Annalena Baerbock spricht zum Thema transatlantische Beziehungen zu Studierenden.
Kommentar

Baerbocks Grundsatzrede Versprechen einlösen - auch wenn es wehtut

Stand: 03.08.2022 06:34 Uhr

In einer Grundsatzrede hat Außenministerin Baerbock für die Stärkung des Bündnisses zwischen Europa und den USA geworben. Dieses Versprechen einzulösen, auch wenn es wehtut, sei die transatlantische Bewährungsprobe.

Ein Kommentar von Georg Schwarte, ARD-Hauptstadtstudio

Hannah Arendt. Natürlich Hannah Arendt, die deutsche Philosophin, die dort bis 1975 lehrte, wo Annalena Baerbock jetzt in New York an der New School ihre Grundsatzrede zur transatlantischen Partnerschaft hielt. "Denken ohne Geländer", der Leitsatz der Philosophin Arendt. Denken ohne Geländer - ausgerechnet in Zeiten, wo die Welt nur einen Schritt davon entfernt ist, über die bestehenden Geländer sicher geglaubter Wahrheiten zu fallen und abzustürzen.

Baerbock sagt es anders: Lasst uns Vorurteile vergessen, lasst uns neue Ideen wagen - ohne alte Geländer. Lasst uns den transatlantischen Moment ergreifen, ruft sie Europa, aber vor allem eben auch den USA zu.

Eine Rede für die USA

Es war eine Rede Baerbocks in den USA, für die USA, um auch den Amerikanern zu sagen: Wir Europäer haben verstanden. Wir wollen gemeinsam mit Euch die Reihen schließen und, so Baerbock, eine stärkere unumkehrbare Partnerschaft für das 21.Jahrhundert aufbauen. Mehr ausgestreckte Hand geht nicht.

Und der Bogen, den die Gefühlsrednerin Baerbock spannte, er reichte weit bis in den Mai 1989 zurück. Damals war es der ehemalige US-Präsident George Herbert Walker Bush, der Deutschland und Kanzler Kohl anbot: Lasst uns als Partner die Welt gemeinsam in eine Zeit nach dem Kalten Krieg führen. Jetzt also greift Baerbock diese Idee der Partnership in Leadership auf und bietet für Europa den Amerikanern genau das an: Lasst uns gemeinsam unsere Werte verteidigen. Demokratie. Freiheit. Die Stärke des Rechts gegen das Recht des Stärkeren.

Demokratie ist nie fertig

Klingt nach Poesiealbum? Spätestens seit dem 24. Februar und den ersten toten Ukrainern eher nicht. Und Baerbock blieb nicht theoretisch. Die russischen Gräuel von Butscha, von Irpin, sie könnten in Potsdam passieren. Die Bomben, die jetzt in der Ukraine fallen, sie können uns alle treffen. Putin greift uns nicht in der Theorie an, sollte das wohl heißen. Er führt Krieg gegen unsere Werte. Es sollte das Signal an die amerikanischen Partner sein: Europa ist da. Wir brauchen einander, aber wir brauchen einander als ehrliche Partner.

Sagen was ist, gehört auch zu den Grundsätzlichkeiten, die Baerbock erwähnte. Dass Demokratie kompliziert und anstrengend ist. Dass auch Partner unterschiedlicher Ansicht sein dürfen. Die grüne Außenministerin erwähnte nicht zufällig die Abtreibungsdebatte in den USA, nicht zufällig den Sturm aufs Kapitol. Nicht zufällig den wachsenden Populismus in Teilen Europas, das Erstarken rechter Gedanken in Deutschland. Demokratie ist nie fertig, sagte sie.

Eine Rede über Grundsätzlichkeit

Denken ohne Geländer. Die Grundsatzrede Baerbocks war ein Versprechen. Es einzulösen, auch wenn es weh tut, ist jetzt die transatlantische Bewährungsprobe. Denn eine Grundsatzrede ist eben nur das. Eine Rede über Grundsätzlichkeit. Alles grundsätzlich richtig. 

Hannah Arendt sagte einst, dass man so zu denken anfangen müsste, als wenn niemand zuvor gedacht hätte. Und dann beginnen sollte, von den anderen zu lernen. Zusammen neu denken und dann von einander lernen? Eigentlich eine schöne Vorstellung von Europa und den Vereinigten Staaten.  

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Georg Schwarte, Georg Schwarte, ARD New York, 02.08.2022 20:34 Uhr