Expertenbericht zum documenta-Skandal "Ignoranz und Verharmlosung"
Sieben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben den Antisemitismus-Skandal um die documenta untersucht. Ihr Urteil: Weder seien die Vorwürfe überraschend gekommen noch habe sich die Leitung der Kunstschau angemessen damit auseinandergesetzt.
Eine Expertengruppe hat Vorwürfe gegen die Verantwortlichen der documenta fifteen erhoben. "Die Auseinandersetzung mit Antisemitismusvorwürfen und Antisemitismus auf der documenta fifteen war über weite Strecken von Ignoranz, Verharmlosung und Abwehr geprägt", heißt es in dem Abschlussbericht von sieben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, der von der documenta veröffentlicht wurde. Durch diesen unangemessenen Umgang sei die Situation weiter verschärft worden.
"Jüdinnen und Juden mussten erleben, dass sich die documenta trotz aller frühzeitigen Hinweise nur schleppend und in Reaktion auf die öffentliche Skandalisierung mit dem Thema Antisemitismus zu beschäftigen begann - und selbst dann nur mit erheblichem Widerstand", heißt es weiter.
Empfehlungen für zukünftige Schauen
Der Bericht des Gremiums soll bei der Aufarbeitung des Antisemitismus-Skandals helfen. Unter der Leitung der Frankfurter Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff sollten die Experten die fraglichen Werke auf antisemitische Botschaften prüfen, den Umgang der Verantwortlichen analysieren und Empfehlungen aussprechen. Eingesetzt wurde die Runde vom Land Hessen und der Stadt Kassel, den Gesellschaftern der documenta.
Die Expertinnen und Experten sprechen für zukünftige documentas Empfehlungen aus: Beschwerden müssten künftig so bearbeitet werden, dass "eine frühzeitige und professionelle Bearbeitung von Konflikten" möglich werde.
Die Schau solle sich zudem auf Definitionen für Antisemitismus und andere Formen von Diskriminierung verständigen, "die sich nicht in den Vorgaben des Strafrechts erschöpfen" und Standards für den Umgang damit festlegen. Zudem solle die Rolle der Geschäftsführung gestärkt und geklärt werden, wie sie sich Aufgaben mit der Künstlerischen Leitung aufteilt, und der Bund sollte seine Aufsichtsratssitze wieder wahrnehmen.
Vorwürfe kamen nicht aus dem Nichts
Die Antisemitismusvorwürfe seien nicht überraschend gekommen, heißt es in dem Bericht. Bereits im Vorfeld der documenta seien Stimmen laut geworden, die dem Kuratorenkollektiv Ruangrupa und eingeladenen Gruppen eine Nähe zur antiisraelischen Boykottbewegung BDS vorwarfen. "Der sich lange ankündigende Konflikt um Antisemitismus traf intern auf nur unzureichende Vorbereitungen", heißt es im Bericht.
Die Wissenschaftler gehen auch auf vier Werke ein, die bei der documenta gezeigt wurden. Sie enthalten demnach Codes oder Aussagen, die judenfeindlich sind oder so gelesen werden müssen. Eindeutig antisemitisch seien Aussagen im Werk "People's Justice" des Künstler-Kollektivs Taring Padi und in einer Zeichnung von Naji al-Ali in der Arbeit des Kollektivs "Archive der Frauenkämpfe in Algerien". Die Werke "Tokyo Reels", "Guernica Gaza" und weitere Zeichnungen und Landkarten könnten als israelbezogener Antisemitismus gelesen werden.