Wachstum um - fast - jeden Preis Amazon enttäuscht seine Anleger
Der weltgrößte Onlineversand Amazon hat im zweiten Quartal zwar 23 Prozent mehr Umsatz erzielt - umgerechnet rund 14,3 Milliarden Euro. Doch das Unternehmen schreibt rote Zahlen: Unterm Strich stand ein Minus von umgerechnet rund 94 Millionen Euro - unter anderem, weil Amazon massiv in neue Produkte und Dienste investiert. Und die Aktionäre müssen sich auf noch deutlich größere Verluste gefasst machen.
Sogar Amazons Finanzchef schien kurz schlucken zu müssen, als er in der Telefonkonferenz mit Börsenanalysten die Zahlen vortrug: Auf 126 Millionen Dollar, umgerechnet rund 94 Millionen Euro, bezifferte Tom Szkutak den Quartalsverlust.
Nun sind es die Amazon-Aktionäre gewohnt, dass das Unternehmen zwar kräftig wächst, dabei aber kaum Gewinn und manchmal auch Verluste macht. Doch im vorigen Jahr betrug das Minus in den Monaten von April bis Juni überschaubare fünf Millionen Euro - es hat sich also fast verzwanzigfacht. Den Grund nennt Amazon selbst: Massive Investionen, zum Beispiel in neue Produkte.
Neue Produkte, viele Investitionen
Im April kam Fire TV auf den Markt, eine Box, um Amazons Online-Videos auf den Fernseher zu bringen - sie soll mehr Kunden dazu bewegen, den Premium-Service Amazon-Prime zu abonnieren. Und gerade jetzt werden auch die ersten Fire Phones ausgeliefert, ein hauseigenes Smartphone, das es dem Besitzer besonders einfach machen soll, noch mehr Waren zu bestellen. Die Entwicklung von Fire TV und Fire Phone hat natürlich eine Menge Geld gekostet. Und: Sechs neue Logistikzentren habe man eröffnet, erläutert Finanzchef Szkutak, außerdem seien 15 neue Sortierzentren angekündigt. Szkutak: "Die Sortierzentren helfen uns, näher an die Kunden heranzukommen - damit können wir die Ware schneller ausliefern, oft am selben Tag und sogar sonntags - das ist in den USA enorm wichtig."
Wachstum um - fast - jeden Preis - nach diesem Motto führt Amazon-Gründer Jeff Bezos sein Unternehmen seit zwanzig Jahren. Und auch in diesem Quartal stieg der Umsatz im Vergleich zum Vorjahr um satte 23 Prozent auf umgerechnet mehr als 14 Milliarden Euro. Doch das werde wohl nicht so bleiben, erklärt Cory Johnson, Wirtschaftsjournalist beim US-Fernsehsender Bloomberg. Fürs nächste Quartal erwarte Amazon selbst nur ein Plus von 17 Prozent, das Wachstum verlangsame sich also stetig - in seinen Augen keine guten Nachrichten. "Zudem wagt sich Amazon auf neues Terrain vor", ergänzt Johnson, "und steckt umgerechnet 75 Millionen Euro in die Produktion eigener Serien, um weitere Kunden anzulocken. Fürs nächste Quartal rechnet Amazon sogar mit einem Verlust von umgerechnet bis zu 600 Millionen Euro."
Der Chef nimmt erst gar nicht Teil
Man werde weiter hart daran arbeiten, Amazon noch kundenfreundlicher zu machen, ließ Bezos über die Amazon-Webseite verlauten. An der Konferenzschalte nimmt er jedoch im Gegensatz zu vielen anderen Firmenchefs gar nicht Teil - und spart sich so die direkte Konfrontation mit den bohrenden Fragen der Analysten. Dass die wie mancher Anleger mit diesen Zahlen nicht zufrieden waren, zeigt sich am Aktienkurs: Nachbörslich gab die Amazon-Aktie deutlich nach. Zeitweise verlor sie ein Zehntel ihres Werts.
A.B. Mendez vom Finanzdienstleister KCG sieht Jeff Bezos dennoch auf dem richtigen Weg: "Er hat vor 15 Jahren mit dem Verkauf von Büchern übers Internet angefangen, seitdem hat er die Produktpalette massiv erweitert - und er navigiert sein Unternehmen durch den Übergang von physischen zu Online-Medien. In den USA läuft ein Drittel des gesamten E-Commerce-Umsatzes über Amazon. Bezos ist ein Visonär - und seine Firma hat im Markt eine einzigartige Stellung."
Wachstum um - fast - jeden Preis - wer Amazon-Aktien hält, sollte sich mit dieser Strategie inzwischen angefreundet haben. Um Jeff Bezos von seinem eisernen Kurs abzubringen, müsste schon mehr daherkommen als ein nur eine verhagelte Quartalsbilanz.