Erzwungene Parlamentspause Johnson außer Rand und Band
Die Zwangspause für das Unterhaus markiert einen der schwärzesten Tage der altehrwürdigen britischen Demokratie. Nur ein schnelles Handeln der Opposition kann diesen Putsch von oben noch stoppen.
Boris Johnson zeigt jetzt, aus Biarritz zurück in London, seine rücksichtslose Seite. Die Charmeoffensive, mit der er die Kollegen der G7 umgarnt hatte, der freundliche Besuch in Berlin, die netten Gespräche mit den Repräsentanten der EU - nichts davon ist zu spüren, wenn er sich jetzt das britische Parlament vornimmt, das Aushängeschild der ältesten Demokratie der Welt.
Der Premierminister schickt die Abgeordneten einfach zurück in den Urlaub. Er hindert sie daran, ihre Arbeit zu tun und ihre vornehmste Aufgabe wahrzunehmen: die Regierung zu kontrollieren. Man kann das gut und gern als Putsch von oben bezeichnen - ein Putsch, bei dem auch noch die Queen Beihilfe leisten muss.
Das Parlament sollte das letzte Wort haben
Großbritannien ist seit Monaten in einer schweren politischen Krise, hin- und hergerissen zwischen Austritt und Verbleib in der Europäischen Union. Das Land steht kurz vor einem Crash heraus aus der EU ohne ein einvernehmliches Abkommen zwischen London und Brüssel, das die schweren wirtschaftlichen Folgen für das Land abfedern könnte. Es ist ein Land, das in der Mitte gespalten ist, zwischen Leavern und Remainern, zwischen denen, die raus aus der EU wollen, und denen, die das für einen kardinalen Fehler halten. Ein Land vor der schwerwiegendsten Entscheidung seit dem Entschluss, den Kampf gegen Hitler aufzunehmen und in den Zweiten Weltkrieg zu ziehen.
Die Situation erfordert eine starke Demokratie und ein Parlament, das eng in die anstehenden Entscheidungen einbezogen wird - mit den vom Volk gewählten Abgeordneten, die das letzte Wort haben müssen. Und nicht einem Premierminister das letzte Wort überlassen, der sich noch keiner Wahl durch die 66 Millionen Briten gestellt hat, sondern lediglich durch das Votum der 160.000 Mitglieder seiner konservativen Partei ins Amt gekommen ist, die nicht einmal über die Mehrheit im Unterhaus verfügt.
Institutionen nicht mehr fit für die Gegenwart
Johnsons Entscheidung, das Parlament für Wochen lahm zu legen, markiert deshalb einen der schwärzesten Tage in der Geschichte des Vereinigten Königreiches. Sie zeigt aber auch, dass die Institutionen dieser ehrwürdigen Demokratie nicht mehr fit sind für die Herausforderungen der Gegenwart. Das Land hat keine geschriebene Verfassung, das Parlament kennt Traditionen, aber keine klar geregelte Geschäftsordnung.
In normalen Zeiten mag das noch leidlich funktionieren. In diesen Krisenzeiten aber fährt so die Demokratie mit Vollgas an die Wand: mit einem Premierminister auf dem Fahrersitz, der keine Bremse kennt, sondern nur den Austritt aus der EU am 31. Oktober, egal wie. Mag das Land dabei vor die Hunde gehen - Hauptsache, die konservativen Brexiteers haben ihren Spaß.
Kann die Opposition Johnson noch stoppen?
Es bleibt die Hoffnung, dass die Opposition, zusammen mit einigen konservativen Abgeordneten, die nicht alle Vernunft verloren haben, den rasenden Premier noch stoppen können. Vielleicht auch mit der Hilfe der obersten Richter, die schon einmal dafür gesorgt haben, dass die Abgeordneten beim Brexit-Prozess mitwirken können.
Johnson hat allerdings die Zeit auf seiner Seite: Dem Parlament bleiben nur wenige Tage, um den außer Rand und Band geratenen Premier zu stoppen.
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