Mutmaßlicher Kriegsverbrecher Spur führt zu Folter-Videos des Assad-Regimes
Anfang August ließ die Bundesanwaltschaft in Bremen einen mutmaßlichen syrischen Kriegsverbrecher festnehmen. Bei ihren Ermittlungen muss sich die Behörde nach SWR-Informationen mit Videos befassen, die die Brutalität des Assad-Regimes zeigen.
Die Geschichte der Videos beginnt laut Recherchen des SWR mit einem Verrat: Vor fünf Jahren bittet ein syrischer Geheimdienstmann in Damaskus einen jungen Rekruten einer Miliz um einen Gefallen. Da dieser im Englischen bewandert sei, soll er sich darum kümmern, Daten auf seinem Laptop zu löschen. Als der Rekrut den Laptop inspiziert, stößt er auf Videos aus den Jahren 2012 und 2013.
Diese zeigen Erschießungen von unschuldigen Zivilisten und brutale Folter - von dem Geheimdienstmann und Mittätern selbst gefilmt. Der Rekrut sichert die Videos heimlich. Sie landen später als Leak bei Forschern, Journalisten und auch bei deutschen Ermittlungsbehörden.
Eines der Videos wurde bereits im vergangenen Jahr öffentlich, als unter anderem das ARD-Politikmagazin Report Mainz darüber berichtete: Es zeigt die Erschießung von zehn Zivilisten im April 2013 im Damaszener Stadtteil "Al-Tadamon". Haupttäter: der Geheimdienstmann und Laptop-Besitzer Amjad Y. Kaltblütig führen er und andere Täter Menschen - gefesselt und mit verbundenen Augen - an eine Grube, werfen sie dort hinein und erschießen sie. Das "Tadamon-Massaker" sorgte für Entsetzen in der arabischen Welt.
Hinrichtungen und Folter
Der SWR konnte nun erstmals alle 29 geleakten Videos sehen. Sie dokumentieren, wie systematisch die Schergen des syrischen Machthabers Bashar al-Assad, der auf dem internationalen Parkett zuletzt wieder an Renommee gewonnen hat, bei ihren Einsätzen vorgingen und wie brutal sie folterten. So zeigen Videos die Erschießung von mindestens 28 weiteren Menschen im Zusammenhang mit dem "Tadamon-Massaker" im April 2013. Im Oktober 2013 ähnliche Szenen in einem anderen Video: Wieder kommt es zu Erschießungen, mutmaßlich an gleicher Stelle.
Damals, zwei Jahre nach Beginn der syrischen Revolution, standen Rebellengruppen an den Grenzen der Hauptstadt. Nahe der Front, auf dem Gebiet des Regimes, errichteten Geheimdienstler, Mitglieder der "National Defence Forces" und regimenahe, sogenannte "Shabihah"-Milizen Check-Points und führten Razzien durch. Oft arbeiteten sie dabei Hand in Hand.
Mohammed Al Abdallah, Leiter der in Washington ansässigen Organisation "Syria Justice and Accountability Center" (SJAC), die Verbrechen des Assad-Regimes dokumentiert und vor Gericht bringen will, geht davon aus, dass die Zivilisten ohne jeglichen Gerichtsprozess getötet wurden. "Man hat sich Menschen, die in der Gegend lebten, willkürlich rausgesucht und verdächtigt, zur Opposition zu gehören", sagte er dem SWR.
Die Videos legen nahe, dass die Todesgruben in einem verlassenen und teilweise zerstörten Wohngebiet eigens ausgehoben wurden. In weiteren Szenen ist zu sehen, wie die Täter nach den Erschießungen Gruben mit Autoreifen bestücken, diese und die Leichenberge schließlich mit Benzin anzünden. Eines der Videos zeigt, wie der Geheimdienstmann Amjad Y. mit einem Bagger die Überreste der Leichen von einer Grube zur nächsten transportiert.
Der Fall Ahmad H.
Diese Szenen interessieren nach SWR-Informationen auch die Bundesanwaltschaft. Anfang August ließ sie in Bremen Ahmad H. festnehmen - einen 46-Jährigen, der Anfang 2016 als Flüchtling von Syrien nach Deutschland kam. Der Vorwurf: Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen durch Folter und Versklavung.
