Ursula von der Leyen (l-r), Wolodymyr Selenskyj und Charles Michel gehen während des EU-Gipfels nebeneinander.
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EU für Beitrittsverhandlungen Ein vor allem symbolischer Beschluss

Stand: 15.12.2023 16:48 Uhr

Die EU will Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine aufnehmen. Der Gipfelbeschluss untermauert einmal mehr die Absicht, Russland die Grenzen aufzuzeigen. Viel mehr allerdings auch nicht.

Was ist auf diesem Vorweihnachts-Gipfel in Brüssel eigentlich passiert? Es ist ja viel davon die Rede, dass es etwas Historisches sei. Sicher: Dass die Europäische Union den Weg nun frei gemacht hat für Beitrittsverhandlungen mit der kriegsgeschüttelten und von Russland mit unverminderter Brutalität weiterhin attackierten Ukraine, ist ein Schritt. Und dass Ungarns Regierungschef Viktor Orban diesen Schritt nicht blockiert hat, kam für viele tatsächlich überraschend.

Allerdings - und da sollte man ehrlich sein: Einer, um den die EU in keinem Fall mehr herumgekommen wäre. Zu groß waren die Versprechen, zu stark die Zusage, so lange an der ukrainischen Seite zu stehen wie nötig. Und ja: Schon kurz nach Ausbruch des Krieges war es EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen gewesen, die öffentlich erklärt hatte: "Wir wollen sie drin haben", die Ukraine gehöre zu Europa. Das hat in dem Land zu Recht große Erwartungen geweckt.

Wichtiger Beschluss, aber wenig Konkretes

Insofern ist der jetzige Gipfelbeschluss nicht nur konsequent gewesen, sondern auch notwendig. Um Europas Glaubwürdigkeit nicht zu erschüttern, aber auch um die pro-europäische Stimmung in der Ukraine nicht zu unterlaufen, auf Dauer möglicherweise sogar zum Kippen zu bringen. Was für die Europäische Union gefährlich wäre. Denn letztlich geht es in dieser Situation darum, Russland und seinem Machthaber die Grenzen aufzuzeigen.

Diese feste Absicht hat die EU jetzt einmal mehr untermauert. Viel mehr allerdings auch nicht. Der Gipfelbeschluss bleibt nämlich vor allem symbolisch. Nur deshalb dürfte Orban auf sein Veto verzichtet haben. Kein Wort nämlich darüber, wann die Beitrittsverhandlungen nun wirklich und konkret beginnen, keine Aussage darüber, wie lange sie dauern könnten, ob das Land tatsächlich auch im Kriegszustand EU-Mitglied werden soll oder doch besser erst danach - und vor allem: Nicht der leiseste Hinweis darauf, was das für ein Kraftakt wird für die Staatengemeinschaft und was es für die Bevölkerung der Europäischen Union bedeutet.

Ein Vorgeschmack auf noch mehr Auseinandersetzungen?

Die Ukraine ist ein in großen Teilen vom Krieg gezeichnetes und zerstörtes Land. Mit kaputter Infrastruktur, einem staatlichen System, das nach wie vor nicht frei ist von korrupten Strukturen, einer Ökonomie, deren Rückgrat vor allem die Landwirtschaft ist. Die Ukraine braucht dringend und viel Hilfe - viel Geld. Schon jetzt aber hat die EU alle Mühe, dem Land allein für die nächsten paar Jahre die vergleichsweise überschaubare Summe von 50 Milliarden bereit zu stellen, damit das öffentliche Leben dort nicht völlig zum Erliegen kommt, damit Schulen offen bleiben und Krankenhäuser, damit Renten bezahlt werden.

Viktor Orban aus Ungarn hat zwar die Beitrittsverhandlungen nicht blockiert, die 50 Milliarden Euro aber schon. Das dürfte nur ein Vorgeschmack darauf sein, wie der Streit um die Finanzen in Europa weiter geht, wenn die Ukraine als EU-Mitglied Anspruch auf weit mehr Geld aus Brüssel haben wird. Es liegt nahe, dass dann auch andere sagen werden: Mit uns nicht.

Doch so weit ist es noch nicht. Die Entscheidung für Beitrittsgespräche bleibt zunächst einmal ohne weitere Konsequenzen. Sie zeigt nur, dass die EU es wirklich gut meint. Nicht weniger, aber eben auch nicht mehr. Historisch wird es erst, wenn der Beitritt des großen Landes im Osten Europas wirklich näher rückt. Dann wird diese EU eine andere werden müssen. Eine ganz andere. Und das dürfte noch viele, viele Jahre dauern.

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Holger Beckmann, ARD Brüssel, tagesschau, 08.11.2023 16:15 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 15. Dezember 2023 um 17:00 Uhr.