Walther Rauff Pinochets deutscher Pate
Als vor 50 Jahren das Militär in Chile gegen Präsident Allende putschte und einen Unterdrückungsapparat aufbaute, spielten deutsche Nazis eine maßgebliche Rolle. Einer von ihnen war Ex-SS-Standartenführer Rauff.
Ein Restaurant an der Hafenpromenade der chilenischen Stadt San Antonio. Zu sehen ist Walther Rauff. Der ehemalige SS-Standartenführer war einer der Hauptverantwortlichen für die Umsetzung des Vernichtungsbefehls gegen die europäischen Juden. Während der Militärdiktatur in Chile war er maßgeblich an der Verfolgung und der Ermordung von Oppositionellen beteiligt.
Das Foto, das Rauff 1976 an seinen Neffen in Kiel schickte, half bei der Verfolgung der Spuren, die er in Chile hinterließ. Ein ehemaliger Mitarbeiter des chilenischen Geheimdienstes DINA mit dem Decknamen Simon erkannte ihn auf Anhieb.
Er hatte ihn im stillgelegten Salpeterbergwerk "Chacabuco" gesehen, mitten in der Atacama-Wüste. Es war im Juli 1973, Simon war Rekrut und musste auf dem Gelände ein Minenfeld verlegen. "Wir bauten ein Konzentrationslager für 1.200 Gefangene. Das war einige Wochen vor dem Putsch". Einer der Befehlshaber war ein Deutscher, er nannte sich "General van Nordenflycht". Simon ist sich sicher: Das ist der gleiche Mann wie auf dem Foto - Walther Rauff.
Vernichtung des "inneren Feindes"
Kurz nach dem blutigen Staatsstreich vom 11. September 1973 wurde Simon in die Hafenstadt San Antonio geschickt. Dort wurde er im Regiment Tejas Verdes als Agent für den neuen Geheimdienst DINA ausgebildet. Ihre Hauptaufgabe war die Vernichtung des "inneren Feindes". Zum Chef des Geheimdienstes ernannte Pinochet seinen Freund Manuel Contreras. Der begrüßte Simon und die anderen Rekruten persönlich. "Er sagte uns, ihr gehört jetzt zur Elite der Armee, eure Aufgabe ist es, den Kommunismus in ganz Lateinamerika auszurotten."
Unter Simons Ausbildern waren einige "Gringos" - Ausländer. Sie hatten einen deutschen Akzent. Einer von ihnen war Cornelius Krieg-Marbeck, der schon im Dritten Reich SS-Ausbilder für Partisanenbekämpfung und Verhörtechniken war.
Rauff war nicht der einzige ehemalige NS-Täter, der nach dem von General Augusto Pinochet geführten Putsch eine neue Chance bekam. Nach 1945 waren etwa 1.000 Offiziere von SS, SA und Gestapo nach Chile entkommen. In der DINA wurden sie "unsere deutsche Truppe" genannt. Anführer des Nazi-Netzwerkes war Rauff. Pinochet hatte ihn 1956 im Auftrag des Oberkommandos als Militärberater nach Chile geholt.
Der "Schakal"
Jorgelino Vergara begegnete Rauff das erste Mal im Ferienhaus von Oberst Contreras am Strand von Santo Domingo. Er war erst 14 Jahre alt, Hausdiener des Oberst und Leibwächter seiner Töchter.
Morgens brachte er dem Oberst Frühstück ans Bett, danach führte er seinen Schäferhund "Kazan" am Strand spazieren, vorbei an den Hütten der Feriensiedlung, in denen Gefangene aus dem ganzen Land gefoltert wurden. Die Armee hatte die Anlage gleich nach dem Putsch beschlagnahmt.
Rauff war häufig Gast im Hause Contreras - und Vergara bewirtete ihn. "Contreras nannte ihn 'El Chacal'. Sie sprachen über 'Pakete', die eliminiert werden müssten". Erst später, als er mit 16 Jahren selbst in die DINA aufgenommen wurde, habe er begriffen, was mit "Paketen" gemeint war. "Es war das Codewort für liquidierte Regimegegner."
Rauff habe geholfen, einen effektiven Geheimdienst nach dem Vorbild der Gestapo aufzubauen, sagt Jorgelino Vergara.
Rauff, so Vergara, sei "Mitglied der DINA-Führung" gewesen. Er habe dem Diktator geholfen, einen effektiven Geheimdienst nach dem Vorbild der Gestapo aufzubauen. Rauff war auch dabei, als die Geheimdienstchefs der südamerikanischen Diktaturen die Operation "CONDOR" gründeten. Die DINA durfte nun auch in den Nachbarländern Jagd auf Gegner von Diktator Pinochet machen.
Rauffs Hauptaufgabe in der DINA sei es gewesen, die Gegner Pinochets spurlos verschwinden zu lassen. Simon bestätigt das: "Rauff war der Meister der Endlösung". Die Abteilung "Solucion Final" sei von Rauff und Brigadegeneral Christoph Willeke geleitet worden.
Die Fischfabrik in San Antonio
Bis heute ist das Schicksal von 1.469 Menschen ungeklärt, die in den Jahren der Diktatur spurlos verschwunden sind. Einige wurden aus Hubschraubern ins Meer geworfen, andere in der Atacamawüste verscharrt, einige Dutzend in der Colonia Dignidad mit Napalm verbrannt - so viel ist bekannt. Aber was ist mit den anderen?
