Die Hände eines Gamers auf einer beleuchteten Tastatur
Exklusiv

Online-Gaming Rechtsextreme unterwandern Kinderspiele

Stand: 11.04.2023 17:00 Uhr

Über Nazi-Memes lachen, Attentate nachspielen und sich auf diesem Wege radikalisieren: Junge Spieler von Online-Games wie Roblox laufen Gefahr, in rechtsextreme Strukturen abzurutschen, zeigt eine SWR-Recherche.

Von Timon Herwig und Jan Vollmer, SWR

Auf Online-Spieleplattformen versuchen Rechtsextreme, Kinder und Jugendliche zu radikalisieren. Nach Recherchen des SWR-Investigativformats Vollbild sollen sie dort gezielt Minderjährige ansprechen, um sie in Gruppen und Chats einzuladen, in denen Hakenkreuze, Anleitungen zum Bombenbau oder rassistische Memes geteilt werden. Das Bundesinnenministerium erklärte auf Anfrage, es beobachte, dass sich rechtsextremistische Akteure gezielt online vernetzten, um neue Mitglieder anzuwerben. Dabei machten sie sich auch beliebte Gaming-Plattformen zunutze.

Eine dieser Spieleplattformen ist Roblox. Täglich treffen sich dort nach Unternehmensangaben fast 60 Millionen Spielerinnen und Spieler aus aller Welt, davon mehr als 16 Millionen aus Europa. Bei Kindern und Jugendlichen ist die Spieleplattform besonders beliebt. Auf Roblox können User nicht nur die Games anderer spielen, sondern auch eigene Spielwelten entwerfen. Außerdem können sie mit anderen Nutzerinnen und Nutzern chatten, Gruppen beitreten sowie eine individuelle Spielfigur gestalten. Laut Bundesinnenministerium ermöglicht diese gestalterische Freiheit aber auch, dass rechtsextremistische Inhalte verbreitet werden.

Terroranschläge nachspielen

So fand Vollbild Spielewelten auf Roblox, in denen Terroranschläge nachgespielt werden konnten, beispielsweise der Anschlag auf die Synagoge in Halle, bei dem 2019 ein rechtsextremer Attentäter zwei Menschen ermordete. Auch das rassistisch motivierte Attentat auf einen Supermarkt in Buffalo (USA) im vergangenen Jahr, bei dem zehn Menschen getötet wurden, konnte auf Roblox nachgespielt werden. Das Bundesamt für Verfassungsschutz teilte auf Anfrage mit, ihm seien vergleichbare Spielewelten auf Roblox bekannt.

Da man in Chats von Onlinegames häufig nicht telefonieren oder Bilder austauschen kann, kommunizieren Gamerinnen und Gamer oft über andere Kanäle. Einer der beliebtesten dieser Kanäle ist der Online-Dienst Discord. Mit nur wenigen Klicks gelangen Spielerinnen und Spieler von Roblox auf die entsprechenden Discord-Server, auf denen sie miteinander chatten, sprechen oder Bilder und Videos teilen können. Auch hier konnte Vollbild zahlreiche Naziparolen, Hakenkreuze und eine Anleitung zum Bombenbau finden.

Angeklagt wegen Terrorverdacht

Ein junger Mann, der in der Presse als Lukas F. bekannt ist, muss sich derzeit vor dem Landgericht Potsdam verantworten. Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg wirft dem zur Zeit seiner Verhaftung noch minderjährigen Angeklagten unter anderem vor, eine schwere staatsgefährdende Straftat vorbereitet zu haben. Demzufolge soll er geplant haben, einen rechtsextremistisch motivierten Anschlag zu begehen, "nachdem er sich zuvor in mehreren Chat-Kanälen mit Gleichgesinnten ausgetauscht hatte", so die Generalstaatsanwaltschaft. Außerdem soll er sich im Internet über den Bau einer Bombe informiert und erforderliche Materialien besorgt sowie mindestens vier Sprengkörper auf einem verlassenen Kasernengelände getestet haben.

Nach Recherchen von Vollbild war Lukas F. zudem Mitglied der Chatgruppe "Totenwaffen-Division", die einer rechtsextremen Terrorzelle anmutet. Dort wurden auch Propagandaplakate mit Todeslisten gepostet. Seine radikale Onlinewelt habe sich auch auf Roblox und Discord abgespielt, sagt der Rechtsextremismus-Experte Miro Dittrich. Dittrich beobachtete lange die Gruppe um Lukas F. und sammelte Chatverläufe. In einem Telegram-Chat der "Totenwaffen-Division", der der Redaktion vorliegt, schreibt ein Mitglied: "Before we did real shit, we did Roblox shit" (deutsch: "Bevor wir richtigen Scheiß gemacht haben, haben wir Roblox-Scheiß gemacht").

In einem exklusiven Gespräch mit Vollbild berichtete der Vater des Angeklagten von der angeblichen Hilflosigkeit der Eltern gegenüber der Radikalisierung ihres Sohnes: "Man kann zwar Sachen verbieten und irgendwelche Sperren einbauen - das haben wir alles versucht - aber die sind einfach schlauer. Sie umgehen das alles." Er habe gesehen, dass sein Sohn online auf Roblox Uniformen mit einem Hakenkreuz baute: "Das sah irgendwie total fanatisch aus, diese Welten, die sie sich dort erschaffen haben. Das waren alles Uniformen aus dem Dritten Reich."

Terrorverdächtige immer jünger

Behörden beobachten, dass Online-Games für rechtsextreme Radikalisierung eine zunehmend größere Rolle spielen. Daniel Köhler von Konex, einer Initiative des Landeskriminalamts Baden-Württemberg gegen Extremismus, berichtet von zwei Kindern, die sich unter anderem auf Roblox radikalisiert haben sollen. "Sie haben in der Schule den Hitlergruß durchgeführt und entsprechende Codes und Symbole wie das Hakenkreuz in WhatsApp-Gruppen geteilt." Sie hätten sich zudem erkundigt, wie man an Waffen rankommt, so Köhler. Auch ein aktueller Trendreport von Europol belegt, dass Verdächtige in europäischen Terrorismusermittlungen immer jünger werden.

Auf Anfrage teilte Roblox mit, dass es über ein großes, weltweites Moderationsteam sowie technische Filter verfüge, die extremistische Inhalte und bestimmte Wörter erkennen und von der Plattform entfernen sollen. Roblox räumte Vollbild gegenüber ein: "Wir sind uns auch darüber im Klaren, dass immer noch viel zu tun ist, da extremistische Gruppen auf eine Vielzahl von Taktiken zurückgreifen, um die Regeln auf allen Plattformen zu umgehen". Auf Nachfrage von Vollbild hin löschte Roblox einige der gemeldeten Inhalte, darunter auch eine Spielwelt, in der man als Soldat der Wehrmacht beitreten konnte.

Auch Discord schrieb, es ergreife sofortige Maßnahmen, sobald es auf extremistische Inhalte aufmerksam werde, "einschließlich der Sperrung von Nutzern sowie der Schließung von Servern". Allerdings blieben sowohl die User als auch die Server, auf denen die Anleitung zum Bombenbau sowie die rechtsextremen Memes erschienen sind, bis Redaktionsschluss weiterhin online.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 12. April 2023 um 11:45 Uhr.