Interview

60 Jahre Goethe-Institut "Kultur darf keine Kompromisse eingehen"

Stand: 05.07.2011 00:01 Uhr

1951 gründeten sechs Lehrer einen Verein für Deutsch-Unterricht. Heute - nach 60 Jahren - gibt es weltweit 149 Goethe-Institute. Während es früher immer wieder Streit mit der Politik gab, gehe es heute eher um ausreichende Mittel für die Kulturarbeit im arabischen Raum, erklärt Institutspräsident Lehmann.

tagesschau.de: Das Goethe-Institut wurde als privater Verein gegründet, heute ist das Institut eng an das Auswärtige Amt gebunden. Deutsche Außenpolitik ist ja von Diplomatie und der Suche nach Kompromissen geprägt. Kultur ist im Gegensatz dazu gemeinhin eher rebellisch und provokativ. Wie kann man da einen Mittelweg finden, besonders in autoritär regierten Ländern, in denen Zensur ausgeübt wird?

Lehmann: Entscheidend ist, dass Kultur keine Kompromisse eingeht. Ich bin der Auffassung, dass wir auch in schwierigen Ländern Profil zeigen müssen, sonst könnte man keinen Dialog führen. Dass es immer wieder Diskussionen mit der Politik und dem Auswärtigen Amt geben wird, das gehört zum Geschäft. Wir achten darauf, dass wir Provokation nicht zum Stilelement machen, weil wir uns sonst selbst und andere gefährden. Aber die Ausgestaltung und auch das Ausloten der roten Linie überlässt man uns eigentlich und bislang habe ich keine Situation erlebt, wo wir massiv aneinander geraten wären.

Klaus-Dieter Lehmann Präsident Goethe-Institut

Klaus-Dieter Lehmann ist seit 2008 Präsident des Goethe-Instituts. Zuvor war er sechs Jahre Vizepräsident der Organisation und er leitete die Sitftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin. Lehmann hat Mathematik und Physik studiert und ist auf Bibliothekswissenschaft spezialisiert. Während seiner Karriere leitere er verschiedene große Bibliotheken, darunter die Deutsche Bibliothek. Als Präsident des Goethe-Instituts steht er fast 3000 Mitarbeitern in 149 Instituten weltweit vor.

tagesschau.de: Wie sehr hat die Politik die Arbeit der Goethe-Institute geprägt?

Lehmann: Anfangs gab es durchaus innenpolitische Auseinandersetzungen, weil sich die Gesellschaft in Deutschland erstmal selbst finden musste. So gab es Debatten, als der Schriftsteller Golo Mann 1964 in Rom eingeladen war und über die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie sprach. Den Institutsleitern war aber schon in den 60er-Jahren klar, dass es keine Häppchen-Kultur geben kann. Deutschland kann Ansehen im Ausland gewinnen, wenn man deutlich macht, dass das Land einen Weg hinter sich gebracht hat und es dadurch befähigt, offen mit Themem umzugehen und verschiedene Interpretationen zu ermöglichen. Heute spielt die innenpolitische Seite eigentlich keine Rolle mehr. Es geht um Strategien, die die Bundesrepublik Deutschland und das Goethe-Institut als Kultureinrichtung gemeinsam vertreten können.

tagesschau.de: In den vergangenen Jahren wurden Institute geschlossen. Ab 2007 gab es wieder mehr Geld. Wie ist die Situation im Moment?

Lehmann: Sie ist ausbalanciert. In Zeiten der Großen Koalition haben wir die Erkenntnis durchgesetzt, dass gerade in einer sich stark verändernden Welt mit Friktionen und Krisensituationen eine planbare und mittelfristige Perspektive notwendig ist. 2010 gab es zwar noch einmal eine große Debatte. Aber jetzt haben wir den Eindruck, dass Außenminister Guido Westerwelle die großen Bereiche wie die Sprachpolitik mit der gleichen Intensität sieht. Wir hoffen natürlich, dass wir Zusatzmittel für die erheblichen Aufwendungen bekommen, die wir im Nahen Osten und in Nordafrika leisten wollen.

Radikalisierung in der arabischen Welt

tagesschau.de: Wie gehen denn die Goethe-Institute mit den Veränderungen in der arabischen Welt und den Veränderungen der Machtstrukturen dort um?

