festsetzen. Aber man müsste dazu jede Bank erst einmal auffordern, am Kapitalmarkt selbst aktiv zu werden. Dafür müssten Hauptversammlungen einberufen werden, auf denen Kapitalerhöhungen beschlossen werden und ähnliches. Das ist ein sehr langwieriges Unterfangen - und bei der aktuellen Kapitalmarktsituation ein Schritt, der wenig Erfolg verspricht. Denn sie werden kaum Eigenkapitalgeber finden, die begeistert schreien: Juchhu! Wir möchten jetzt gerne neue Aktien unserer Bank kaufen, die gerade Verluste im Milliardenbereich hat hinnehmen müssen. Barrosos Plan würde also nur unnötig Zeit kosten, in der die Märkte weiter spekulieren, in der sehr viel Unruhe ins System kommt.

Der zweite Punkt ist: Worauf werden die fünf beziehungsweise neun Prozent berechnet? Bislang mussten die Banken auf eine Staatsanleihe nicht fünf Prozent Eigenkapital vorhalten, sondern null Prozent. Das heißt, diese Quote ist ein absolutes Zerrbild - und darüber hinaus ist sie sicherlich zu niedrig.

tagesschau.de: Für diesen Fall will Barroso eine Zwangsrekapitalisierung vornehmen - sprich: Der Staat soll einspringen. Welche Folgen hätte das für die Banken?

Schiereck: Wir wären gut beraten, wenn wir sagen: Wer Eigenkapital stellt, der bekommt auch Mitspracherechte. Das war zu Beginn der Hypo-Real-Estate-Krise eines der großen Versäumnisse. Dann haben die Banken auch ein Interesse daran, das Kapital zurückzugeben. Geldinstitute, die kraftvoll genug sind, werden das sehr schnell machen. Man könnte durch diesen Schritt die Spekulation aus dem Bankenmarkt nehmen. Denn wenn alle Banken gleichzeitig ihre Reputation verlieren, verliert letztendlich keine einzelne ihre Reputation.

tagesschau.de: Wären Sie also für eine direkte Rekapitalisierung aller Banken?

Schiereck: Der amerikanische Staat hat während der US-Bankenkrise ein ähnliches Modell verfolgt und davon profitiert. Das heißt, er musste zwar Schulden aufnehmen, aber er bekam eine Rendite auf sein Kapital, die höher als die Zinsen war, die er dafür zahlen musste. Rückblickend also ein gutes Investment.

tagesschau.de: Welche Folgen hätte das für den Steuerzahler?

Schiereck: Sie können auch fragen: Was kostet es den Steuerzahler, wenn wir etwas Vergleichbares nicht machen? Das ist nicht so ohne Weiteres absehbar. Wir sitzen ein bisschen zwischen Pest und Cholera. Beide Lösungen, die wir im Auge haben, sind grundsätzlich mit erheblichen Belastungen verbunden. Bei der Lösung, dass man den Banken zwangsweise Eigenkapital gibt, zeigt die Erfahrung, dass das Geld komplett zurückgekommen ist - und der Staat hat sogar noch ein bisschen was verdient.

tagesschau.de: Eines ist noch interessant: Warum jetzt plötzlich wieder dieses Interesse an den Banken, wo die Politik doch die ganze Zeit über Rettungsschirme versucht hat, den verschuldeten Staaten zu helfen?

Schiereck: Mal ganz ehrlich: Uns sind die Griechen relativ egal. Es ging aus meiner Sicht niemals darum, Schuldenstaaten zu retten. Es ging darum, die eigene Wirtschaft und die eigenen Banken zu retten. Wir werden jetzt gerade wieder ein bisschen ehrlicher, nachdem wir in der Vergangenheit das Ganze ein Stück verbrämt haben. Und wenn wir unsere Banken stabil halten, haben wir einen netten Nebeneffekt: Wir helfen auch Staaten. Wir sind immer eigennützig.

tagesschau.de: Werden trotzdem weitere Banken pleitegehen?

Schiereck: Ich glaube, dass Banken pleite gehen werden - quasi pleite gehen werden. Wir sehen das am Beispiel Dexia. Die ist nicht pleitegegangen, sondern zerschlagen worden. Im Prinzip kann man davon ausgehen, dass die Bank in ein paar Jahren in einer anderen Bank aufgeht, und etwas Ähnliches werden wir in der europäischen Landschaft verstärkt beobachten können.

tagesschau.de: Wird das auch für deutsche Banken gelten?

Schiereck: Ich bin sehr sicher, dass die Commerzbank ein deutlich anderes Gesicht bekommen wird, aber sie wird ebenso wie die Deutsche Bank weiterbestehen. Bei den Landesbanken sind wir ohnehin schon dabei, umzustrukturieren. Das alles wird weitergehen.

Das Interview führte Sonja Stamm, tagesschau.de.