Wetterthema Die Wellen von Nazaré
In den vergangenen 20 Jahren hat ein Ort in Portugal einen hohen Bekanntheitsgrad erlangt. Dort wurden immer wieder Surfrekorde aufgestellt. Woran liegt das?
Jeder, der schon einmal am Meer war, kennt sie, die Brandung. Sie entsteht in erster Linie durch den Wind. Dabei ist entscheidend, wie stak der Wind weht und wie weit die Strecke ist, die er über dem Wasser zurücklegt. Diese Strecke wird auch Wirkweg oder Fetch genannt. Sie ist an einem Binnensee recht kurz. Trotzdem kann man bei einem Orkantief selbst an kleineren Baggerseen manchmal Wellen von 10 bis 20 Zentimetern Höhe beobachten. Anders sieht es an größeren Seen aus. Der Fetch ist am Bodensee zwischen Konstanz und Bregenz bei passender Windrichtung fast 50 Kilometer. Eine Sturmlage mit einem Mittelwind der Stärke 8 erzeugt hier Wellen von 2 Metern Höhe. Auf dem offenen Meer sind natürlich deutlich höhere Wellen möglich. Im Bereich der großen Winterorkane kommen auf dem Nordatlantik windgetriebene Wellen von 10 bis 15 Metern Höhe vor. Diese können von ihrem Entstehungsort einige hundert Kilometer wandern und Küstenabschnitte treffen, an denen es nicht sonderlich windig ist. Wasserwellen, die bereits aus ihrem Entstehungsgebiet herausgelaufen sind, nennt man Dünung (im Englischen: swell). Die Wellen im Entstehungsgebiet sind recht ungeordnet. Bei der Dünung sind sie dann nicht mehr so hoch wie im Ursprungsgebiet, aber gleichmäßiger in ihrer Wellenlänge, Periode und Verlagerungsrichtung. Die Periodendauer ist bei der Dünung gegenüber den Wellen im Entstehungsgebiet erhöht.
Nazaré, Portugal, ist bekannt für seine hohen Wollen. Durch besondere Gegebenheiten des Meeresbodens und der Küstenform sind die Wellen vor Ort dort oftmals dreimal so hoch wie es die eintreffende Dünung alleine erwarten ließe. Nördlich des Ortes ist der Meeresboden relativ flach, während sich südlich davon ein Tiefseegraben befindet. Wellen, die optimalerweise aus West bis Nordwest eintreffen, laufen im flachen Wasser langsamer als im Nazaré Canyon. Im Übergangsbereich der verschieden tiefen Wasserregionen werden die Wellen in ihrer Laufrichtung verändert. Sie laufen dann gegeneinander und überlagern sich positiv. Zusätzlich sorgt die Form des Strandes für eine Erhöhung der Wellen. Das Wasser läuft vom Strand nördlich des Ortes, vom Praia do Norte, nach Südwesten ins offene Meer zurück. Es strömt damit den herankommenden Wellen entgegen, wodurch sich diese weiter aufbauen. Die genannten Effekte der Wellenerhöhung greifen im Wesentlichen erst ab einer Wellenperiode von mindestens 14 Sekunden. Da sich die Wellenperiode mit der Laufstrecke der Wellen aus ihrem Ursprungsgebiet heraus erhöht, ist Dünung geeigneter als die Wellen eines nahe an Portugal vorbeiziehenden Orkantiefs, obwohl letztere auf offener See höher wären.
Vom 21. bis 23 Februar 2024 zog ein umfangreiches Sturmtief mit dem internationalen Namen LOUIS über den Nordatlantik. Sein Sturmfeld reichte von Island bis zur Biskaya. Die Dünung erreichte Nazaré am 23. und 24. Februar 2024. Die auf offener See erwartete Wellenhöhe lag vor Portugal bei 6 Metern Höhe. Bei Nazaré türmten sich die Wasserberge Dank der lokalen Gegebenheiten sehr viel höher auf, wie die obigen Fotos zeigen. Die Fachwelt diskutiert im Augenblick sogar, ob am 24. Februar ein neuer Rekord für die höchste weltweit jemals gesurfte Welle aufgestellt wurde. Ein Vergleich zwischen der Größe der Surfer und der Wellen auf den gezeigten Fotos lässt die Dimension der Wellen erahnen. Den bisherigen Weltrekord für die höchste jemals gerittene Welle hält der Deutsche Sebastian Steudtner. Er wagte sich am 29. Oktober 2020 bei Nazaré in eine 26 Meter hohe Wasserwand. Sieben der bisher zehn weltweit höchsten gesurften Wellen traten in Nazaré auf.