Verdächtiger im Fall Lübcke Militant, rechtsextrem und vorbestraft
Der Verdächtige im Fall Lübcke war in einem militanten Neonazi-Milieu in Hessen und Nordrhein-Westfalen aktiv. Stephan E. saß zudem wegen eines versuchten Sprengstoffanschlags in Haft.
Bei dem dringend Tatverdächtigen im Fall des getöteten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke handelt es sich nach Informationen von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" um einen 45-jährigen Mann aus Kassel. Stephan E. war bereits mehrfach polizeilich aufgefallen und saß in den 1990er-Jahren wegen eines Angriffs auf Geflüchtete in Hessen in Haft - offenbar wollte er eine Sprengstoffexplosion herbeiführen.
Zudem soll der Verfassungsschutz ihn den hessischen NPD-Strukturen zugerechnet haben. E. nahm an rechtsextremen Kundgebungen und Demonstrationen in Hessen und Nordrhein-Westfalen teil. Er soll auch an dem Überfall von Neonazis am 1. Mai 2009 auf eine Veranstaltung des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Dortmund beteiligt gewesen sein. Diese Attacke war maßgeblich von "Autonomen Nationalisten" ausgeführt worden, die von einigen Experten damals bereits als potenzielle Rechtsterroristen eingeschätzt wurden.
Die Bundesanwaltschaft bestätigte den Verdacht auf einen rechtsextremistischen Tathintergrund. Dafür sprächen vor allem das Vorleben des Beschuldigten sowie seine öffentlich wiedergegebenen Meinungen und Ansichten, so ein Sprecher der Behörde.
Einschlägiges Vorstrafenregister
Nach Informationen von NDR, WDR und SZ wurde E. wegen des Verdachts einer schweren Körperverletzung eine DNA-Probe entnommen, die bei den Ermittlungen im Fall Lübcke nun zu einem Treffer geführt habe. Zu dem Verdächtigen soll es ein langes Vorstrafen- beziehungsweise Erkenntnisregister bei den Behörden geben.
Auf YouTube soll er gedroht haben, wenn die Regierung nicht bald zurücktrete, werde es Tote geben. Es sei jetzt genug geredet worden, es gäbe genügend Gründe zu handeln. Gegenüber den Ermittlern schweigt er zu den Vorwürfen im Fall Lübcke.
E. hatte sich in den vergangenen Jahren offenbar aus der organisierten Neonazi-Szene zurückgezogen. Er soll den Behörden zuletzt nicht mehr als gewaltbereiter Rechtsextremist bekannt gewesen sein, wie NDR, WDR und SZ erfuhren. Ein persönliches Kennverhältnis zu Lübcke sei nicht bekannt.
"Nettes, unauffälliges" Mitglied im Schützenverein
E. war in einem hessischen Schützenverein in der Nähe von Kassel aktiv. Im Verein sagte man gegenüber NDR, WDR und SZ, der Festgenommene habe keinen Zugang zu Schusswaffen gehabt und lediglich Sportbögen geschossen. Auch sei aus den Beständen des Vereins keine Waffe entwendet worden. Stephan E. sei ein "netter, unauffälliger, hilfsbereiter Mann". Er habe sich politisch nie geäußert.
Im Verein geht man auch davon aus, dass er keinen Waffenschein besitzt. Bei der Durchsuchung der Wohnung des Tatverdächtigen sollen Ermittler nach Recherchen von NDR, WDR und SZ allerdings neben einer Schreckschusspistole auch Unterlagen gefunden haben, die darauf hindeuten, dass sich E. für legalen Schusswaffenbesitz interessierte.
Name tauchte im NSU-Ausschuss auf
Der Name von E. tauchte im Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses in Hessen auf. Dabei ging es um eine Aussage einer Sachbearbeiterin des Landesamts für Verfassungsschutz über gewaltbereite Rechtsextremisten wie Stephan E. in Hessen und deren Verbindungen zu Rechtsextremen in anderen Bundesländern.
Lübcke immer wieder bedroht
Der getötete CDU-Politiker Lübcke stand auf verschiedenen "Todeslisten" von Neonazis, rechtsradikale Blogs hatten 2015 seine Privatadresse veröffentlicht. Der CDU-Politiker wurde immer wieder bedroht - zuletzt unter anderem im Frühjahr 2019 unter einem Facebook-Posting der Ex-CDU-Politikerin Erika Steinbach.
Ein Nutzer kommentierte den Eintrag mit dem Bild einer Schusswaffe. Ein anderer schrieb an Lübcke gerichtet: "Sie stehen auf der sogenannten schwarzen Liste. Besorgen Sie sich schon mal einer Unterkunft außerhalb Deutschlands".
Lübcke war in der Nacht zum 2. Juni tot auf der Terrasse seines Wohnhauses im nordhessischen Wolfhagen-Istha gefunden worden. Laut Obduktion wurde der 65-Jährige mit einer Kurzwaffe aus nächster Nähe erschossen. Er hinterlässt eine Frau und zwei erwachsene Kinder.