Erste Hinweise auf den Mann hatte die Organisation SJAC nach eigenen Angaben 2020 deutschen Ermittlungsbehörden übergeben. Nach SWR-Informationen wurde ihnen auch die Video-Versammlung zugespielt. Die Bundesanwaltschaft hat sich weltweit Ansehen erarbeitet, weil sie strukturelle Ermittlungen wegen Kriegsverbrechen in Syrien führt und einzelne Täter im Rahmen des Völkerstrafrechts bereits angeklagt hat, die später verurteilt wurden.
Im Fall Ahmad H. hat die Bundesanwaltschaft bisher lediglich mitgeteilt, der Mann habe in "Al-Tadamon" zwischen 2012 und 2015 als lokaler Anführer einer "Shabihah"-Miliz, die in die "National Defence Forces" eingegliedert gewesen sei, agiert. 2014 soll er etwa an einem Check-Point auf Menschen eingeschlagen haben. Zudem soll er verhaftete Zivilisten zur Arbeit an der Front gezwungen haben.
Verdächtiger aus Bremen auf Video?
In einem knapp eineinhalbminütigen Clip aus der geleakten Video-Sammlung ist neben Amjad Y., der einen Bagger steuert, mutmaßlich auch Ahmad H. zu sehen. Der Mann steht neben dem Führerhaus, aus dem eine syrische Flagge hängt, und grüßt zweimal in die Kamera. Der SWR konnte mit einem Informanten aus Syrien sprechen, der anonym bleiben möchte. Er gibt an, Ahmad H. in dem Video wiedererkannt zu haben. "Jeder kannte ihn damals in dieser Gegend. Das war jemand, dem man aus dem Weg ging", sagte er dem SWR.
Marwan Al-Esch, ein syrischer Menschrechtsaktivist, der in Bremen wohnt, sagt im Interview mit dem SWR, er sei Ahmad H. zweimal bei Beratungsgesprächen der Bremer Caritas begegnet. Da er selbst als Assad-Gegner bekannt gewesen sei, habe H. ihm gegenüber nur zögerlich von seiner Vergangenheit berichtet.
Einer dritten Person habe H. jedoch ausführlicher davon erzählt. "Und diese Person, ein Freund von mir, hat mich dann vor H. gewarnt. Dieser sei Mitglied der Shabihah im Regime und ich solle aufpassen", sagte Al-Esch. Später habe er auch die Bremer Innenbehörde über diesen Verdacht informiert. Diese wollte sich auf SWR-Anfrage nicht dazu äußern.
Anwalt weist Vorwürfe zurück
Die Anwälte von Ahmad H. teilten dem SWR in einer schriftlichen Stellungnahme lediglich mit, es bestünden "erhebliche Zweifel an der Beweisführung und [am] Umgang mit den Beweismitteln." Details nannten sie nicht. Die Bundesanwaltschaft wollte sich auf SWR-Anfrage "mit Blick auf die noch laufenden Ermittlungen" nicht weiter äußern.
Unklar bleibt, ob Ahmad H. an anderen der von Amjad Y. und dessen Mittätern auf Video dokumentierten Einsätze und Verbrechen beteiligt gewesen sein könnte. Auf weiteren Videos ist Ahmad H. offenbar nicht zu sehen. Diese zeigen, wie Amjad Y. und seine Miliz im März 2013 ein mutmaßliches Versteck von Mitgliedern der islamistischen Terrorgruppe Jabhat-Al-Nusra ausheben.
Andere Videos zeigen die brutale Folter von zwei Gefangenen in einem Gebäude und wie einem Mann bei lebendigem Leib die Haare in Flammen gesetzt werden, während er brutal geschlagen wird. Ein anderer wird mit einer Elektrozange an seiner Zunge gefoltert. Besonders verstörend ist ein Video, in dem dokumentiert wird, wie einem am Boden liegenden, mit Folterspuren versehenem und gefesseltem Mann lebendig die Kehle durchgeschnitten wird.
Von einem möglichen Prozess gegen Ahmad H. erhofft sich Mohammed Al Abdallah vom "SJAC", dass das "Tadamon-Massaker" und die Arbeit des syrischen Geheimdienstes und anderer Milizen wieder ins Blickfeld von Öffentlichkeit und Justiz geraten. "Wir werden sehen, was Ahmad H. über Amjad Y. und andere Geheimdienst-Mitarbeiter berichtet. Dadurch bekommen wir hoffentlich mehr Informationen über das Ausmaß der Verbrechen, aber auch über die Straflosigkeit [im Regime] und die Kommandostrukturen innerhalb des syrischen Militärgeheimdienstes", sagte er dem SWR.