Kommentar Auf Argumente kam es nicht mehr an
Nun ist es endlich vorbei. Die Iren einfach noch mal über den Lissabon-Vertrag abstimmen zu lassen - das war ein unwürdiges und undemokratisches Schauspiel, dass der Vertrag nicht verdient hat. Denn er könnte helfen, das eigentliche Problem zu entschärfen: die Distanz zwischen Brüssel und den Bürgern, hofft Karin Brand.
Von Katrin Brand, WDR
Gut, dass es vorbei ist. Selbst der glühendste Freund des Vertrags von Lissabon müsste sich angesichts des unwürdigen Schauspiels, das die Europäische Union da veranstaltet hat, inwendig gekrümmt haben . Denn das Oberlehrerhafte "Ihr habt das doch gar nicht so gemeint, nicht wahr?", mit dem die Iren nach ihrem Nein nun erneut zur Abstimmung geschickt wurden, ist für jeden Demokraten peinlich. Abstimmen, bis es passt: Das geht gar nicht.
Die kleinen Mitglieder haben Sorgen - die großen auch
Dabei wären die Sorgen der Vertragsgegner durchaus ernst zu nehmen gewesen. Sie fürchten, dass ihr kleines Land durch neue Mehrheitsverhältnisse und neue Abstimmungsregeln in der großen EU noch kleiner wird. Eine berechtigte Sorge, der allerdings einiges entgegengehalten werden kann. Das zum Beispiel das kleine Irland – bezogen auf seine Einwohnerzahl - sehr viel mehr Abgeordnete ins Europaparlament schickt als etwa Deutschland. Und dass die Regierungen der großen Staaten zu Hause gefragt werden, warum sie soviel Geld nach Brüssel überweisen und so wenig zurück bekommen. Die Erklärung für beides ist dieselbe. Weil Europa solidarisch ist und seine Kleinen und nicht so Reichen besonders schützt.
Weiter Skepsis in Tschechien und Großbritannien
Aber auf Argumente kam es am Ende gar nicht mehr an. Der Vertrag sollte nur noch verabschiedet werden, irgendwie, damit es endlich weiter gehen kann in der EU. Kann es das? Da sind jetzt erstmal die beiden noch fehlenden Unterschriften aus Polen und Tschechien einzuholen. Wer weiß, was sich Tschechiens Präsident Vaclav Klaus noch einfallen lässt, um das zu verhindern. Der Euroskeptiker auf der Prager Burg vergleicht die EU gerne mit der UdSSR und wird vom britischen Oppositionsführer David Cameron umworben. Sollte Cameron im Frühjahr zum Regierungschef gewählt werden, will er Großbritanniens Zustimmung zum Vertrag rückgängig machen.
Die wirklich wichtige Frage ist eine andere
Das ist alles fürchterlich unappetitlich und lenkt von der eigentlich wichtigen Frage ab: Wie steht Europa wirklich da im Ansehen seiner Bürger? Nicht so gut. Immer wenn das Volk gefragt wird, geht es auf Distanz zur EU. Bei Volksabstimmungen sagt es nein, bei der Europawahl bleibt es zu Hause. Die EU ist zu groß, zu unübersichtlich, ist als Heimat eben nicht erkennbar.
Der neue Vertrag, wenn er jetzt kommt, bietet ein paar Möglichkeiten, das zu verändern, zum Beispiel mithilfe des nun gestärkten Europaparlamentes, das ein faszinierender Ort, ein weltweit einmaliges demokratisches Labor ist. Und vielleicht stiftet ja auch ein neuer EU-Präsident ein bisschen mehr Identifikation.
Zu lange hat die Abstimmung über den Vertrag die weitere Diskussion über ihn verhindert. Dass das hoffentlich vorbei ist, ist die beste Nachricht des Tages. Die Euroskeptiker haben einen besonders guten Grund, sich zu freuen. Der Vertrag schafft zum ersten Mal die Möglichkeit, aus der EU auszutreten.
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