EU-Kommissar gibt Merkel Rückendeckung in Atomdebatte Konzerne sollen "mindestens 50 Prozent" zahlen
Im Streit mit der Atomwirtschaft unterstützt EU-Kommissar Oettinger die Kanzlerin: Bei längeren AKW-Laufzeiten müssten die Konzerne bis zu 50 Prozent ihrer Zusatz-Gewinne an den Staat zahlen. Im Justizministerium gibt es unterdessen Zweifel, dass die Laufzeiten deutlich verlängert werden können.
Im Streit um die geplante Brennelementesteuer für Atomkraftwerke erhält die Bundesregierung Unterstützung von der EU-Kommission. Energiekommissar Günther Oettinger kritisierte den Widerstand der deutschen Atomindustrie gegen die geforderten Milliardenabgaben an den Staat.
Als Gegenleistung für längere Laufzeiten der Kernkraftwerke müssten die Energiekonzerne "in jedem Fall" einen Großteil ihrer daraus resultierenden Gewinne abführen, sagte der ehemalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg der "Süddeutschen Zeitung". Angemessen sei ein Anteil von "mindestens 50 Prozent" der zusätzlich erwirtschafteten Überschüsse. Die Kraftwerke seien steuerlich längst abgeschrieben und damit besonders rentabel. Ob sie ihre Teilgewinne über eine Brennelementesteuer oder über eine mit den Konzernen ausgehandelte Abgabe abführten, sei nicht entscheidend, fügte Oettinger hinzu.
Nach Ansicht von EU-Kommissar Oettinger müssen die Energiekonzerne auf jeden Fall zahlen.
Der Kommissar warf der Bundesregierung allerdings zugleich vor, über die Atomdebatte andere zentrale Energieprojekte zu vernachlässigen. "Das Energiekonzept der Bundesregierung kann nicht allein aus der Entscheidung über die Verlängerung der Laufzeiten bestehen", sagte Oettinger, der selbst Ende des Jahres ein EU-Energieprogramm vorlegen will.
Schäuble beharrt auf Haushaltssanierung
Im Streit um die Verwendung der erwarteten 2,3 Milliarden Euro pochte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble im ZDF wiederholt auf einen klaren Vorrang für die Haushaltskonsolidierung. Daran habe es nie einen Zweifel gegeben, sagte er. Schäuble stimmt in diesem Punkt mit Merkel überein.
Steuergerechtigkeit bei Konzernen und Bürgern
Bundesumweltminister Norbert Röttgen will mit dem Geld auch regenerative Energien fördern. Ungeachtet dieses Streitpunkts innerhalb der Regierung stellte er im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" klar, dass an dem Milliardenbeitrag für die Stromkonzerne nicht zu rütteln sei und die Summe Anfang September beschlossen werde.
Fordert eine genaue Erklärung der Konzerne, warum sie angeblich die Steuer nicht zahlen können: Umweltminister Röttgen
Nachdem E.on und RWE für das erste Halbjahr einen Gewinn von zusammen mehr als neun Milliarden Euro ausgewiesen hätten, müssten die Konzerne "zumindest sehr genau erklären, warum sie eine Steuer nicht schultern können, zumal damit auch die Folgen ihres eigenen Tuns bezahlt werden", etwa die Sanierung des maroden Endlagers Asse.
Zudem wies Röttgen darauf hin, dass die Politik "mächtige Unternehmen gerade auch im Steuerrecht so wie die normalen Bürger behandeln" müsse. Deshalb dürfe der Staat "grundsätzlich nicht mit einzelnen Unternehmen einen Deal machen". Zwar könne auch ein Vertrag "eine ordentliche Lösung sein", doch hänge dies sehr von den Einzelheiten ab.
Restlaufzeitverlängerung von nur 28 Monaten empfohlen
Im Streit um die Verlängerung der AKW-Laufzeiten gehen Verfassungsrechtler aus dem Bundesjustizministerium von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) laut "Spiegel" unterdessen davon aus, dass die Laufzeiten ohne Beteiligung des Bundesrats nur um zwei Jahre und vier Monate verlängert werden dürfen.
Im Mittelpunkt des Streits steht die Frage, welche längere Laufzeit verfassungsrechtlich unangreifbar ist, ohne dass der Bundesrat zustimmen muss, in dem Schwarz-Gelb keine Mehrheit mehr hat. Damit stellen sich die Juristen auch gegen eine Bewertung des Bundesinnenministeriums, das von maximal zehn Jahren ausgeht. Weite Teile der Union und die großen Stromkonzerne wollen sogar eine Laufzeitverlängerung von mehr als 15 Jahren durchsetzen.
RWE-Chef: Kein Angriff auf die Kanzlerin
Während mehrere Politiker von SPD und Grünen Merkel vorhielten, sich von der Atomlobby regieren zu lassen, wehrte sich RWE-Vorstandschef Jürgen Großmann gegen den Vorwurf, die Kanzlerin mit einer Anzeige attackiert zu haben. "Das ist kein Fehdehandschuh. Hier passiert nichts, was auf den Widerstand der Bundeskanzlerin trifft", sagte er der Tageszeitung "Die Welt".
Großmann ist Mitinitiator einer Zeitungsanzeige von 40 Topmanagern der Energiebranche gegen einen Ausstieg aus der Atomenergie und eine Brennelementesteuer aus. Die Anzeige war am Freitag veröffentlicht worden und sorgte bundesweit für Aufregung auf dem politischen Parkett .