Die Menschenrechtsbrigade der Polizei verfolgt seit einigen Jahren eine Spur, die nach San Antonio führt. Aber die Ermittlungen stagnieren, auch, weil sich die noch lebenden Täter an das Schweigegelübde der DINA halten.
Doch im Zuge der Recherche, bei der auch das Foto mit Walther Rauff in San Antonio verteilt wurde, meldet sich Jorge Silva, ein ehemaliger Arbeiter der Fischfabrik "Arauco". Er erkannte den Mann auf dem Foto. "Ich sah ihn mehrmals in der Halle, in denen die Netze repariert wurden, er war bei den Lastwagen, die mit Gefangenen in der Fischfabrik ankamen."
Die Fischfabrik war gleich nach dem Putsch in den Besitz der DINA übergegangen. Die politischen Gefangenen, die in Kühlwagen mit der Aufschrift "Pesquera Arauco" transportiert wurden, kamen aus den Geheimgefängnissen der DINA in Santiago, sie galten als "ausgefoltert". Ehemalige Wachmänner der DINA erzählen im vertraulichen Gespräch, wie es weiterging: In der Fischfabrik wurden sie erschossen oder mit dem Giftgas Sarin getötet.
Die Chemikalien zur Produktion von Sarin transportierten DINA-Agenten auf Flügen von Frankfurt nach Santiago in ihrem Handgepäck. Zollkontrollen gab es für diese Agenten nicht. Jorgelino Vergara glaubt, der BND habe seine schützende Hand über sie gehalten. "Die DINA hat mit dem BND sehr eng zusammengearbeitet."
Kontakte zum BND
Rauffs Partner in der DINA-Führung, Brigadegeneral Christoph Willeke, war unter anderem für die Beziehungen zum BND zuständig und reiste mehrmals zu seinen Kollegen nach Pullach. Er erhielt dort Informationen über chilenische "Extremisten", die in Deutschland im Exil lebten. Auf dem Rückweg brachte er nach Vergaras Erinnerung auch persönlich Laborausrüstungen und Zutaten des Giftgases Sarin mit nach Chile.
Auf eine Anfrage des WDR zu diesen Vorwürfen reagierte der BND ausweichend: "Informationen zum Transport von Chemikalien und Laborausrüstungen zur Herstellung von Giftgas im Handgepäck von Flügen von Frankfurt nach Chile mit Wissen und Unterstützung des BND konnten hier nicht ermittelt werden."
BND über Rauff informiert
Nach der Ermordung der politischen Gefangenen wurden ihre Leichen auf Anweisung von Rauff in den Schredder der Fischfabrik in San Antonio geworfen und anschließend zu Fischmehl verarbeitet. Das erfuhr Jorgelino Vergara von zwei ehemaligen DINA-Agenten, die bei diesem Verbrechen mitgemacht haben.
Der BND, für den Walther Rauff von 1958 bis 1963 als Agent gearbeitet hat, schwieg bislang zur Rolle seines Ex-Agenten im System des chilenischen Staatsterrors. Mit den Rechercheergebnissen konfrontiert, räumt der BND zum ersten Mal ein, dass er doch informiert war. Er habe jetzt in seinen Akten recherchiert und eine Meldung vom Juli 1974 gefunden, in der es heißt, Rauff sei zwar nicht "Chefberater" der DINA, aber "er könnte als einer der 'Ejecutores' bezeichnet werden, d.h. als 'ausführendes Organ' mit keinerlei Anordnungsbefugnis."
Krematorium mitten in Santiago
Die ehemaligen DINA-Agenten erlebten Rauff nicht als "ausführendes Organ", sondern als militärischen Befehlshaber. Das sagt auch ein Mann mit dem Namen Carlos. Er war während der Diktatur einer der Leibwächter von Willeke. Dieser sei mit Rauff mehrmals in die Perrera gefahren. Das war ein großes Krematorium im Park der Könige, in dem streunende Hunde verbrannt wurden. Willeke und Rauff wollten prüfen, ob die Öfen der Perrera auch für menschliche Körper geeignet seien. In den Folterzentren der DINA in Santiago fielen 1974 bis 1976 sehr viele Leichen an und Rauff, so Carlos, sei von der Idee angetan gewesen, die Spuren der Verbrechen direkt vor Ort zu beseitigen. "Zur Perrera waren die Wege kurz."
Vergara bestätigt den Verdacht: "Es war sehr grausam, aber die Wahrheit ist, die Pläne des Schakals wurden umgesetzt." Auf die Frage, wie viele Leichen in der Perrera verbrannt wurden, antwortet er ohne Zögern: "Es waren mindestens 300."
Rauff verbrachte seine letzten Jahre im Stadtteil Las Condes. Er spielte gerne mit seinen Enkeln, die in der Nähe wohnten. Auslieferungsanträge von Israel, Großbritannien und den USA wies Chile ab. Rauff war ein Unberührbarer. 1979 bekam er Besuch von seinem ehemaligen Vorgesetzten, SS-General Karl Wolff. Zum Abschied schenkte er Wolff ein Buch mit der Widmung: "SS-Standartenführer Walther Rauff - staatlich geprüfter Kriegsverbrecher."