Kommentar Warum Tschechiens Chaos auch sein Gutes hat
Von Christina Janssen, Deutschlandradio
Karel Schwarzenberg hat genau das, was man in der Politik oft vermisst: Humor und Selbstironie. "Den Sprengstoff unter unserem Hintern", meint der gerade aus dem Amt geschiedene tschechische Außenminister, "produzieren wir immer selbst."
Tatsächlich könnte sich kein Kabarettist ausdenken, was sich in Tschechien in den vergangenen Wochen abgespielt hat. Da wurde der Premier und amtierende EU-Ratspräsident mit einem Misstrauensvotum gestürzt, dessen Erfolg diejenigen am wenigsten wollten, die es lanciert haben. Die tschechischen Sozialdemokraten standen danach förmlich unter Schock. Ihr Motto: "Wir wollten doch nur spielen ..."
Der EU-Kritiker im Präsidentenpalais freut sich
Die Folgen waren eine ruinierte EU-Ratspräsidentschaft, ein totgesagter Lissabon-Vertrag, ein triumphierender EU-Schreck auf der Prager Burg, Neuwahlen im Oktober und bis dahin ein mausgraues Beamtenkabinett. Eine beeindruckende Bilanz, wenn man bedenkt, dass das alles nicht wirklich ernst gemeint war. Aber Absurdistan wäre nicht Absurdistan, hätte das alles nicht auch sein Gutes.
Es blieb nur der Schulterschluss
Das Chaos war schließlich so groß, dass den beiden maßgeblichen Parteien im Land - Sozialdemokraten und Bürgerdemokraten - nur der Schulterschluss blieb. Nachdem es nicht einmal einen Plan A gegeben hatte, lautete Plan C: Den Image-Schaden für Tschechien begrenzen, den Lissabon-Vertrag retten und den selbst ernannten EU-Dissidenten, Präsident Vaclav Klaus, in die Schranken weisen.
Europa kann aufatmen
Und das ist gelungen. Nach dem Votum für den Lissabon-Vertrag im tschechischen Senat kann nicht nur Tschechien aufatmen, sondern ganz Europa. Der Reformvertrag hat damit eine wichtige Hürde genommen. Jetzt hofft man in Brüssel und andernorts, dass das Prager Ja auch die Iren auf dem Weg Richtung Lissabon beflügeln könnte.
Vor allem aber war die Entscheidung des Senats eine schallende Ohrfeige für Europas schärfsten Kritiker, den erbitterten Lissabon-Gegner Klaus. Wenn er den politischen Eliten seines Landes nun ein historisches Versagen vorwirft, dann zeigt das zweierlei: Klaus selbst ist der lebende Beweis für die These, die postkommunistischen Staaten seien Demokratien ohne Demokraten. Ein Parlamentsvotum zu akzeptieren, ist seine Sache nicht.
Klaus' Partei wendet sich von ihm ab
Zum zweiten offenbart sich nun, dass Klaus an Rückhalt verliert. Die einst von ihm begründete Partei der Bürgerdemokraten hat sich von ihm abgewandt und sich für den pragmatischen Kurs von Mirek Topolanek entschieden. So paradox es klingen mag: Der gestürzte Premier ist der neue starke Mann an der Moldau.
Ein gutes Signal für Europa. Und wenn die Tschechen demnächst wieder einmal Sprengstoff produzieren, ist es nur noch halb so schlimm. Ihre Ratspräsidentschaft ist bald vorbei. Und an Klaus allein wird der Lissabon-Vertrag schon nicht scheitern. Spätestens wenn die Iren zustimmen, will auch Klaus unterschreiben. Dass ein Nationalist wie er diese Entscheidung vom Votum eines anderen Landes abhängig macht, das sagt eigentlich alles.
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