Emissionsfreie Luftfahrt "Jetzt ist es an der Zeit"
Mitten in der Corona-Krise, die die Luftfahrtbranche lähmt, hat Airbus drei neue, wasserstoffbetriebene Flugzeugmodelle vorgestellt. Im Interview mit tagesschau.de erläutert Technik-Chefin Vittadini die Konzernstrategie.
tagesschau.de: Was genau beinhaltet die Konzeptstudie, die Airbus jetzt vorstellt?
Grazia Vittadini: Heute ist ein historischer Moment für die kommerzielle Luftfahrt. Wir haben heute der Öffentlichkeit zum ersten Mal weltweit drei Konzeptflugzeuge vorgestellt, die wir "ZEROe" nennen, das steht für "zero emissions". Alle Drei werden in unterschiedlicher Konfiguration mit Wasserstoff betrieben. Einmal ein Turbofan-Design, das mit Verbrennung von Wasserstoff statt Kerosin betrieben wird. Das ist typisch für Interkontinentalflüge. Dann ein Turbopropeller-Design für Kurzstreckenflüge, das in modifizierten Gas-Turbinen ebenfalls Wasserstoff nutzt. Und als letztes ein "Nur-Flügel-Design" ("Blended-wing body-Design"), das mit einer breiten Kabinenanordnung ideale Optionen für die Speicherung und Verteilung von Wasserstoff anbietet. Der gemeinsame Nenner lautet aber Wasserstoff - ein Technologiesektor, der für uns sehr vielversprechend ist und an dem wir schon lange forschen. Die letzten Entwicklungen erlauben uns nun zu sagen: Wir werden 2035 mit dem ersten emissionsfreien Flugzeug auf den Markt kommen.
tagesschau.de: Warum setzt Airbus so klar auf Wasserstoff? Was ist mit anderen Antriebsarten?
Vittadini: Wir forschen an mehreren Technologien gleichzeitig. Aber Wasserstoff bietet als einziges an, dass wir nicht nur CO2 reduzieren können, sondern auch andere Effekte wie Stickoxide. Die große Aufmerksamkeit gehört heute nur CO2, aber für uns sind in der Umwelt auch andere Emissionen wichtig. Deshalb ist Wasserstoff vielversprechend - und auch nichts Neues in der Luftfahrt. Wir kennen schon die Tupolew 155, die mit Wasserstoff betrieben wird. Airbus selbst hat schon am Cryoplane gearbeitet, ein europäisches Projekt, bei dem Airbus Deutschland eine führende Rolle hatte. Da haben wir in der Entwicklung viel gelernt. Jetzt ist es an der Zeit, uns Schritt für Schritt, aber immer schneller, der Marktreife anzunähern.
tagesschau.de: Der Zeithorizont ist 2035, eigentlich eine lange Zeit, aber für die Entwicklung von Flugzeugen eher kurz. Warum kommt Airbus gerade jetzt mit diesen Konzeptstudien heraus und setzt sich selbst unter Druck?
Vittadini: Tatsächlich, die Planung ist sehr herausfordernd. Wir glauben aber fest, dass es keine Wahl gibt. Nicht zuletzt durch die Corona-Krise liegt der Akzent auf unserer Gesundheit, auf unserer Umwelt. Es wäre blind, diese Impulse, die gesellschaftlich, aber auch politisch gesetzt werden, nicht zu betrachten. Es kann nicht mehr nur um Profitabilität gehen, sondern sie muss verbunden sein mit Aufmerksamkeit unserer Umwelt und unserer Gesellschaft gegenüber.
tagesschau.de: Die Konzeptstudien sind erstmal nicht auf die Langstrecke ausgerichtet. Welche Lösungen strebt Airbus hier an?
