Nord Stream 1 Neue Bilder der Explosionsstelle veröffentlicht
Unterwasserbilder von der Explosionsstelle an der Nord-Stream-1-Pipeline, die Greenpeace aufgenommen hat, könnten neue Hinweise liefern. Die Aufnahmen, die dem SWR exklusiv vorliegen, werfen aber auch neue Fragen auf.
Neue Filmaufnahmen an einer der Anschlagstellen der Nord-Stream-1-Pipeline, die dem SWR exklusiv vorliegen, könnten nach Expertenaussagen eine erste Grundlage für weitere Untersuchungen zu den mutmaßlichen Anschlägen sein. Es handelt sich bei den Bildern um Unterwasseraufnahmen, die vor wenigen Tagen von der Umweltschutzorganisation Greenpeace auf einer Expeditionsreise gemacht werden konnten und neue Details der Zerstörung dokumentieren.
Die Bilder stammen von einem der Lecks, das sich in der schwedischen Wirtschaftszone vor der Insel Bornholm befindet. Die Koordinaten der Anschlagstelle konnten die Umweltschützer durch Recherchen verschiedener Daten ermitteln. In 79 Meter Tiefe sind Videos von einem Tauchroboter aufgenommen worden.
Laut Gutachten Sprengung von außen wahrscheinlich
Diese Bilder zeigen eine vollständig kaputte Röhre, verbogenen Stahl, Teile der Pipeline, die bis zu sieben Metern aus dem Boden ragen, und eine weggesprengte Betonummantelung. In einem Gutachten, das der SWR vorab einsehen konnte, heißt es zu den Bildern: "In dem Kontext bekannter Überlegungen, dass die Leitung von Innen gesprengt wurde, erscheinen für den untersuchten Abschnitt als unwahrscheinlich."
Der Sprengstoffsachverständige Fritz Pfeiffer, der für Greenpeace die Analyse gemacht hat, hält daher eine Sprengung in der Nähe der Pipeline für wahrscheinlicher. Nach seinen vorläufigen Einschätzung sind circa 200 bis 400 kg Sprengstoff für den untersuchten Abschnitt eingesetzt worden.
Greenpeace kritisiert seit Längerem, dass es seit Wochen von der Bundesregierung kaum Informationen zu den Hintergründen und Umweltfolgen der Explosionen an den Pipelines gebe. Daher wollten sich die Umweltschützer selbst ein Bild der Lage machen und sind mit einem Schiff und einem Tauchroboter in die schwedische Wirtschaftszone nahe der Insel Bornholm gefahren.
Untersuchung auf Kampfstoff-Rückstände
Ein SWR-Reporter hat diese Greenpeace-Expedition exklusiv zu den Anschlagsorten der Ostseepipeline begleiten können. Vor Ort wurden 40 Boden- und Wasserproben rund um eine der Explosionsstellen der Nord Stream 1 genommen. Diese werden im Toxikologischen Institut der Universität Kiel auf Rückstände von chemischen Kampfstoffen und auf Sprengstoffreste untersucht, so Greenpeace. Mit den Ergebnissen ist frühestens in 14 Tagen zu rechnen.
Gleichzeitig soll geklärt werden, ob durch die Explosionen hochgiftige Altlasten vom Meeresboden aufgewirbelt worden sein könnten. Denn in dem Gebiet, in dem die Explosionen stattfanden, wurden Tausende Tonnen von alter Munition und chemischen Kampfstoffen aus beiden Weltkriegen verklappt.
"Es gibt keine Informationen über eine mögliche Giftwolke, die durch die Anschläge in Verbindung mit den Altlasten entstanden sein könnte", erklärt der Greenpeace-Meeresbiologe Thilo Maack gegenüber dem SWR. Greenpeace fordert unter anderem deshalb die dringende und professionelle Entsorgung dieser Altlasten.
Laut Schätzungen des dänischen Meereswissenschaftlers Hans Sanderson, der aktuell eine Untersuchung an den Gaslecks über die Auswirkungen der Anschläge durchführt, liegen vor Bornholm rund 11.000 Tonnen chemischer Sprengstoffe. Allerdings hält er die Entsorgung nicht für unproblematisch: "Wir wissen noch nicht, wie gefährlich und risikoreich es ist, das Kriegsmaterial zu bergen. Aber wir wissen, dass es ein sehr kostspieliges Unterfangen ist."
Auf Anfrage des SWR erklärt der Kriminaltechniker und Sprengstoffexperte Wolfgang Spyra: "Es ist ein guter Ansatz, dass nun weitere, neue Informationen neben denen der Behörden existieren. Wenn es gelingt, an der Havariestelle weitere Bruchstücke der Pipeline zu finden und diese forensisch untersuchen zu lassen, hätte man möglicherweise eine Chance auf weitere Erkenntnisse zum Tathergang."
Wo sind die verschwundenen Trümmerteile?
Die bisherigen vorliegenden Informationen ergäben nämlich nicht erklärbare Widersprüche, so Spyra. So fragt sich der Wissenschaftler, warum nicht mehr Teile der Pipeline gefunden worden sind: Wenn circa 250 Meter Pipeline zerstört wurden, könne das Material nicht verschwunden sein. "Bei der Suche müsste man also solche größeren Objekte gefunden haben, die einen Aufschluss über die Hintergründe geben könnten." Der Nachteil bei der jetzigen Informationspolitik der Behörden sei, so Spyra, dass mit wenig Informationen der Spekulation Raum gegeben werde. Das sei in Krisenzeiten keine angemessene Verhaltensweise.
An den beiden Nord-Stream-Pipelines waren im September nach Explosionen in der Nähe der Insel Bornholm vier Lecks entdeckt worden. Schwedische Ermittler führen die Explosionen auf Anschläge zurück. Bislang wurden allerdings keine Verdächtigen genannt.