Missbrauch von Vollmachten Der mühsame Kampf gegen Erbschleicher
Tausende Senioren werden jedes Jahr Opfer von Betrügern. Das LKA Berlin fordert deshalb einen besseren Schutz vor Erbschleicherei. Derzeit kämen die Täter in der Regel straffrei davon.
Immer mehr alte Menschen werden nach Angaben des Landeskriminalamts Berlin Opfer von Erbschleichern und Betrügern. Die Täter blieben in der Regel straffrei, da die gesetzlichen Grundlagen für eine effektive Strafverfolgung nicht ausreichend seien.
Kriminaloberkommissarin Annett Mau sagte im Interview mit Report Mainz: "Wir stellen fest, dass mindestens zwei Drittel der Verfahren eingestellt werden und sollten sie bis zu Gericht kommen, enden die meistens mit einem Freispruch." Erfolgreiche Strafverfahren seien ihr im Grunde nicht bekannt, so die Kommissarin weiter. Ihre Dienststelle habe den Gesetzgeber schon mehrfach darauf hingewiesen, bisher ohne Erfolg.
Missbrauch von Vorsorgevollmachten
Haupteinfallstor für Kriminelle seien sogenannte Vorsorge- oder Generalvollmachten. Diese würden von Kriminellen erschlichen, um die hochbetagten Senioren dann um ihr Vermögen zu bringen. Mau beschreibt das Vorgehen wie folgt: "Täter kommen in ein Gefüge hinein und machen sich gut, also beliebt. Sie kümmern sich, bieten Hilfe an. Nach dem 'Gutmachen' machen sie alle anderen potenziellen Kontrolleure, Aufpasser schlecht, das nennen wir 'Schlechtmachen'. Und der dritte Schritt ist das 'Wegmachen', sprich das Vermögen wird einfach weggenommen."
Auch zahlreiche Fachanwälte für Erbrecht sehen diese Entwicklung. Vorsorgespezialist Dietmar Kurze erklärt Report Mainz: "Es ist eine ganz klare Zunahme von Missbrauch von Vollmachten festzustellen. Es geht oft um ganz erhebliche Beträge, ganze Vermögen, mehrere Immobilien, viele Hunderttausende oder sogar Millionen auf den Konten, die vom einem zum anderen wechseln."
Der Fall Günther K.
Das Schicksal des ehemaligen Bäckermeisters Günther K. aus Brandenburg ist nach Einschätzung von Mau typisch für Fälle von finanzieller Ausbeutung. Günther K. litt seit seinem 60. Lebensjahr an der Nervenkrankheit Parkinson. Als dann seine Ehefrau verstarb, sei er regelrecht zusammengebrochen, erzählt sein Bruder Bodo K. Report Mainz. Vereinsamt und schwer krank lernte er ein Jahr später eine 25 Jahre jüngere Frau kennen. Diese Frau sei aktiv auf seinen Bruder zugegangen, so Bodo K.
Bereits sechs Monate später stellt der Rentner dieser Frau eine Vorsorge- und Generalvollmacht aus, ändert sein Testament und macht sie damit zur Alleinerbin eines großen Mietshauses und umfangreichen Vermögens. Mittlerweile ist Günther K. verstorben, das Haus gehört nun dieser Frau.
Vor seinem Tod, berichten mehrere Zeugen, habe diese Frau den alten Mann systematisch von seinem Umfeld isoliert. Selbst Telefonanrufe seien schwierig gewesen, erklärt ein ehemaliger Mieter. Weiter berichtet er, "für mich ist vollkommen klar, dass der Mann hier in seinem eigenen Haus als Gefangener in seiner eigenen Wohnung gelebt hat".
Konfrontiert mit diesen Vorwürfen erklärt die Frau schriftlich gegenüber Report Mainz, das sei alles nicht wahr - die Vorwürfe seien vollkommen haltlos. Bodo K. glaubt dennoch, dass sein Bruder Opfer einer Erbschleicherin geworden ist. "Rückblickend bestürzt mich am meisten, wie einfach es eigentlich ist, alte, hilflose Menschen zu vereinnahmen, sie um ihre Vermögen zu bringen, sie von ihrem Umfeld abzutrennen." Er versucht rechtlich gegen das Testament vorzugehen. Bisher ohne Erfolg.
Opposition fordert besseren Schutz von Senioren
In einem Antrag an den Bundestag, der Report Mainz vorliegt, fordert die FDP-Fraktion ein "Maßnahmenpaket gegen die finanzielle Ausbeutung älterer Menschen". Der Bundestag solle die Bundesregierung dazu auffordern, eine wissenschaftliche Studie zum Ausmaß des finanziellen Missbrauchs älterer Menschen in Auftrag zu geben sowie dieses Delikt gesondert in der Polizeistatistik zu erfassen. Außerdem solle der Bundestag den Aufbau einer "zentralen und unabhängigen Beratungs- und Anlaufstelle für Opfer und Angehörige von finanzieller Ausbeutung älterer Menschen auf Bundesebene" fordern.
Auf Nachfrage von Report Mainz erklärte das Bundesjustizministerium, man plane weder statistische Erhebungen über Straftaten zum Nachteil älterer Menschen noch eine nationale Anlaufstelle für Opfer. Außerdem werde aktuell "kein Bedarf für gesetzgeberische Änderungen" zur besseren Strafverfolgung der Täter gesehen. Die Rechtslage sei ausreichend.
Schweiz startet Nationale Anlaufstelle
In der Schweiz gibt es seit April 2019 eine nationale Anlaufstelle mit dem Titel "Alter ohne Gewalt". Auf einer Internetseite wird auf das Thema aufmerksam gemacht, außerdem gibt es eine zentrale Telefonnummer. Hier können sich Betroffene oder Zeugen von finanziellem Missbrauch melden. Überall in der Schweiz gibt es Beratungsstellen, die diese Fälle erfassen und Hilfe organisieren.
In Zürich engagiert sich der ehemalige Stadtarzt Albert Wettstein in einer solchen Beratungsstelle. Er erklärt, das Thema müsse ohne Scham diskutiert werden. Entscheidend sei, dass die Zivilgesellschaft sich des Problems bewusst sei und man merke, dass etwas getan werden müsse. "Man sollte in Deutschland wissen, wo muss ich mich melden, wenn ich das Gefühl habe, meine Tante wird ausgenommen von ihrem Sohn oder von sonst jemandem."
Studie zum Ausmaß des finanziellen Missbrauchs
Das Kriminologische Institut der Fachhochschule Westschweiz führte 2018 eine repräsentative Untersuchung zum Umfang des finanziellen Missbrauchs älterer Menschen durch. Die Wissenschaftler befragten 1257 Menschen im Alter 55+ und kamen zu dem Ergebnis, dass in der Schweiz jährlich ein Schaden von 420 Millionen Franken durch finanziellen Missbrauch entsteht.
Auftraggeber der Studie war die Organisation Pro Senectute. Deren Sprecher Peter Burri Follath erklärt gegenüber Report Mainz man sei über die Höhe der Schadenssumme sehr erstaunt gewesen. Besonders gefährdet seien hochbetagte Senioren, die über 85 Jahre alt sind. In dieser Gruppe war jeder Zehnte von finanziellem Missbrauch im privaten Umfeld betroffen, also rund 40.000 Senioren. Übertragen auf Deutschland ergäbe das rund 230.000 Betroffene allein bei den Hochbetagten.