Lehmann: Im Nahen Osten und in Nordafrika ist ja noch nicht sicher, dass sich die Demokratie dort entwickeln wird. Wir sehen eine zunehmende Radikalisierung, weil viele Erwartungen nicht erfüllt werden. Die junge intellektuelle kulturelle Gesellschaft möchte natürlich nicht auf der Verliererseite stehen. Insofern ist es für uns außerordentlich wichtig, dass wir mit den Jugendlichen zusammenarbeiten, also Kulturforen und Jugendparlamente organisieren – alles Dinge, die für das Einüben von Demokratie gedacht sind. Unser Vorteil gegenüber vielen anderen ist, dass es schon vor der Revolte eine Vertrauensbasis zwischen den Goethe-Instituten und Mitgliedern der Bewegungen gab. Die müssen wir unbedingt nutzen.

tagesschau.de: Wo setzen sie noch Schwerpunkte?

Lehmann: Wir organisieren zusammen mit der Politik, der Wirtschaft und der Wissenschaft so genannte Deutschlandjahre, bei denen wir die Bundesrepublik vorstellen. Das findet dieses Jahr in Indien, 2012 in Russland und 2013 in Brasilien statt.

Keine Instrumentalisierung der Kultur für die Wirtschaft

tagesschau.de: Indien, Russland und Brasilien gehören ja zu den so genannten BRIC-Staaten, die als Schwellenländer von großer wirtschaftlicher Bedeutung sind. Man könnte dies so interpretieren, als spielten die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands auch für die Kulturpolitik eine große Rolle.

Lehmann: Das würde ich nicht so sehen. Im Gegenteil. Wir gehen überhaupt nicht mit einer wirtschaftlichen Komponente heran, wie es die Amerikaner oder andere Länder tun. Wir helfen in den Schwellen- und Entwicklungsländern, eine kulturelle Infrastruktur zu schaffen. Es ist in Ordnung, wenn die Wirtschaft davon profitiert, dass Deutschland als uneigennütziges Land wahrgenommen wird. Das finde ich auch richtig. Aber eine Instrumentalisierung der Kultur zugunsten der Wirtschaft würde ich ablehnen.

tagesschau.de: Ist die Sprachausbildung und die Vermittlung deutscher Kultur in den Hintergrund getreten während der vergangenen Jahre?

Lehmann: Die Sprachausbildung ganz sicher nicht, die ist sowieso Kernaufgabe. In den vergangenen zweieinhalb Jahren haben wir mehr als 500 Schulen so ausgestattet, dass sie Schüler bis zu Hochschulreife unterrichten können. Das ist ein riesiger Erfolg. Wir haben jetzt ein Angebot einer Schulkette in Indien mit 1000 Schulen, dort überall deutsche Sprachausbildung einzurichten. Das ist ein großer Erfolg unserer Sprachpolitik. Das Gleiche machen wir zurzeit in Russland. Wir beschränken uns also nicht nur auf die Sprachvermittlung an den eigenen Instituten. Wir sehen uns auch als Agentur für den Sprachunterricht auch an Schulen und Universitäten.

Größte Nachfrage nach Deutsch-Unterricht in Russland

tagesschau.de: Sie haben Indien und Russland erwähnt. Wo gibt es die größte Nachfrage nach Deutsch-Unterricht?

Lehmann: Russland ist nach wie vor das Land mit den meisten Deutsch-Lernern. Wir haben enormen Zuwachs in Indien, China und in Südamerika. Und ich freue mich über zwei Entwicklungen in Europa, die so nicht absehbar waren: Wir hatten in Polen und Frankreich sinkende Zahlen. Die konnten wir durch sehr intelligente Initiativen für Sprachunterricht umkehren. In Polen geht es wieder nach oben und in Frankreich konnten wir den Trend zumindest stoppen.

Goethe ist in Europa notwendiger denn je

tagesschau.de: Nun könnte man sagen, Deutschland ist in Europa etabliert, der Ruf ist gut. Braucht man noch Goethe-Institute in Europa?

Lehmann: Man braucht sie natürlich. Es ist eine gefährliche Verengung, wenn man Europa nur als Euro-Land sieht. Damit wird allein das Geld zum Maßstab und nicht wirklich eine Idee von Europa. Wir brauchen ein Gemeinschaftsgefühl. Das kann man nur über zivilgesellschaftliche Dinge, über Nachbarschaft und Ähnliches erreichen. Goethe ist in Europa mehr denn je notwendig.

Das Interview führte Silvia Stöber, tagesschau.de