Vittadini: Das Turbofan-Konzept ist auch für interkontinentale Flüge tauglich. Unser Ziel ist also, jetzt die Grundsteine zu legen, damit wir später unsere komplette Airbus-Produktpalette einbeziehen können. Gleichzeitig werden wir die Produktion synthetischer Kraftstoffe etwa durch die Kombination von Wasserstoff und CO2 angehen. Wenn der Wasserstoffanteil hier "grün" ist, also mit erneuerbaren Energiequellen erzeugt wird, dann ist das extrem interessant, denn für den nachhaltigen Flug-Treibstoff ziehen wir CO2 aus der Luft. Unsere Triebwerke und Systeme an Bord der Flieger sind heute bereits zertifiziert, solche synthetischen Treibstoffe bis zu 50 Prozent einzusetzen. All unsere Beluga-Flüge (Airbus-Großraum-Transporter, Anm. d. Red.) und auch Flugzeuge, die wir an Kunden ausliefern, fliegen heute schon mit einem Anteil von Bio- oder synthetischen Kerosinstoffen. Da könnten wir schnell auch auf 100 Prozent kommen. Das würde uns helfen, die Emissionen auch auf Langstreckenflügen deutlich zu senken. Da muss aber auch die Öl- und Gasindustrie viel investieren, um uns das zu ermöglichen.
tagesschau.de: Für wasserstoffbetriebene Flugzeuge bedarf es nicht nur der Entwicklung der Maschinen, sondern auch der nötigen Infrastruktur und der enormen Wasserstoffmengen, um die Flugzeuge zu versorgen. Kann so etwas in 15 Jahren bereitstehen?
Vittadini: Das ist unser Ziel. Deshalb wollen wir mit so einem Tag wie heute auch einen Aufruf an die gesamte Industrie senden, dass wir an einem Strang ziehen müssen. Dabei geht es auch um Infrastruktur. Es gibt viele Flughäfen, wo Wasserstoff heute schon präsent ist - Heathrow, Berlin, glaube ich und Paris - er wird aber nur für Autos benutzt, nicht für Flugzeuge. Jetzt müssen wir das so hinbekommen, dass die Kosten unseren Kunden erlauben werden, wettbewerbsfähig auch nachhaltig zu fliegen.
tagesschau.de: In der Automobilbranche und auch in der Raumfahrt treibt Elon Musk die alten Platzhirsche vor sich her - auch, weil seine Entwickler vieles ganz neu denken. Google und andere machen sich bereit, das autonome Fahren anzugehen. Fürchten Sie, dass auch in der Passagierluftfahrt neue Akteure von außen kommen und Airbus oder auch Boeing mit ganz neuen Konzepten und schneller Entwicklung unter Druck setzen, weil sie Dinge ganz neu und anders denken?
Vittadini: Es ist uns sehr wohl bewusst, dass manchmal Wettbewerb aus ganz unvorhergesehenen Ecken kommt. Da halten wir natürlich Ausschau. Was aber die Luftfahrt angeht, so gibt es hier Zertifizierungen und Standards, die es uns erlaubt haben, die Zahl der Unfälle in den vergangenen Jahren drastisch zu senken. Neue Technologien in ein Flugzeug zu integrieren, ist schon eine Disziplin für sich, die neue Wettbewerber nicht unbedingt meistern. Wir werden die Herausforderung, emissionsfreies Fliegen bis 2035 auf den Markt zu bringen, nicht allein schaffen. Wir sind da offen und kooperieren mit anderen Industriepartnern, Start-ups und auch im Rahmen europäischer Programme, die unterschiedliche Akteure zusammenbringen.
So könnte ein Wasserstoff getriebener Nurflügler aussehen
tagesschau.de: Airbus-Konzernchef Guillaume Faury hat die nötigen Investitionen mit mehreren zehn Milliarden Euro beziffert. Gleichzeitig steckt die Luftfahrtbranche in einer nie dagewesenen Krise durch Corona und muss Innovationen auch bei den klassischen Antrieben schaffen, um den Verbrauch zu senken. Wie kann das alles auch finanziell gleichzeitig gelingen?
Vittadini: Unsere modernsten Flugzeuge wie der A320neo oder der A350 sind bereits wesentlich leistungsfähiger, wenn es darum geht, mit reduzierten Emissionen zu fliegen, als die älteren Modelle. Unterschiedliche Förderprogramme unserer Kern-Staaten und auf europäischer Ebene unterstützen unsere Kunden, ihre Flotten zu erneuern. Durch unterschiedliche Forschungsrahmen, die uns in Frankreich, Deutschland oder auch in Spanien, England oder auf europäischer Ebene angeboten werden, sowie unterschiedliche Konjunkturprogramme, glauben wir weiter an Themen arbeiten zu können, die so wichtig sind wie das emissionsfreie Fliegen.
Das Interview führte Marcel Wagner, ARD-Studio Paris