Missbrauch in der Evangelischen Kirche Jetzt müssen Taten folgen
Die Missbrauchsstudie in der Evangelischen Kirche darf nur der Anfang sein. Zur proaktiven Aufarbeitung der Vorfälle muss die Kirche nun die Vorschläge der Forscher umsetzen.
Lange - zu lange - mussten Betroffene auf diesen Tag warten. 14 Jahre nach dem erschütternden Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche gibt es zum ersten Mal eine Untersuchung für die evangelische Kirche und Diakonie. Warum so spät? Weil man sich lange für die "bessere Kirche" hielt, fortschrittlicher. Den Zölibat, eine steile Hierarchie, eine veraltete Sexualmoral - all diese "katholischen" Risikofaktoren gibt es ja im Protestantismus nicht.
Und dennoch - das wissen wir nun - erlitten und erleiden auch hier viel zu viele Menschen Gewalt und Übergriffe. In evangelischen Kindergärten, Jugendgruppen oder Erziehungsheimen wurde Macht missbraucht, wurde eine Seelsorgebeziehung ausgenutzt, wurden Taten unter den Teppich gekehrt.
Wer nicht mitspielt, wird ausgeschlossen
Beim Umgang mit Missbrauch stellen die Forscher der Evangelischen Kirche ein Armutszeugnis aus. "Mangelhaft" seien die Aufarbeitung und die Übernahme von Verantwortung. Note 5. Wo es angezeigt ist, Täter zur Rechenschaft zu ziehen, entwickelt die Evangelische Kirche einen "übermäßigen Wunsch nach Harmonie". Disziplinarverfahren gegen Beschuldigte hatten allzu oft den Zweck, einen Fall geräuschlos abzuschließen: Versetzung in den Ruhestand.
Auf Hilfe und Verständnis dürfen Betroffene nur dann hoffen, solange nicht eine Beschädigung der Institution droht. Vergebung wird eingefordert. Frei nach: "Wir sind doch alle Sünder..." Wer da nicht mitspielt, wird ausgeschlossen.
Diese Untersuchung ist auch eine theologische Anfrage an die Evangelische Kirche. Was ist das für eine Gemeinschaft, in der Versöhnung vor der Gerechtigkeit kommt, wo es Vergebung ohne Reue gibt, und wo die Täter mehr zählen als die Opfer?
Eine Frage der Einstellung
Diesen Fragen muss sich die Evangelische Kirche nun stellen. Den deutlich vernehmbaren Worten der Erschütterung müssen Taten folgen. Da haben die Forscher klare Hinweise gegeben.
Da ist etwa eine unabhängige Anlaufstelle für Betroffene. Die Evangelische Kirche hat komplizierte Strukturen: Landeskirchen, Trägereinrichtungen, Vereine, Gemeinden. Da verlieren Betroffene schnell den Überblick. Da wird Verantwortung gerne von einer zur nächsten Stelle weitergereicht.
Dann muss es eine vollständige Erhebung der Daten geben. Den Forschern konnte die Evangelische Kirche nur die Disziplinarakten der Pfarrer zur Verfügung stellen. Deshalb sprechen sie bei den gesicherten Fallzahlen nur von der "Spitze der Spitze des Eisbergs". Um ein vollständiges Bild zu erhalten, müssen alle Akten durchforstet werden: die Personalakten, die Bestände in den Gemeinden.
Es ist eine Frage der Einstellung. Wenn die Kirche endlich ihre Missbrauchsgeschichte proaktiv recherchiert und nicht nur reagiert, wenn sie Verantwortliche benennt und wenn schonungslose Aufarbeitung wichtiger ist als das eigene Image - dann, nur dann, wird sie wieder glaubwürdig.
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