Kindergrundsicherung Jedes Klischee bedient
Die einen gehen davon aus, dass Eltern das Beste für ihre Kinder geben. Die anderen befürchten Missbrauch staatlicher Hilfen. Bei Grünen und Liberalen prallen Menschenbilder aufeinander, die kaum vereinbar sind.
Mehr Kinder aus der Armut herausholen - das war das Ziel, das sich die Ampelparteien im Koalitionsvertrag gesetzt haben. Es bleibt Zukunftsmusik. Deutlich mehr Geld wird es für arme Kinder jedenfalls absehbar nicht geben. Denn bei Grünen und Liberalen prallen Menschenbilder aufeinander, die kaum vereinbar sind. Die einen gehen davon aus, dass Eltern das Beste für ihre Kinder geben, die anderen befürchten Missbrauch.
Beide Seiten haben über Monate mit härtesten Bandagen ums Geld gerungen. Bundesfamilienministerin Lisa Paus blockierte schließlich das Wachstumschancengesetz von Bundesfinanzminister Christian Lindner im Kabinett. Maximale Konfrontation gleich zum Start nach der Sommerpause. Nur großer Druck und vier Krisensitzungen bei Kanzler Olaf Scholz haben überhaupt zum Kompromiss geführt.
Raum für Vorurteile
Am Ende gibt es nur einen Einstieg in das, was die Grünen als wichtigstes sozialpolitisches Projekt der Ampelkoalition bezeichnet haben. Familienministerin Paus wurde geschrumpft: Mit einer Zwölf-Milliarden-Forderung ist die Grünen-Politikerin gestartet, jetzt gibt es 2,4 Milliarden Euro für ihre Herzensangelegenheit. Kaum mehr, als Finanzminister Lindner schon zugesagt hatte.
Dafür wieder so viel Streit? Dass dieses Bild heute an ihr klebt, hat Paus selbst verschuldet. Über Monate hat die Familienministerin nicht deutlich gemacht, wie die Kindergrundsicherung konkret aussehen soll. Trotz breiter Schützenhilfe von Sozialverbänden, Kirchen, Gewerkschaften und auch Wirtschaftsexperten blieb die Ministerin im Ungefähren - und ließ damit Raum für Vorurteile: "Arm sind vor allem Zugewanderte. Wer arbeiten will, muss nicht arm sein. Das Geld kommt gar nicht bei den Kindern an." FDP-Chef Lindner war sich in den vergangenen Wochen nicht zu schade, jedes Klischee über Empfänger staatlicher Hilfen zu bedienen.
Ja, es ist gut, wenn unübersichtliche Leistungen gebündelt werden. Es ist gut, wenn bedürftige Familien auf Ansprüche aufmerksam gemacht werden. Es ist gut, wenn Alleinerziehende und Bürgergeld-Empfänger darauf hoffen dürfen, am Ende mehr von den bisherigen Leistungen zu haben. Aber ein Paradigmenwechsel ist es nicht.
Die Kindergrundsicherung bleibt ein Versprechen
Wie arm arme Kinder bleiben, das hängt am Ende auch von Sozialminister Hubertus Heil ab. Denn im Haus des SPD-Politikers wird im kommenden Jahr das sogenannte Existenzminimum neu bestimmt. Gehört ein Smartphone zum Grundbedarf? Die Berechnungen entscheiden am Ende mit darüber, ob Kinder und Jugendliche mehr Geld bekommen. Für Familienministerin Paus ist das der Rettungsanker für die Kindergrundsicherung: Mehr anerkannte Grundbedürfnisse bedeuten mehr Geld.
Finanzminister Lindner hat schon vorgewarnt: Der Kompromiss von heute - wohlgemerkt ohne Leistungsverbesserungen - sei die letzte größere Sozialreform, die noch in den Haushaltsrahmen der Bundesregierung passe. Ein klares Signal dafür, dass die Verteilungskämpfe in der Ampelkoalition nicht vorbei sind, sondern sogar noch schärfer werden könnten. Vor allem zwischen Grünen und FDP.
Bundeskanzler Scholz hat es geschafft, diesen Konflikt abzuräumen - koste es, was es wolle. Es sieht aber so aus, als habe für ihn das Image der Koalition am Ende mehr gezählt als die Zukunft armer Kinder. Hauptsache kein Streit mehr. Die Kindergrundsicherung bleibt ein Versprechen.
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